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Ans Baterland, ans teure, schließ dich an, Das halte fest mit deinem ganzen Herzen, Hier sind die starken Wurzeln beiner Kraft. Die Reihe der offiziellen Redner aus den Barlamenten beschließt der freifinnige Boltsparteiler
Kleines Feuilleton.
Müller- Meiningen : Denn er war unser! Wenn Schiller heute noch lebte, würde er zweifellos Mitglied unserer Partei sein. Auch er hat mit den Waffen des Geistes stets nach zwei Fronten gekämpft, gegen die Revolution und gegen die Reaktion. Es ist Tettnang ( Bezirksstadt im württembergischen Donaukreis), wenn nicht zu leugnen, daß in unserer Zeit das Byzantinertum überhandnimmt. Wer aber hat so energisch wie das freigefinnte Bürgertum immerdar den von Schiller geforderten Mannesmut vor Königstronen betätigt! Ich gestehe offen, im Namen meiner ganzen Partei:
Ich fann nicht fürstendiener sein. Darum sind wir aber doch keine Republikaner , sondern aufrichtige und überzeugte, allezeit getreue Monarchisten. Und wenn die Heinze- Männer die Kunst an die Bekleidungsindustrie, die Schule an die Kirche ausliefern wollen, dann scharen wir uns um den Thron und rufen in unentwegter Rückgratsteife:
Geben Sie Gedankenfreiheit!
Bis hierher war die Feier gediehen. Es sollten nunmehr Vertreter der Innungen, Universitäten, Kunstschulen usw. zum Worte fommen. Da stieg plöglich ein Unbekannter die Stufen empor, ein hagerer, häßlicher Mensch mit langer Perücke, Habichtnase und Totenflecken auf den gehöhlten Backen. Er hüstelte eine Weile, bis er zu Atem tam, dann schrillte plößlich von der Tribüne eine unan genehme zornige Stimme, deren Wut durch den schwäbischen Dialekt nicht gemildert wirkte: Tretet zurüd ihr menschlichen Gesichter ah( mit frechem Zähneblöken gen Himmel). Hätt' ich nur seinen Weltbau zwischen diesen Zähnen. Ich fühle mich aufgelegt, die ganze Natur in ein grinsendes Scheusal zu zertragen, bis sie aussieht wie mein Schmerz
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Bei diesen Worten entstand in der Festgesellschaft ein ungeheurer Tumult. Man rief:„ Er lästert Gott ." Ein Verrückter!" Ein Sozialdemokrat hat sich eingeschlichen."
Der hagere Mann aber geiferte weiter:
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Ihr Böbel, worunter ich nicht die Mistpanscher allein, sondern auch und noch vielmehr manchen Federhut, und manchen Treffenrock, und manchen weißen Kragen zu zählen Ursache habe.. Das weitere ging im Lärm verloren. Graf Bülow blätterte ratlos im Büchmann .
Und abermals erhob der Unhold seine Stimme und schien zu irgend einer fernen Masse zu sprechen:
Führe die Bande gerade nach des Edelmannes Schloß! Berr ihn aus dem Bette, wenn er schläft, oder in den Armen der Wollust liegt, schleppe ihn vom Mahle weg, wenn er besoffen ist, reiß ihn vom Kruzifig, wenn er betend vor ihm auf den Knien liegt!
Was wollte der Kerl? Offenbar ein wahnsinniger Anarchist! Und wieder hörte man das Gekreisch: Tritt her Maler. So tropig stehst du da, weil du Leben auf toten Tüchern heuchelst, und große Taten mit Kleinem Aufwand verewigst. Du prahlst mit Boetenhige, der Phantasie marklosem Marionettenspiel, ohne Herz, ohne tatenerwärmende Kraft; stürzest Tyrannen auf Leinewand; bist selbst ein elender Slave! Machst Republiken mit einem Pinsel frei; fannst deine eigene Ketten nicht brechen? Geh! Deine Arbeit ist Gautelwerk der Schein weiche der Tat.
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War das nicht direkte Aufforderung zum Hochberrat? Der Mensch mußte unschädlich gemacht werden. Ter aber wehrte sich vor den Andrängenden, die ihn herunterstoßen wollten, und kreischte: Der Mensch ist mehr als Sie von ihm gehalten. Des langen Schlummers Bande wird er brechen Und wiederfordern sein geheiligt Recht.
Das war nun nicht länger zu dulden! Machtvoll und dringend türmten sich die Rufe der Festgesellschaft:„ Schutzmann! Schußmann!" Endlich erschienen ei Duyend Schuyleute, zogen den fich heftig Sträubenden von der Tribüne, schlugen ihn mit blanken Säbeln und Gummischläuchen, und schleppten ihn gefesselt durch die ängstlich zurückweichenden Reihen; ein paar Trompeter hieben ihm die Instrumente auf den Kopf.
Der Verbrecher sollte geradeswegs vor die vierte Straffammer zur Aburteilung geschleppt werden. Plötzlich aber war er verschwunden.
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Am nächsten Morgen fand man das Schiller- Denkmal zerbrochen, vom Sodel gestürzt und wie mit blutigen Striemen bededt. In den Händen hielt der Torso einen Band der Werke Schillers, und wie man ihn aufblätterte, fand man ganz tolle Stellen darin, rot angestrichen.
Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung" vermerkte die Nachricht, daß die Schandtat offenbar von den Sozialdemokraten ausginge, die den Haß gegen den großen vaterländischen Dichter durch die Entsendung eines blutrünstigen Emisfärs zur Störung der Schillerfeier er sei leider den Armen der Gerechtigkeit entwischt und dann durch die Denkmalsschändung betätigt habe.
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Joc.
st. Der Funkensonntag. Ein Ueberrest des Kultus des alts germanischen Donnergottes Donar( Thor ) ist das Funkenschlagen am ersten Fastensonntag, eine Frühlingsfeier, bei der man in Ober schwaben auch mit Fackeln über das Saalfeld zieht, um den schlafenden Samen wachzurufen. Der Gott hielt streng an diesem seinem Ehrentag. Daher heißt es bei den älteren Leuten in die Menschen am Funkensonntag teine Funken machen, macht der Herrgott Blizfunken durch ein Donnerwetter. Auch von der Heiligung des diesem Gott geweihten Wochentags, des Donnerstags, wogegen dereinst die christlicher Missionare so lange anzufämpfen hatten, sind noch Spuren vorhanden. Erbsen, die irdischen Abbilder der himmlischen Wetterkugeln, sind übliches Donnerstagsgericht. In den drei heiligen Donnerstagsnächten vor Weihnachten, den„ Knöpfliss nächten"( Knöpfle- Klöße), wirft man Erbsen an die Fenster. Vers mutlich lebt im Himmelfahrtstag, der immer auf einen Donnerstag fällt( wie auch der katholische Fronleichnamstag), der altheidnische Kultustag des Gottes Donar fort. Darauf deutet der Aberglaube, daß es an demselben immer ein Gewitter geben muß. Auch wurde früher an diesem Tage die Markung umwandelt, um die Felder zu fegnen. Noch heute sammelt das junge Volk in aller Frühe die niedlichen Himmelfahrtsblümlein", die, in fleine Kränze ge= wunden, das Haus vor Blitzschlag bewahren sollen.
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Ueber die Kultur der Weichselrohre. Die Pfeifenrohr industrie begnügte sich anfangs, die Zweige des wilden Kirschs baumes zu benüßen, bis Farbe und Wohlgeruch des sogenannten türkischen oder Steinweichselbaumes( Prunus Mahaleb) diesen vorzugsweise geeignet erscheinen ließen, um ihn für Pfeifenrohre zu verwenden. Dieser Wohlgeruch des Baumes rührt von einem Stoffe, welcher mit dem angenehmen Riechstoffe von Waldmeister, frischem Heu, Tonkabohnen und vielen anderen duftenden Pflanzen identisch sein dürfte. Da der Baum in Niederösterreich , im Badener Gebiete, wild vorkommt, so hatte man früher nur dessen halbwegs brauchbare Aeste gesammelt und aus ihnen Pfeifenrohre verfertigt. Weil aber solche Alejte oder Triebe im verwilderten Zustande weder die gehörige Stärke, noch weniger die Länge und Glätte erreichen, welche ein Pfeifenrohr haben soll, so ist man darauf verfallen, den Baum aus Samen zu ziehen. Die eigentliche Weichselrohrkultur als solche hat, wie die Zeitschrift für Drechsler, Elfenbeingraveure und Holzbildhauer" in Leipzig ausführt, in Baden erst in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts begonnen, und zwar mit sehr bescheidenen Mitteln, wogegen jetzt die Weichselrohrgärten den Flächeninhalt von sehr vielen Aren umfassen, und noch immer neue Weichselrohrkulturen angelegt werden. Sogar die kleineren Gartenbefizer ziehen, wenn sie in ihrem Garten dazu ein passendes Plätzchen finden, Weichselrohre und verkaufen sie dann entweder an die größeren Kultivateure oder an die Pfeifenrohrdrechsler; der Preis richtet sich natürlich nach der Qualität. Ein schönes Weichselrohr muß gleichmäßig gewachsen, glatt, ohne jede Verlegung, die Rinde dunkel und riechend sein, um als schöne Ware gelten zu fönnen. Wie jede Pflanze durch besondere Pflege veredelt wird, so haben auch hier die Weichselrohre durch besondere Pflege eine Bollfommens heit erreicht, die nichts zu wünschen übrig läßt. Man hat wohl auch versucht, den Weichsel anderweitig anzupflanzen, doch nur mit ge= ringem Erfolg, denn zu der Kultur des Weichselbaumes gehören langjährige Erfahrungen, und hauptsächlich spielt die Beschaffenheit des Boden dabei eine Rolle mit. Die Bepflanzung eines größeren Weichselgartens beansprucht gewöhnlich 3 Jahre, denn volle 3 Jahre müssen die Weichselpflanzen gepflegt werden, ehe man alljährlich Pfeifenrohre schneiden tann.-
Theater.
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Kleines Theater." Sanna". Schauspiel in fünf Durch Kritik wird niemand Aufzügen von Hermann Bahr . zum Dramatiker, aber man sollte meinen, daß eine viele Jahre lang fortgesetzte kritische Tätigkeit, die Prüfung hunderter von Stüden auf die Ursachen ihrer Wirksamkeit uni ihres Versagens einen Ins stinkt entwideln müsse, der bei dem Versuche eigenen Schaffens eine Schuhwehr gegen ein gewiffes Uebermaß theaterwidriger Entgleisungen bildet, zumal bei einem so geistreich feinsinnigen Effaisten wie dem Wiener Bahr. Nicht nur vor dem schlimmsten lebel, der Bühnenlangweile, meinte nian bei ihm sicher zu sein, sein Schauspiel„ Der Meister", im Vorjahre auf dem Deutschen Theater aufgeführt, ließ von dem neuen Werke etwas positiv Interessantes erwarten, feine Poesie, wohl aber Anregung und Spannung. pulsierte Theaterblut im" Meister", mit teden, flotten Strichen ffizziert, traten die geschickt kontrastierten Figuren einander gegen über, den Dialog beflügelte ein munterer Wiß und in rascher Steigerung, sehr eigenartig das Problem der freien Liebe und der individuellen Selbstherrlichkeit beleuchtend, betegte sich die Handlung fort. Um so ärger war diesmal die Enttäuschung. Keine Spur ers innerte an die berühmte Gewandtheit Bahrs; man erhielt den Eindruck eines ungefügen Erstlingswerkes, indem der Autor nur ganz äußerlich, ohne jede lebendige Anschauung, wie das geschriebene Wort denn von der Bühne her gesprochen flingen werde, die dramatischen Formen nachahmt. Quälend langsam schleppen sich die Situationen hin und münden in ein Meer von Tränenseligkeit. Die Bühne steht unter Wasser, indes die Augen der Zuschauer trocken bleiden, man spürt fein Mitleid, nur die Nervenfolter.