Wie ein verwundetes Tier versteckte sie sich in der großen Stadt. Auf die Haushaltungsschule ging sie einen Monat, dann wagte sie es nicht länger, um keinen Argwohn zu erregen. Tann mietete sie sich in der Vorstadt bei einem Nähmädchen in einer Dachstube ein und nähte tagelang grobe Säume, um Kost und Logis zu verdienen. Ihre kleine Geldsumme schwand hin. In die Stadt wagte sie nicht zu gehen, sie konnte ja einen Bekannten aus dem Hochland treffen. Ihren Eltern schrieb sie fröhliche vergnügte Briefe, und eine Unwahrheit zog immer eine andere nach sich. Es wurde ein langer Winter. So kam der Abend, da sie sich längs der Hausmauern in die Entbindungsanstalt schlich. Und während die ersten Wehen sie durchzogen, saß sie im Bureau und verhandelte mit dem Arzte. Er verlangte Aufklärung, wollte ein Protokoll auf- nehmen, aber sie weigerte sich hartnäckig, Namen und Stellung anzugeben. Tann zwang man sie zu baden und endlich brachte man sie im Entbindungssaale in ein hartes, schlecht riechendes Bett. Großer Gott, niemals hätte sie geglaubt, daß ein Mensch in so hohem Grade unglücklich und allein sein könne. Und jetzt kam das schlimmste. Zwei Studenten begannen sie zu untersuchen. Zuerst glaubte sie, sie müsse vor Scham vergehen, dann wurde sie rasend und rief:„Genügt es nicht, wenn Einer untersucht?" Ein Student antwortete fast spöttisch:„Sie müssen entschuldigen, Fräulein, aber wir Studenten sind hier in der Anstalt, um unser Fach zu lernen. Sie scheinen sich übrigens in der letzten Zeit zu wenig Bewegung gemacht zu haben." Sie dachte:„Man hält Dich natürlich für eine Dirne." Fünfzehn Stunden lag sie in Geburtswehen. Und so oft sie die Schmerzen durchschüttelten, rief sie immerzu nur: „Mutter, Mutter!" Zwischen jedem Anfall starrte sie nach der bemalten Saal- decke, wo die Gasflammen brannten und einen unangenehmen Geruch verbreiteten. Spät am Abend kamen zwei Hebammen-Elevinnen, um die Nachtwache zu übernehmen. Sie sollten sie auch unter- suchen, um zn lernen. Später riefeil sie einige andere Mädchen herein, die auch untersuchen mußten. Es kamen immer mehr Leute, Studenten und weibliche Eleven. Sie wurde nicht mehr als Mensch, sondern als Allgemeingut behandelt, woraus man gedankenlos Nutzen zog, selbst wenn man dadurch ins innerste Mark traf. Und sie lag still und konnte nicht protestieren. Es war entsetzlich. Während der Nacht wurde eine neue Wöchnerin herein- gebracht. Eine Stunde später folgte eine zweite. So lagen dort drei schreiende Frauen, je durch einen Bettschirm ge- trennt. Das Schreien der anderen ging ihr durch Mark und Bein. Während der Nacht wurde der Assistenzarzt geholt? er sollte auch untersuchen, die wachhabenden Elevinnen umstanden ihn und er dozierte über diesen speziellen Fall. Sie verlor das Bewußtsein. (Fortsetzung folgt.) (Nachdruck verboten.) Rasier-Apparate. ES ist eine recht sonderbare Empfindung, wenn man bei starkem Bartwuchs am Halse mit einem nicht ganz einwandfreien Messer gegen den Strich rasiert wird. Nun ist aber nicht genau zu sagen, was man unter„gegen den Strich" bei jedem einzelnen nennen darf. Der Begriff als solcher ist unzweifel- Haft? die einzelnen Haare wachsen schräg aus der Haut heraus. wobei es jedoch nicht bestimmt ist. nach welcher Richtung die Spitze steht, nach vorn(nach dem Kinn) oder nach hinten. Ein vorsichtiger Barbier wird sich freilich jedesmal erst überzeugen, ehe er anfängt, indessen gibt es auch genügend solcher, die es nicht tun, und der Leidtragende ist dann immer der Kunde. Für jeden, der unter dieser Kalamität leidet, ist die Parole: „Rasiere dich selbst." Das ist aber viel leichter gesagt als getan, denn eS gehört dazu, wenn man sich mit einem Messer rasieren will, eine nicht zu unterschätzende Geschicklichkeit, da man das Meffer ebenso sicher mit der linken Hand führen muß wie mit der rechten, und da hapert es bei den meisten Menschen; eS haben infolge dessen viele, die dem heroischen Entschluß gefaßt hatten, sich fortan selbst zu rasieren, schon Seifcnnapf, Pinsel, Messer, Streichriemen:c. sc. angeschafft hatten, nach ersten, meist verunglückten Versuch ihr Vor- haben wieder aufgegeben. Warum muß eS aber auch ein Messer sein? Die moderne Industrie liefert sogenannte Rasierapparate, mit dem jedes Schneiden, jede Verletzung der Haut so gut wie aus- geschlossen ist. Technisch lassen sich diese Apparate in drei Typen einteilen. Erstens solche, die das altbekannte Tischlerwerkzeug, den Hobel, als Vorbild hatten, deshalb auch stellenweis„Barthobel" genannt werden; zweitens solche, welche die bei landwirtschaftlichen Maschinen, wie Häckselschneid-, Rasenmähmaschinen sc. zur Anwendung gebrachte Idee kopieren; und drittens solche, die eine Tuchschermaschine im kleinen darstellen. Beim Tischlerhobel steht aus einer Oeffnuna, welche das Hobel- holz in der unteren Fläche hat, ein scharf geschliffenes Eisen in einem ungefähren Winkel von 43 Grad eine Wenigkeit hervor. Wird nun der Hobel unter Anwendung von etwas Druck auf einem Brett entlang bewegt, so schneidet da? Eisen einen dünnen Span ab, dessen Stärke von dem mehr oder minder weiten Vorstehen des Eisens abhängt. Beim Rasieren mit dem Messer wird das letztere ebenfalls so aufgesetzt, und auf der Haut entlang bewegt wie das Hobel- eisen; der Effekt muß also derselbe sein, wenn man ein Rasiermesser in einen Behälter bringt, wie es das Hobelholz dar- stellt und nun auf der Haut entlangfährt. Ein Schneiden, wie es mit dem bloßen Messer vorkommen kann, ist jedoch ausgeschlossen, da die Schneide nicht tiefer eindringen kann, als die beiderseitig daneben stehende Führung es gestattet. Die eigentliche Form des Messers kommt hiebet weniger in Betracht; es werden solche von der gewöhnlichen prismatischen Form angewendet, es ist aber auch ein Apparat be- kannt geworden, welcher ein aus einem flachen Stahlband bestehendes einseitig angeschliffenes Messer von zirka einhalb Ällllimeter Stärke hat. Dieses Messer ist dann natürlich zwischen Halterplatten fest- geklemmt. Würden nun diese Apparate genau nach dem Prinzip des Tischler- Hobels hergestellt werden, so müßten dieselben beim Rasieren den die Haare weich machenden Seifenschaum»nt der vorderen Führung schon wegschieben, ehe das Messer die Haare zum Schneiden erreicht. Dadurch würde aber die Leichtigkeit des Schnittes sehr stark beeinflußt werden, so daß man das Gefühl wie von einem nicht tadellos scharfen Messer erhalten würde. Diesem Uebelstand zu begegnen, sind verschiedene Konstruktionen ausgeführt worden, derart, daß z. B. das den ganzen Mechanismus aufnehmende Gehäuse keine eigentliche Vorderwand hat, welche den Schauin wegwischen kann; an ihrer Stelle ist nur eine kammartige Schutzvorrichtung angebracht. Der Verschluß ist bei diesem Apparat so ausgeführt, daß er sich beim Gebrauch nicht unbeabsichtigt öffnen, andererseits aber bei etwas größerem Kraftaufwand in möglichst einfacher Art gelöst werden kann, somit ein schnelles und sicheres Reinigen sowohl des Messers als auch der Schutzvorrichtung gestattet. Wegen seiner konsttuktiven Eigentümlichkeit ist dann noch ein Rasierhobel zu erwähnen, an welchem eine kegelförmige Walze an- geordnet ist, die mit einem oder mehreren Gewindegängen bezw. mehreren in einander liegenden Schraubenscdern versehen ist, so daß infolge der kegelförmigen Gestalt der Walze ein bogen- förmiger Weg des Hobels, ähnlich demjenigen des durch die Hand geführten Meffers herbeigeführt wird. Manche aus der anfänglich naturgemäß etwas unprakttschen Be- festigung des Messers resultierende Unbequemlichkeit ist an einem neueren Rasierhobel beseitigt worden, auch die Einrichtung, daß der Hobel an der einen Seite des Gehäuses drehbar ist und an der anderen einfach infolge der Federung des Gehäuses gehalten und durch einen Druck gegen dasselbe gelöst wird, während er durch einfaches Zurückdrücken wieder in die Gebrauchsstellung gelangt. Beim Oeffnen wird gleich- zeitig das Messer in der Weise ftei gestellt, daß es herausgenommen werden kann, ohne daß Schrauben und dergleichen zu lösen sind, während es bei geschlossenem Messerhalter durch Federn gestützt wird, welche das Messer soweit nach vorn drücken. wie eS die das Meffer haltenden Klammern gestatten. Durch diese einfache Einrichtung, bei der zum Lösen des Messerhalters und deS Messers selbst nur ein Druck gegen die Gehäusewand erforderlich ist, kann jederzeit die schnelle und gründliche Reinigung der letzteren sowie des Messers erfolgen. Denselben Zweck sucht eine andere Ausführung dadurch zu erreichen, daß die Klinge oder diese samt der Schutzvorrichtung m eine Ebene mit dem Heft gelegt werden kann, so daß z. B. zwecks Schleifens beide Seiten der Schneide dem Riemen oder Stein zu- gänglich sind und ein flaches Auflegen der ganzen Vorrichtung durch keinerlei vorstehende Teile gehindert wird. Zu diesem Zweck sind die einzelnen Teile um solche Achsen drehbar, welche mit der Längsachse des Stteles in einer Ebene liegen. Ein in keiner ftüheren Vorrichtung zum Ausdruck gebrachter Gedanke wird in einem Barthobel zur Anwendung gebracht, dessen Messer mittels eines Hobels hin- und herbewegt werden kann, wo- durch ein ziehender Schnitt und infolgedessen eine bessere Schneide» fähigkeit des Messers beim Haarabhobeln erzielt werden soll. Die zweite Gruppe ist nicht so zahlreich vertreten; eS gibt da eigentlich nur zwei erwähnenswerte Repräsentanten. Als besonders unterscheidend von den vorher besprochenen Apparaten wird den- selben nachgerühmt, daß eine Verletzung auch bei ungeschicktester Handhabung dadurch ausgeschlossen sein soll, daß die von einem Federmotor getriebenen roticrenyeii Rasiermesser, die durch eine Spalte in das Innere dcö Apparatgchäuses hereinstehenden Haare erfassen und daher keinerlei Wirkung außerhalb des Gehäuses ausüben können. Die Messer sind rundhohl und schräg geschliffen. Die zweite, in England erfundene Form kennzeichnet sich der erster«« gegenüber durch einen sogenaimten Spirallvellenanttieb. Die dritte Gruppe endlich, welche den in der TextilvcredelnngS«
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22 (24.3.1905) 60
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