Im Laufe des Monats Dezember 1831 war der erste Band derKlagcbeantwortung, der die Urkunden enthielt, ausgesetzt, undProudhons Tätigkeit damit zu Ende. Javel machte auch keinen Ver-such, Proudhon zurückzuhalten, da er wohl sah, wie sich der jungeMann auf seine Freiheit freute. Nur ungern ließ er ihn freilichziehen, da er ihn in der Zeit ihrer gemeinsamen Arbeit lieb gewonnenhatte. Und noch jemand war in Arbois, der mit tiefer Trauer demScheidetagc entgegenbangte; das war des alten Hauptmanns Töch-terchen Karoline, eine stille stolze Schöne, mit der Proudhon kaumeinige Worte gewechselt hatte, die aber eine unaustilgbare Neigungzu ihm gefatzt hatte. Gerade, weil diese Liebe niemals sich zuäuhern wagte, glühte sie um so verzehrender. Das arme Kind istdaran zugrunde gegangen. Proudhon aber zog bald nach Paris, umsich dort ganz der Politik zu widmen. In seinem wechselvollenLeben ist die Zeit, da er in Arbois am Setzkasten stand, gewiß auchfür ihn unvergeßlich gewesen.— in.Klcxma Feuilleton.— Die Backhühner der Frau Kantor von Peplowitz waren be-kannt und berühmt im ganzen Ländle. Schade, daß man fie nureinmal im Jahre vorgesetzt bekam, an dem Tage, da man dasKirchenfest feierte. Anfang Juli war das, wenn das Korn sich ver-färbt; da machten sie sich auf, die alten und die jungen Lehrer, dertind jener mit Frau und Tochter, um bei dem Amtsbruder als Gästevorzusprechen. Nicht für ein»Danke schön N Sie zahlten mit—Leistungen.Die damaligen Dorfschulmeister unterschieden sich in zwei Stückenvon den jetzigen Herrn Lehrern: Sie verstanden sich durch die Bankauf Obstzucht, und jeder war ein tüchtiger Musiker. Mancher spieltealle Instrumente. Und mit ihrer Kunst zahlten sie für die Fest-braten. Sie spielten den Peplowitzern eine Festmest'e vor, wie ichso etwas auf einem Dorfchor seitdem nie wieder gehört. Der Kantordirigierte, und an der Orgel saß und spielte den bezifferten Satzvom Blatt weg ein blutjunger Müllergesell.Der Kantor! Mit dem war ich weitläufig verwandt. Es warschon bald nicht mehr wahr. In seiner Jugend war er Primgeigerund Konzertmeister einer Kurkapelle gewesen, weit in der Weltheruingekommen, bis tief nach Rußland hinein. Als alter Mannhatte er zum drittenmal geheiratet, eben die, deren Backhühner be-rühmt werden sollten. Die Tante war dürr, zaunrappeldürr. Undwenn man ihr schmeicheln wollte, sagte man, sie sei beinahe„genau".So konnten Viele eL sich nicht zusammenreimen, weshalb die Frauam Tage des Kirchenfestes cS so hoch hergehen ließ. Ich fragtedanach nicht, stellte mich bei jedem Fest ein, mit der Mutter.So war der Tag des heiligen Ulrich wieder einmal gekommen.Der Mann ist übrigens auch Stadtpatron von Augsburg und überallgeschätzt, wo man gern Bier trinkt.Während der Predigt gelang es mir, mich hinauSzudrückeu. DenKirchberg Hinabi Und. wie aus der Erde gewachsen, stand ich miteinem Male vor der Mutter und der Tante, die in einem großen,eisernen Topf, in dem ausgelaffene, ungesalzene Butter brodelte undspritzte, nach Backhühner-Vierteln fischten. Die roten Gesichter sahennicht besonders freundlich aus. Aber ich mochte wohl dagestandenhaben wie ein Jagdhund, mit.hängenden, gierigen Lefzen: DaSharte Herz der Tante bekam einen Stoß. So dachte ich wenigstens.Sie gab mir ein Stück und sagte ganz katzenfreundlich:„Da iß', geh' aber in dre Schulstube hinüber, daß Dich nie-mand sieht."Brav, wie ich immer war, folgte ich aufs Wort. Im Schul-zimmer, aus dem man die Bänke geräumt hatte, stand eine lange,gedeckte Tafel. Ich setzte mich obenan und ließ mir's schmecken.Aber nichts dauert ewig. Und mit sechs, sieben Jahren ist man garnicht satt zu kriegen. Ms ich die Knochen zum drittenmal abgenagthatte, ging ich wieder hinüber.Sagte die Tante, während sie die gehäufte Schüssel betrachtete:„Es langt nicht!"Und die Mutter meinte:„Ich glaub' auch."Schnell war die Lehrerin aus dem Zimmer. Aber ich kam ihrnach und sah, wie sie im Stall ein junges Kaninchen erwischte, ihmhinter die Ohren schlug und sogleich den Balg abzog.Nach einer Weile rannte ich mit einem Anlauf in die Küche.Die Mutter stellte sich sofort vor die Tante, die mit einem bluttgenMesser hantterte, und schrie:„Nimm Dir noch ein Stück und gehl"Ich suchte mir das schönste aus. Drüben in der Schulstnbesaßen schon einige alte Männer und tranken Bier. Sie mußten auch§ unoer haben, sie sahen mir immer auf die Finger. Das zweitetüa schmeckte noch besser als das erste.Und jetzt wurde ich ganz frech. Kerzengerade ging ich in dieKüche und sagte:„Tante, wenn Du mir nichts mehr gibst, sage ich, woher DeineBackhühner stammen!"„LauSbub I"Bald hätte ich zwei Ohrfeigen auf einmal auSgefaßt. Im letztenAugenblick duckte ich mich noch. Ich blieb fest. Da hielten dieFrauen Rat. Ich bekam noch ein Sttick und noch ein Stück, wurdeaber droben in eine Dachkammer gesperrt. Später, als ich mitbeiden Fäusten an die Tür trommelte, brachte mir die Mutter Brat-würstc auch noch, und ich hörte, wie sie unten das»arme Dorffchubmeisterlein" sangen.Auf einmal wurde mir schlecht. So schlecht I Ging dem, dasSterben schon an?--Jahre später, es war wieder das Pcplowitzer Fest gelvesemmarschierte ich hinter zwei Lehrern drein.Sagte der eine, dessen Rockschöße sich bauschten:„Die Backhühner waren wieder delikat!"„Sehr wohl!" fiel der andere ein.„Aber sagen Sie nur, HerrKollega, ist nicht auch Ihnen schon aufgefallen, daß in Peplowitz dieHühner keine Flügel zu haben scheinen?"„Flügel? Da Hab' ich wirklich nie hingeguckt. Das Fleisch istzart und rein weiß. Das genügt!"Der Jüngere entgegnete kein Wort.Ich sagte auch nichts.—wr. Oller Stiesel.— Als ich mich am Montag um 7 Uhrmorgens auf meiner gelvohnten Wanderung durch die Stadt befand.hörte ich nicht weit von einer Straßenecke einen Arbeiter auf seinemRade mit enttüsteter Miene ausrufen:„Oller Stiesel I" Diese Höf-lichkeit galt einem etwas tapsig aussehenden übermüdeten Bahn-beamten, der noch dazu während seines Nachtdienstes etwas zu tiefin die Flasche geguckt haben mochte. Der Radfahrer war äugen-scheinlich mit diesem Untertan Buddes in hemmende Berührung ge-kommen, denn die vom am Rade hängende Kaffeekanne schwanktebedenklich. Der Bahnbeamte regte sich über diese ficherlich nichtwohlgemeinte Bezeichnung kaum merklich auf, sondem winkte demBeleidiger in nicht mißzuverstehender Weise zu, ruhig weiter zufahren und seine Weisheit bei sich zu behalten. Es ist überhaupt eineEigentümlichkeit der Berliner Wagenführer, einander auf der Straßebei etwaigen kleinen Reibungen die grausamsten Wahrheiten zusagen und dann unbekümmert weiter zu fahren, ohne die gemütlicheErregung weiter wirken zu lassen. Auch hier spielt der olle Stieseleine_ häufig wiederkehrende Rolle. WaS heißt denn nun eigentlichStiesel? Man ist geneigt, in dieses Wort den sinn des Unhöflichen,Rücksichtslosen und Tapfigen hineinzulegen und trifft damit wohldas Richttge. Denn das Wort Sttesel, das richtiger Stüsel lautete,geht zurück auf ein nur im Oberdeutschen zu findendes stauen oderstäuen, das mit dem anderen bekannteren niederdeutschen stauen<z. B. Wasser) nichts zu tun hat. Es ist eine Fortsetzung deSalthochdeutschen stoutvan, des mittelhochdeutschen stouwen, stonwen.stoun, stöun, das die Bedeutung anklagen, schelten, Einhalt tunhat, z. B.:Das man etliche Knecht verordnet, die den Leuten stowen wollen.«Narrcnschiff, Seite 200.)Im Bayerischen erscheint es in der sinnlicheren Bedeutung vonstellen, stützen, stemmen, z. B. den Arm auf den Tisch stäuen. EinStiisel wäre also zunächst das, lvaS stützt, stemmt, ein Pfahl, Klotz,mithin in bildlicher Bedeutung etwas Starres, Unempfindliches.Heranzuziehen wäre vielleicht noch das Verbum staunen in seinereigentlichen Bedeutung des Starrseins. Dies Wort ist ebenfallsoberdeutschen Ursprungs und kommt bei schweizerischen Schriftstellernnoch heute in der angegebenen Bedeutung vor. z. B. der wie eineBildsäule staunend zu Pferde saß.' sGottfried Keller, Sinn-gedichte 31.)—— hl. Chinesische„Rechtspflege". Ein französischer Beobachter,der Oberstleutnant Berraux, teilt in„Le Tour du Monde" inter-cssante Einzelheiten mit, die er während der Boxerunruhcn und inter»nationalen Besetzung des Landes von 1900/01 gesammelt hat und dieüber den Gang der chinesischen Rechtsordnung allerlei Neues ent«halten. Der"Mandarin ist der oberste Gerichtsbeamte seinesDistrikts, er hält feine Sitzungen an einem bestimmten Tage ab undspricht frei oder verurteilt, straft oder begnadigt, aber in Wirklichkeitist nicht er es, der die Entscheidungen herbeiführt, sondern einerseiner Untergebenen, der Rechtsgelehrte. Dieser ist im Grunde diewichtigste Person; er prüft die Fälle, hat sein Ohr überall, er gibtdem Mandarin sein Urteil ab. Darum muß er auch vor allein un»bestechlich und unbeeinflutzbar sein. In weiser Boraussicht dessenbestimmt das chinesische Gesetz, daß er niemals mit den Parteiendirekt verhandeln darf, er soll als unabhängiger Beobachter über demGanzen stehen. Doch diese Bestimmung steht wie so viele andere imchinesischen Recht nur auf dem Papier. In Wirklichkeit gibt es keinLand, in dem es bestechlichere Richter gibt, und ungerechtere Urteilegesprochen werden als in China. Nirgends auch ist daS Recht mehr inFormalitäten erstarrt, und dennoch gibt es nirgends mehr Prozesseals im himmlischen Reich. Jemand, der sich mit dem Gericht ein»läßt, wird zunächst einige Monate hingehalten und muß immer wie»der bezahlen. Schließlich wird seine Klage angenommen, dafür mußer wieder eine größere Summe bezahlen. Dann rücken einige Unter»beamtc bei ihm ein, um die Sache zu untersuchen, setzen sich bei ihmfest, zehren ihn fast bei lebendigem Leibe auf, wie die DragonerLudwigs XIV. die armen Hugenotten, und der Chinese ist so ge»wöhnt an diese Aussaugung durch die Gerichtsbcamten, daß er allesgeduldig erträgt und doch immer wieder klagt, immer wieder beiallen Streitigkeiten das Recht anruft. Bei den schweren Verbrechenund großen Prozeffen erscheint der Mandarin selbst mit seinenDienern und Experten, die Sache zu besichtigen und zu untersuchen.Diese Sachverständigen müffen ebenfalls bestochen werden, sonst wirdman von ihnen kein günstiges Gutachten erhalten. Sie werden dannvielleicht bei einem Mord erklären, wenn der Mörder sein Geld nichtgespart hat, daß der Tod durch einen Unglücksfall herbeigeführt wor-