8nt Ellbogen gegen den Fensterrahmen. Und der Schaukel-stuhl stand still, dann wurde er Plötzlich geschwungen— bliebwieder stehen, sie nahm wieder die gleiche Stellung ein. Soblickt ein Gefangener hinaus. Der Fluß fang in der Stillesein monotones Lied, der Betrieb war eingestellt, die ge-waltigen Schornsteine atmeten nur einen ersterbenden,schwachen Rauch aus.Was ist eigentlich geschehen? Kmm ich mich nicht mehrfür einen jungen Mann schmücken, und warum träume ichnicht mehr von einem Hochzeitstage? Was ist geschehen?Kann es sich niemals ändern— niemals?Und die Tage schwanden. Sie trägt die glückliche Maske.ist stets auf dem Posten, zuerst gegen sich selbst, um nichtaus der Rolle zu fallen, dann gegen andere.Wer ein schweres Schicksal verbirgt, ist stets mißtrauisch.Hin und wieder glaubte sie Flaten anzumerken, daß er alleswisse. Es erfüllte sie stets mit geheimem Schreck. Sieblieb aus der Wacht, wog jedes seiner Worte, grübelte undwog es wieder.Dieser mürrische Professor, weshalb hatte er gerade mitihr Mitleid gehabt? Geschah es im Einverständnis mit ihrerFamilie? War es der Familie zu Ohren gekommen? Spieltesich ein Schauspiel hinter einem Vorhang ab, das sie nichtzu durchschauen vermochte?Falls ein Verwandter das Kind angenommen hatte!Sie hatte in Nordland eine kinderlose Tante. Sollte sie des-halb nicht wissen, wo das Kind blieb?Feder Gedanke brachte neue Vermutungen: sie verfolgtensie durch alle Türen, bei jeder Arbeit. Sie hielten sie wach.Sie brachten den Schaukelstuhl zum Stehen, ließen ihn schnellwieder schwingen.Weshalb wählte der Professor gerade einen norwegischenWitwer in Schweden? Wollte man sie aus dem Landeschaffen? Man dachte wohl: Sie bleibt dort, sie vergißt alles,vergißt sogar das Kind— und kommt nie mehr zurück. Tannsind wir sie glücklich los.So weit war es mit ihr gekommen. Sollten sie Rechtbehalten?Die empfangene Hülfe begann sie immer mehr zudemütigen. Sie mochte hier erstreben, was sie wollte— sieweilte doch durch die Gnade anderer hier. Sie war ein ge-fallenes Mädchen, das alles ertragen mußte, wenn sie nurihr tägliches Brot erhielt. War es so lveit gekommen? Undplötzlich konnte ihr Gesicht blutrot werden, sie ftihr aus demSchaukelstuhl auf und rang die Hände.Aber sie mußte sich wieder hinsetzen. Nichts war da-gegen zu tun. jedenfalls jetzt noch nicht.Warum mußte mir alles widerfahren? Warum?Warum? War es ein böses Verhängnis, gegen das niemandtrotzen konnte?Der Frühling rückte vor. Die Schwalben bauten vorihrem Fenster Nester. Die Blumen webten bunte Teppicheüber die Felder am Flusse. Die Sonne schien täglich wärmer.Nächte kamen, wo sie sich im Pelle aufsetzte und halblautflüsterte:„Nein, nun muß es ein Ende nehmen. Jetzt mußtDu schlafen, Regina! Höre. Du mein Gott. Ich will alles«bschütteln. Ich will schlafen."Und mit verkniffenem Munde blieb sie liegen, wollte sichzwingen, an Nichtssagendes zu denken— bis sie des Morgenserwachte und merkte, daß sie. einige Stunden geschlafen hatte.Sie einPfand es als ermunternden Sieg. Und wie sie sich zumSchlafen zwang, so begann sie sich auch zum Essen zu zwingen.Ihre Jugend wehrte sich gegen das Unglück, in der Weise,wie ein kräftiger Körper eine Krankheit verjagt.(Fortsetzung folgt.)(Nachdruck»erboten.)Hm Aleltrancl der Pyrenäen.Von C u rt Grottewitz.Von Madrid herkommend, war ich diesseits des Ebro-Oberlaufesin das schöne, an Tälern und Schluchten reiche Gebirge hinein-gefahren, das sich am ganzen weiten Nordrande von Spanien hin-zieht und als eine große vcrkchrshindernde Mauer die iberischeHalbinsel zu Lande wie zur See von Mitteleuropa absperrt.Die Pyrenäen sind nur der östliche Teil dieses langen Ge-birgSzuges, der sich ununterbrochen vom Golf du Lron bisan' die Nordwestspitze des spanischen Galizien ausdehnt.Zwar wird er da. wo er die Grenze zwischen Frankreichund Spanien bildet, Pyrenäen genannt, während der übrige nochlängere westliche Flügel aswrisch-kantabrisches Gebirge heißt, aberdie verschiedene Bezeichnung der beiden Hälften ist doch eine Willkür-liche. Seiner ganzen Bildung nach ist dieses nordspanische Grenz-gebirge ein einheitlicher Bergzug, es ist geologisch gleichartig gebaut,und es ist zu derselben Zeit, im Tertiär, entstanden.Meine Fahrt führte mich schräg durch diesen Gebirgszughindurch, und zwar durchquerte ich ihn etwa in einer Linie, die un-gefähr auf der Grenze zwischen dem pyrenäischen und dem astmisch»kantabrischen Flügel liegt. Ich gelangte schließlich ans Meer an derStelle, wo Spanien und Frankreich im Golf von Viscaya zusammen-stoßen. Hier am Westrand der Pyrenäen machte ich einige TageHalt, um die Einzelheiten dieser Natur kennen zu lernen, von derich bei der schönen, recht langsamen, aber darum um so wirkungS-volleren Eisenbahnfahrt einen bestimmten Totaleindruck gewonnenhatte.Was mich ain meisten bei dieser Fahrt und dem Aufenthalt amWestrand der Pyrenäen stappierte, war etwas ganz extrem Mar imes,das sich einem in der Luft, im Wetter, im Boden, in der Vegetation,kurz überall außerordentlich stark aufdrängte. Nun kam ich aller-dings aus dem Innern Spaniens, aus diesen so ungeheuer kontinen-talen Gebieten, dieser endlosen weiten Hochebene mit ihren eintönigenFeldern und ihren noch viel eintönigeren ausgedehnten Steppen,auf denen allenfalls noch Schafherden ihr kärgliches Futter finden.Die ganze Trostlosigkeit dieses baumlosen, ebenen, im Winter kalten,im Sommer heißen, ausgedörrten Landes, durch das ich mitten-hindurch gereist war, lag mir noch im Bewußtsein. Dazwischenwirkten in meiner Erinnerung die überaus steundlichen Bilder vonder langen spanischen Mittelmeerküste, diesenr glücklichen Paradies,das trotz seiner Lage am Meere so gar nichts Maritimes befitzt, ausdessen Oelbaumhaine und Orangengärten eine ewig heitere Sonnezu strahlen scheint. Aus diesen beiden, sonst wie schwarz und weißverschiedenen und doch in ihrem kontinentalen Charakter einanderähnlichen Regionen Spaniens war ich in eine neue, eine dritte, ge-langt. Und diese war ganz und gar maritim.'Wer von Norden her über Paris, Orleans, Bordeaux nachdiesem Weftrande der Pyrenäen kommt, der dürste allerdings denmarinmen Charakter weniger stark empfinden als derjenige, der vonrMittelmeer und vom spanischen Binnenlande aus hierher gelangt.Kurz und gut, ich hatte drei, vier Wochen, von Ende Januar bisweit in den Februar hinein anr Mittelmeer verlebt, ohne einen wirklichtrüben Tag, kaum einen Regentropfen zu sehen, ich hatte im Binnen-lande an den weiten Steppen und baumlosen Ebenen die ungeheureAnnut des Landes an Niederschlägen konstatteren können, und nunfand ich anr Westrand der Pyrenäen richtiges Aprilwetter, zunr Teilgleichfarbig sudernde Regentage. Das konnte ein Zufall sein, wennnicht auch sonst alles auf die Feuchtigkeit dieses Landstriches hin-gewiesen hätte. Es mutete mich ganz eigentümlich an, als ich nachlanger Zeit zum erstenmal wieder dichte Waldbestände sah.Da unten an der sonnigen Mittelmeerküste hatte ich Wäldergesehen, die bildeten mehr ein lockeres, undichtes, immer-grünes Gebüsch, ans dem einzelne Bäume, besonders dunkle leder-blätterige Steineichen, lichte Pinien und andere Kiefern inangemessenen Entfernungen und selten in hohen altchrwürdigenStämmen hervorragten. Und da oben auf der Hochebene hatten sichdie Wälder von immergrünen Eichen ganz und gar in einen dürstigenPark von einzelnen weit von einander abstehenden Zwergbäuinchenoder breiten Sträuchern aufgelöst. Man wurde an die märkischenOedländer erinnert, auf denen einzelne buschige Krüppelkiesern einsteudlos isoliertes Dasein führen. Und hier nun wieder unter derEinwirkung des Atlantischen Ozeans dieser verhältnismäßig dichteBestand von Wald, von sommergrünen Eichen, die jetzt noch imbraunen Winterlaub prangten. Man sah selbst starke Exemplarevon hohem Alter. Viele allerdings waren oben gestutzt— einefürchterliche Verstümmelung, wie sie in dem so Holzanne» Spaniennur leider allzu oft verübt wird. Und selbst hier, wo das Klima,die regenbringende Nähe des Atlantischen Ozeans, den Waldwuchsauf den Bergen so ungeheuer begünsttgt, sind die Bestände dochselten alt. Jeder Baum wird gefällt, wenn er nur einigermaßeneinen Stamm erhalten hat. Aber an der Fülle des Jungwaldeskonnte nian doch sehen, mit welcher Lust, mit welcher Kraft hierder Holzwuchs emporstrebte. Selbst an ziemlich steinigen undfelsigen Berghängen war die Vegetatton recht dicht; mannshoch,schlank, die uberhängenden Ruten mit goldgelben Blüten besetzt,ragte überall der Stechginster hervor, der am entgegengesetztenEnde der Pyrenäen, am blauen Mittelmeer so ein gedrungenes,dickes, kleines Sträuchlein gewesen war.Regenschauer zogen durch die Berge, deren obere Spitzen nochmit Schnee bedeckt waren. Trübgraue aufgelöste Wolken schoben sichvon Nordwesten her. vom Ozean, über die Täler dahin nnd ver-deckten zeittveise die Gipfel des Gebirges. Alles tropfte und triefte.In Bächen und Flüssen rollten wilde lehmgelbe Wassermassen hinabdie Täler entlang. Wenn ich an die fast ausgetrockneten Flußbettedes Ebro, des Guadalaviar, des Jukar dachte! Und hier so allesFeuchtigkeit, alles Wasser, alles getränkt und gesätttgtvon diesem Naß, das der Landschaft ringsum ein sof>anz anderes Aussehen gibt. Dort das steundlich milde.tille Mittelmeer, das lächelnd die Pracht beschaut, dieringsum an seinen Küsten ausgebreitet ist, hier ein mächtiger trüberOzean, der in diesem großen Winkel zwischen Nordspanien und demsüdwestlichen Frankreich alle seine Sturmeskräste, seine Regenschauer.seine feuchte Luft in Bewegung setzt, um sie gegen das Gebirge.