zu gewohnen, das jeden Sonntag mit dem Gesangbuche in der Hand zur Kirche wanderte und sich auf einen abseits gelegenen Platz setzte. Die Orgel und der Psalmengesang gefielen ihr am besten. Darin fand ihr unglückliches Empfinden eine merkwürdige Linderung, im Psalm stieg es mit tausend harmonischen Stimmen empor, in der Orgel rollte es weit und tief, und sie sang mit und erzählte alles förmlich, ohne sich zu verraten. Aber der alte Prediger, der eine ganz andere Tracht trug, als der Pastor in ihrer Hennat, sprach streng über Gott?s Wille.Wenn Du Dich ernstlich bekehren willst," dachte sie, so mußt Tu Dich wohl auf Gnade oder Ungnade ergeben. Aber gesetzt, er hat einen anderen Willen als Du. Zum Bei- sviel. Du sollst die Maske abwerfen und Mutter alles er- zählen!... Nie! Er mag mich strafen, aber ich tue es nie." Dann kam wieder Gesang. Ein großes, warmes Ein- Verständnis, das nichts verlangte, nur linderte, sie nur er- zählen ließ. In die Kirche sah sie auch jeden Sonntag den Arzt des Kirchspiels kommen, am Arme führte er eine ältere Frau. Sie konnte wohl kaum seine Mutter sein, sie sah wie eine Ar- beiterfran im Sonntagsstaate aus, aber beide kamen stets zusammen, setzten sich nebeneinander und sangen aus dem, selben Buche. Bei Tische brachte Regina eines Tages die Sprache auf beide. Ter Arzt war als ein wohltätiger Mann bekannt. Unterstiitzte er diese Frau? Der Großhändler trocknete sich den Mund mit der Serviette und lächelte dann etwas seltsam. Nein," begann er,sie ist wirklich seine leibliche Mutter. Sie war freilich nie verheiratet, aber sie hat gewaschen und gearbeitet, um den Knaben vorwärts zu bringen und jetzt heimst sie die Ehre ein." Nein, wirklich!" sagte Regina und sah höchst inter- essiert drein. Ja, der Sohn nimmt sie überall mit und sagt zu hoch und niedrig:Dies ist meine Mutter!" und er macht gar kein Hehl daraus, daß die Formen nicht ganz in Ordnung sind. Das arme alte Mädckien möchte sich am liebsten abseits verstecken, aber er pufft sie immer nach vor». Zweifellos geht er nur in die Mrche, um die Alte zu erfreuen und jeder- mann zu zeigen, daß er ihr Sohn ist. Es ist schon fast zur Marotte bei ihm geworden." Zuerst sah Regina ihr eigenes Kind und begann vor sich Hinzustarren, wobei sie den Löffel auf dem Teller vergaß. Aber dann warf sie sofort einen Blick auf den Großhändler und dachte:Ob er mit allem etwas Tieferes meint? Sei vor- sichtig nimm Dich in acht, lache und sprich über etwas anderes!" Und sie tat es. Aber che sie das Abendessen nahmen, hatte sie schon herausgefunden, daß er sich dabei nichts Besonderes gedacht hatte. Und da sagte sie wie im plötzlichem Einfall: Aber wie reden die Leute über den Arzt und seine Mutter?." (Fortsetzung folgt.) (Nachdruck verboten.; proudhon am Setzfeaften* Die vom Abgeordneten Genossen Eugen Fourniere in Paris herausgegebeneRevue Socialiste" beginnt jetzt mit der Beröffent- lichung eines interessanten Artikels über die Jugendzeit des französi- scheu Sozialisten Proudhon , mit dein bekanntlich Karl Marx manchen Strauß ausgcfochtcn hat. Der Verfasser dieser Erinnerungen ist ein Jugendfreund Proudhons, namens August I a v e l, ein begeisterter Anhänger der Fourierschen Schule. Javel, der in Arbois eine Druckerei besaß, bekam im Jahre 1831 einen höchst merkwürdigen Druckauftrag: es spielte damals vor dem Tribunale seines Ortes «in gewaltiger Prozeß, den die Bauern von etwa öv Walddörfern des Juras gegen die Prinzen von Arenberg angestrengt hatten. Um alte Holzrechte ging der Streit. Die Bauern bestritten sie den Prinzen, waren sich aber auch untereinander nicht einig; einer von jenen Rechtsstreiten, die die Freude der Anwälte, die Verzwcifelung der Richter und das Verderben der Parteien sind! Das Beweis- Material in jener Sache bestand in einer Menge sehr alter Urkunden, die zum Teil bis ins 12. oder 13. Jahrhundert zurückreichten und natürlich in einem nichts weniger als leicht lesbaren Mönchslatein verfaßt waren. Um sich ihr saueres Amt ein wenig zu erleichtern, beschlossen die Richter, daß die alten Urkunden abgesetzt und dem Gerichtshose gedruckt vorgelegt werden sollten. Dies war der Auf- trag, der dem Drucker Javel zufiel. Zu seiner Ausführung stand ihm nicht allzuviel Zeit zur Verfügung, da das Gericht oder die Parteien sehr stark auf den Abschluß des Prozesses drängten. In etwa sechs Monaten mutzte die ganz« große Arbeit beendet sein. Dazu kam, daß Javel in seiner Offizin keinen Setzer hatte, der eine genügende Fertigkeit in der Entzifferung und Rechtschreibung des Mittelalter- lichen Lateins besaß. Da er selbst die Arbeit in der angegebenen Zeit unmöglich beenden konnte, so sah er sich nach einer geeigneten Hülfskraft um und wandte sich zu dem Zwecke an einen alten Freund, der in einer damals sehr bedeutenden Druckerei in Besancon an- gestellt war. Herr Flumey, so hieß der Freund, wußte sofort Rat:Dein guter Stern bringt Dich zu mir,' so begrüßte er den Fragenden. Vorgestern hat mein Kollege Proudhon seinen Posten als Korrektor bei uns aufgegeben, um die Chefredaktion desJmpartial"(d. h. des Unparteiischen) zu übernehmen; gestern hat er sie aber schon wieder niedergelegt, seit heute morgen liegt er also auf dezn. Pflaster." Proudhon saß während dieses Gespräches in seinem Zimmerchen und beschäftigte sich mit der Ordnung seiner Auszüge aus wissen- schaftlichen Werken. Sein erster Ausflug aus das Gebiet der poli- tischen Schriftstellerci hatte einen jähen Abschluß gefunden; durch lockende Versprechungen hatte man ihn veranlaßt, die Stelle beim Jmpartial" anzunehmen, aber man hatte bei den Verhandlungen einen Umstand verschwiegen, der es einem Manne von Ehre ganz unmöglich machte, die Stellung zu behalten. Am Morgen des Beginns seiner Redaktcurherrlichkeit saß er in seinem Bureau und schrieb eiligst seinen Leitartikel. Dann rief er den Rcdaktionsdicner und gab ihm das fertige Manuskript mit den Worten:Da, lauf los, in einer Viertelstunde kannst Tu auch das Vermischte und die Annoncen holen!" In einer Viertelstunde? Aber, Herr Redakteur, das ist ja ganz unmöglich!" Na, warum denn," entgegnete Proudhon . Bis zur Präfektur ist ein tüchtiger Weg, und dann muß ich doch auch noch warten, ob der Herr Präfekt nichts zu ändern findet!" Der Mann hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, da hatte ihm der neu gebackene Chefredakteur das Manuskript schon aus der Hand gerissen und es ins Feuer geworfen! Wenn der Besitzer kommt, dann sagen Sie ihm nur, ich sei meiner Wege gegangen." Proudhon war damals erst zweiundzwanzig Jahre alt, in der Druckerei der Gebrüder Gauthier hatte er mehrere Jahre am Setz- kästen gestanden, bevor er zum Korrektor aufgerückt war. Eine Auf- gäbe, wie sie ihm sein Kollege Javel jetzt bot, half ihm nicht nur aus der Not der Stcllenlosigkeit heraus, die der junge Mann in seinem Selbstbewußtsein wohl nicht allzuschwer empfand, sondern schmeichelte auch seinem Berufsstolz; so nahm er denn ohne Besinnen die Stelle in Arbois an, zumal ihm Land und Leute dort behagten. Javel, der im Wagen heimgekehrt war, glaubte scinenl neuen Mitarbeiter einen Dienst zu leisten, indem er ihm ein Zimmerchen neben dem seinen besorgte und an seinem Tisch auch für ihn ein Ge- deck mit auflegen ließ. Als aber Proudhon, der den Weg zu Fuß zu- rückgelegt hatte, in Arbois ankam, hatte er für diese liebenswürdige Fürsorge nur einen knurrigen Dank übrig, so sehr liebte er seine Freiheit und Unabhängigkeit von anderen Menschen, daß er aus alle Fälle sein eigenes Zimmer haben wollte. Javel zog darum mit ihm aus, um ein passendes Lokal ausfindig zu machen. Bei einem alten pensionierten Hauptmann, einem Ueberbleibsel der großen Armee, fanden sie, was sie suchten. Der Invalide, dessen Pension nicht aus- reichte, um ihn und seine zahlreiche Familie zu ernähren, hielt eine kleine Weinwirtschast, in der die bei ihm wohnenden Chambrcgar- nisten einen bequemen Mittagstisch bereit fanden. Die sechste Stunde des anderen Morgens fand Proudhon bereits an seinem Setzkasten. Der Advokat, der die kostbaren Dokumente der Arenbergischen Familie in Verwahrung hatte, verlangte anfangs, daß ihm die Originale, die Proudhon und Javel absetzten, alle Abend wieder in sein Haus zurückgetragen wurden; bald aber legte er selbst keinen Wert mehr auf diese Förmlichkeit, sondern vertraute die wichtigen Papiere den beiden Buchdruckern ohne weiteres an. Da die Arbeit Proudhons einen besonderen Charakter trug, auch in ungewöhnlichen Lettern zu setzen war, so wurde sie nicht nach dem gewöhnlichen Tarif bezahlt. Javel und er hatten ein Abkommen ge- troffen, das ihm ermöglichte, ohne große Schwierigkeiten in acht Stunden seine fünf Francs zu verdienen. Ost sah ihn Javel schon um 2 oder um 3 Uhr aus der Druckerei fortgehen, wenn er seine durchschnittliche Zeilenzahl fertig gestellt hatte. Ein Notar des Ortes, der sich für den gelehrten Seher lebhaft interessierte, holte ihn sast jeden Nachmittag zu einem Spaziergange ab, auf dem dann politisiert und philosophiert wurde. Javel, den sein Geschäft mehr in Anspruch nahm, konnte sich nicht immer daran beteiligen, aber auch er verbrachte manche Stunde in lebhaftem Meinungskampf über die Lehren Fouriers oder ein aktuelles politisches Thema mit seinem Setzer. Proudhon hatte die Angewohnheit, sich immerfort Notizen zu machen. Kein Spaziergang, von dem er nicht die eine oder andere Bemerkung in seinem Taschenbuch oder auf einem Zettelchen heim- gebracht hatte. In seiner Wohnung bewahrte er einen ganzen sorg» [am verschlossen gehaltenen Kasten mit solchen Entwürfen und Ex- zerpten auf. Javel hat uns einen dieser Zettel wiedergegeben, der in einem seltsamen Durcheinander allerlei Bemerkungen über die ökonomische Funktion des Kapitals und über den klerikalen Einfluß enthält; der Schluß lautet kurz und bündig: Oelenck» CarthagoJ (Carthago muß zerstört werden 1)