Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 60.

8]

Freitag, den 24. März.

( Nachdruck verboten.)

Eine Pilgerfabrt.

Von Johan Bojer .

Autorisierte Uebersetzung von Adele Neustädker.

1905

Blicke, Andeutungen, den Tonfall einer Stimme, vielleicht galten die Blicke auch ihren Kleidern und Manieren.

Sie verschluckte den Grimm. Denn sie wollte noch nicht nach Hause reisen. Und weil sie den Zorn verbergen mußte, verwandelte er sich bald in Haß. Tropfenweise sammelte er sich in ihrem Gemüte. Aber alles mußte geheim bleiben. So lernte sie heucheln. Weil sie die Eltern nicht verlegen wollte,

Plötzlich setzt sie sich auf, greift nach der Uhr der Nach- schrieb sie nach Hause fröhliche Briefe. So lernte sie lügen. barin und hält sie unter die Nachtlampe. Ach, erst zwei Uhr. Würde denn diese Nacht nie ein Ende nehmen?

Sie legt sich wieder hin, zieht die Decke über den Kopf, fneift die Augen ein: Schlafe, schlafe!"

Aber bald wandert sie wieder auf der kleinen Insel umher. Jetzt faßen die alten Eltern in dem kleinen Leuchtturmhaus und ahnten nichts.

Viele Gesellschaften fanden im Hause statt, und sie be merkte bald, daß man sie schön fand, schöner als die zwei gleich­

alterigen Cousinen.

Ein reicher Landwirt und ein Tierarzt hielten um ihre Hand an. Beide wurden abgewiesen. Sie begann von hohen Bielen zu träumen, nicht allein um die Eltern glücklich zu machen, nein, sie wollte höher als die Cousinen stehen, um sich

zu rächen.

Sie wirft sich zur Seite und stöhnt. Jetzt sieht sie sich Da fam er ein Verwandter des verstorbenen Mannes als vierzehnjähriges Mädchen und springt zusammen mit den ihrer Tante. Er war gerade mit dem medizinischen Doktor Fischerkindern auf der Insel herum. Das Meer lärmte von allen Seiten. Gegen Westen rollte es in den Himmel. Gegen fertig geworden und man sagte, er sei reich, sehr reich. Als allen Seiten. Gegen Westen rollte es in den Himmel. Gegen Often gewahrte man das Festland, wie einen schwarzen Strich fie bemerkte, daß er sich auffallend für eine der Coufinen zwischen Himmel und Meer. In den Klüften brüteten allerlei interessierte, begann sie ihn schön zu finden. Ich will ihn ihr abspenstig machen," dachte sie, aber Seevögel, die ihre guten Freunde waren. Oft näherte sie fich es müßte fein eingefädelt werden." einem Eidervogel, klopfte den Rücken, ohne daß der Vogel davon flog. Und sie folgt der Mutter zur fleinen Kirche, der Weg führte über kleine Torffümpfe und Berge und auf der ganzen Insel gab es, außer einer fleinen verkrüppelten Birke in ihrem Garten, feinen Baum.

Sie lernte zusammen mit ihren beiden Brüdern beim Vater. Er hatte eine große Bibliothek, und sie lernte schnell Bücher in fremden Sprachen lesen. Aber die Eltern waren so verschieden, die Mutter streng religiös, der Vater faß bis tief in die Nacht hinein bei einer Flasche. Er hatte durch ein Miß­geschick seinen Abschied als Seeoffizier erhalten und konnte es nicht überwinden.

Dann kam das Unglück mit den Söhnen. Der Aelteste kam durch einen falschen Wechsel ins Gefängnis, der andere verließ seine gute Stellung in der Hauptstadt und brannte mit einer Zirkusdame durch. Die Mutter trug es wie ein Kreuz, vom Himmel verhängt, der Vater bekam weiße Haare. So war sie wieder allein und ging zwischen Vater und Mutter wie zwischen zwei Kranken, die alles von ihr erwarteten. Es schien ihr auch natürlich, daß sie den Eltern an Glück wieder zuführen müsse, was die Söhne durch Kummer geraubt hatten.

Freilich schritt sie mit zweiundzwanzig Jahren noch ganz planlos zwischen den zwei Alten einher. Nie kamen Fremde zu Besuch, auch bot sich keine Aussicht fortzukommen, und deshalb erschien ihr diese Einsamkeit mehr und mehr wie ein lebens­längliches Gefängnis.

"

Da lud sie die reiche Tante, die ein großes Gut bei Mjösen hatte, zum Sommer ein. Der Vater biß in seine Pfeifenspite und brummte: So, so, man erkennt uns also doch noch an!" Also endlich eine Gelegenheit, aus dem Käfig zu entschlüpfen! Und schließlich gab der Vater nach. Vergangenen Frühling war's. Ja, wirklich, erst vor einem Jahre.

Aber jetzt fährt sie wieder auf und faßt sich an den Kopf: Herrgott, weshalb fann ich nicht schlafen?"

Bald darauf liegt sie wieder mit halbgeöffneten Augen. Und sie kommt auf das große Gut, erfüllt von den Eindrücken eines mehrtägigen Aufenthaltes in der Hauptstadt. Die Häuser lagen auf einem Hügel und spiegelten sich in dem großen Land­see, der von Kirchspielen und Fichtenwäldern begrenzt war. Juni war's, der Garten stand voll blühender Apfelbäume, die Wiesen wallten im Sommerwinde. Die frische Meerluft, woran fie gewöhnt, war jeßt in trockenen Gras-, Laub- und Blumenduft vertauscht. In ihrem fleinen Zimmer fonnte sie Stundenlang am Fenster liegen und sich in der warmen Nacht­luft baden. Ein gelber Mond stand über dem See, leuchtete jedoch nicht, da die Nacht zu licht war. Wieso kam es, daß sie von Anbeginn einen gewissen Widerwillen gegen die Tante und die zwei Cousinen empfand? Befürchtete sie wohl, sie könnten um des Vaters und der Brüder willen auf sie herab­sehen? Diese Gedanken schmerzten sie stets wie ein wunder Fleck, vor dessen Berührung ihr bangte.

Bald wurde ihr die Gewißheit, daß man mitleidig auf sie herabfah. Stich auf Stich fiel auf den wunden Fleck, durch

Er brachte Leben ins Haus. Ausflüge ins Gebirge, Waldfeuer, Gläserklingen, Gelächter und warme Augen. Welch' ein Sommer! Bisher hatte sie täglich ihr Abendgebet verrichtet. Jetzt vergaß sie daran.

Aber er hatte wohl bemerkt, daß sie von gemeinerer Rajse war. Denn er wäre wohl kaum zu einer der anderen hinein. gegangen, in jener Nacht, als sie allein zu Hause waren.

Am nächsten Tage hatte sie die Empfindung, daß sie mehr als verlobt seien. Sie waren gewissermaßen getraut. Jezt blickte sie ohne Saß auf die Cousinen. Jetzt wollte sie sich nicht rächen, mur triumphieren.

Sie trafen sich im Walde, und Wochen der Wonne ver­strichen. Sie war warm und fröhlich und glückselig. Und wenn sie jetzt an die Eltern dachte, hatte sie lichte, liebe Träume, wie gut die Alten es haben sollten, wenn sie zu ihr ins Haus kamen.

Dann reiste er plöglich ab. Sie hatte ihn vor der Abreise nicht gesprochen und fühlte sich beunruhigt. Sie wartete auf einen Brief, dann schrieb sie. Aber es fam feine Antwort. Da hört sie eines Tages bei Tisch, Dr. Folden sei schon lange mit einer Dame aus der Hauptstadt verlobt und werde demnächst heiraten. O, dieser Tag!... Dieser Tag!

Sie fährt wieder im Bette auf, streicht sich über die Stirn und flüstert: O, ich werde verrückt, wenn ich jetzt nicht schlafen kann!"

Die Nachbarin liegt auch wach, es ist das grauhaarige Mädchen, und sie flüstert zurück:

" Glauben Sie, Sie seien die einzige?"

Sie antwortete nicht.

Und während sie den Kopf mit den Händen festhielt, sah sie wieder jene Nacht vor sich, als sie in den Feldern umher­irrte. Die Herbstdämmerung begann, und das feuchte Gras durchnetzte sie. Sie empfand eine entsetzliche Ahnung.

Als der Morgen graute, schleppte sie sich heimwärts. Und tagsüber war sie in den Zimmern, verrichtete ihre Arbeit, trällerte und scherzte und lachte. Sie sollten nichts merken, nein, den Triumph sollten sie nicht erleben.

Endlich wurde ihr alles klar, das Entsetzliche wurde zuv Gewißheit. Sie fühlte sich Mutter.

Aber in den Zimmern ging sie immer noch trällernd um­her. Nicht der geringste Argwohn durfte entstehen. Die Not lehrte sie lachen, statt weinen, sie machte sie erfinderisch und faltblütig. Es mußte ein Ausweg gefunden werden, und sie mußte ihn schaffen.

Aber wo sollte sie jetzt hin? Nach Hause? Unter feinen Umständen. Sollte die Eltern auch noch dieser Schlag treffen.

Eines Tages schrieb sie einen glückstrahlenden Brief nach Hause und bat um Geld, um die Haushaltungsschule in Christiania zu besuchen. Das Geld kam, obwohl der Vater murrte. Und damit die Tante und die Cousinen sie in der Stadt nicht aufsuchen sollten, entzweite sie sich absichtlich mit ihnen, ehe sie abreiste, sie schieden in völliger Feindschaft.