Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 65.

Onl

8]

Gnu siglo

Freitag, den 31. März.

( Nachdrud verboten.)

Eine Pilgerfabrt.

Von Johan Bojer .

Autorisierte Uebersetzung von Adele Neustädter.

"

Der Großhändler lachte. Die Leute! Glauben Sie, Dr. Lindheimer fümmert sich um das Geschwätz der Leute! Einmal hörte ich ihn in einer Gesellschaft bei Tische zu dem neben ihm sizenden Prediger sagen:" Ich danke und preise meine Mutter, daß sie ein Kind bekam. Sonst existierte ich ja nicht, und wahrhaftig, ich freue mich zu leben. Herr Pastor prost den Frauen, die nicht heiraten und doch ihre Bestimmung erfüllen, einen Nachkommen in die Welt zu setzen." Der Pastor wurde so verwirrt, daß er mit ihm an­stieß. Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen." Regina brach in ein sonderbares Lachen aus und beeilte sich wieder über andere Dinge zu reden.

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Von diesem Tage an setzte sie sich in der Kirche immer so weit zurück, daß der Arzt und seine Mutter vor ihr Platz nahmen. Er war ein robuſter kräftiger Mann, Haar und Bart waren schon ergraut, nur am geröteten Hals wuchsen noch dunkle geloďte Haare. Die Mutter sah so unscheinbar aus, schmal und abgearbeitet.

Von jetzt an vergaß Regina zuweilen zu singen, diese beiden regten ihre Gedanken so sehr an. Vor dieser Frau empfand sie einen wahren Respekt. Sie hatte nicht allein das Urteil und die Verdammung der Welt auf sich genommen, sondern sie hatte den Knaben zu seiner Stellung erzogen. Und jezt saß sie neben ihm, wie neben einem großen voll­brachten Werk.

" Und Du?" wurde ihr ins Ohr geflüstert. ,, Was hast Du getan? Du fonntest nicht anders handeln- nein. Aber jene? Was würde sie wohl über Dich sagen, wenn sie es wüßte? Was hast Du getan? Dieses Kleid? Dieser Hut? Diese Handschuhe, woher hast Du das Geld bekommen?"

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Und hinter dem vergnügten Gesicht begannen neue Grübeleien ihr unheimliches Netz zu spinnen. Eines Tages geht sie zum Großhändler, nimmt Vorschuß, bekommt die volle Summe, schickt das Geld dem Professor und bittet ihn, es weiter zu befördern.

Aber die widerliche Tat war an und für sich doch getan fie flebte ihr für's ganze Leben an und sie schien sie niemals abwaschen zu können.

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Sie begann die Kirche zu meiden. Sie vermochte nicht mehr, dort zu sitzen und die beiden zu sehen.

Keine Freundinnen, feine Berstreuung lüfteten ihr Ge­müt. Tag für Tag dieselbe Arbeit, dieselben Zimmer, dieselbe Maske vor der Welt, und denselben verschwiegenen Kummer. Wo das Kind wohl jetzt war? Ging es ihm auch wirklich gut? Wenn sie denselben Mut besessen hätte wie diese Frau! Im nächsten Augenblice lachte sie wieder. Alles erschien ihr zu unmöglich, Amerika ? Ja, das war eine andere Sache.

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1905

Himmel konnte so blank und klar sein, daß die einzelnen Fichten ihre Spigen in meilenweiter Entfernung abzeichneten. Aber nach Süden hinab versanken alle Wölbungen in der Ebene, die sich gegen den fernen Horizont am Meeresrande abtönte.

Dann folgten Tage mit Sturm und Regen, und wenn sie über den großen Hofraum lief, jagte der Win oft die Hobelspäne aus den Fabriken über ihren Kopf. Wenn dann der Abend kam, die Jalousien herabgerollt und die Lampen angezündet waren, lagerte eine unendliche Leere in diesen großen Räumen, denen nur zwei Menschen Leben einhauchten. Regina pflegte des Abends im Speisezimmer zu nähen, während Flaten sich in dem kleinen Zimmer seiner ver­storbenen Frau aufhielt. Eines Abends kam er jedoch heraus und sagte zu ihr:

Hören Sie, liebes Fräulein, wir haben wirklich nicht nötig, es hier noch leerer und ungemütlicher zu machen. Wollen Sie sich nicht zu mir hereinsetzen? Dann ist keiner allein."

Sie folgte ihm schweigend. In dem kleinen behaglichen Raume, wo Nähfasten, Kissen, Schreibzeug und Potographien an die verstorbene Hausfrau erinnerten, hatte er den Kamin angefeuert, und die Flamme verbreitete eine behagliche Wärme. Wenn sie an diesen Herbstabenden zusammen saßen, sie über die Näharbeit gebeugt, er ein Buch in der Hand hielt, dann war es nicht zu vermeiden, daß sie einander näher traten, fie waren ja auch Landsleute in einem fremden Lande. Er er­zählte ihr von seiner Jugend in Hamar und sprach über seine Abenteuer in ausländischen Städten.

wenn er diskret war, so war es eigentlich verdächtig. Frug Sie erwartete, daß er sie auch näher ausfragen würde. er hingegen, so mußte sie wieder zur Lüge greifen.

Aber er frug nicht. Er wußte vielleicht alles. An­genommen, daß er alles wußte?

fern verborgen, damit das Kind und sie sich niemals finden Man hatte sie wohl aus Berechnung hergeschickt. Sie sollten. Man glaubte, sie würde es schnell unter neuen Ein­brücken vergessen, sich vielleicht verlieben, wieder verheiraten, vergessen. Sollten sie recht behalten? Und mitleidig hatte man hielt sie für so oberflächlich, alles möglichst schnell zu man ihr das Geld in die Hand gedrückt: Bitte, nun gehört das Kind uns! Verschwinde und zeige Dich nie mehr!" So tief war sie gesunken. Und sie fand sich drein. Sie, fich nicht. Sie war nicht besser. Sie ließ sich gebrauchen. Sie schlief, lachte. Ja, weiß Gott , sie fand sich in alles. Sie irrten besaß keinen Stolz.

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an. Sie jaß vor dem Feuer, über die Näharbeit gebeugt, und Der Großhändler las anscheinend, sah sie jedoch oftmals zu beiden Gesichtsseiten nieder, verbarg die Ohren und war tief jah jo jung, so ernst und so schön aus. Das dunkle Haar fiel im Nacken zu einem Knoten zusammengewunden. Die langen gesenkten Augenwimpern machten den Blick so rätselhaft, der

und war straff geschlossen. Sie trug täglich ein dunkel­wollenes Blusenkleid, ohne jeden Schmuck, keine Broscht am Halse, nicht einmal eine Uhrkette.

" Fräulein Asolt, woran denken Sie?" denken Sie?" Der Groß­händler lächelte sie an.

Der Schaukelstuhl wurde den ganzen Abend geschwungen, und sie starrte nach Westen über die blauen Gipfel, als könne sie wieder Macht über ihr Gesicht und lächelte: das Hinausstarren etwas nüßen.

Aber dieses Kind, woran sie solch eine große Schuld be­gangen, begann sich jetzt merkwürdig lebendig zu gestalten.

Sie fuhr aus ihrem Brüten auf. Aber sofort gewann " Ich? An nichts Besonderes."

Dann las er wieder und sie nähte weiter.

Ja so, er beobachtete sie. Er amüsierte sich vielleicht, daß

Und je länger sie hinausstarrte, umsomehr grübelte sie, wo es sie hier dem Anscheine nach das junge unschuldige Mädchen jett wohl sein könnte.

Und in dieser Zukunft, die ihr bisher so hoffnungslos dunkel erschienen, entzündete sich gleichzeitig ein kleiner Funke, dem sie immer entgegenstarrte. Und der kleine Funke gewann immer mehr Leben, scharte kleine lichte Träume um sich und leuchtete flarer und klarer.

VIII.

spielte. Und wenn er nun wirklich wußte, daß sie ihr Kind an Fremde weggeworfen und dafür Geld genommen hatte- mußte er sie dann nicht verachten. War es zu verwundern, wenn er eines Abends an ihre Türe klopfte. Die Nadel flog immer schneller.

Der Großhändler blickte sie wieder an. Er sah nur ihre roten Hände in dem roten Schein der Flamme, die jungen glatten Finger, ganz unberingt. Hatten sie jemals einen ge­tragen? Er hätte nach tausend Dingen fragen mögen, schob es immer wieder auf, aus einer unerklärlichen Angst vor Ent­täuschung.

Der Herbst war mit warmen milden Tagen gekommen. Aepfel- und Birnbäume standen mit roten und gelben Früch­ten; das Laub rötete sich im Sonnenlichte. Und wenn sie durch die weißbestreuten Wege ging, blieb sie oft stehen und blickte auf die sinkende Linie der Fichtengipfel hinab, wo der Aber jetzt steht er plötzlich auf und sagt gute Nacht, ob­Sonnennebel wallte und wo gelbe Rosetten welfer Laubwälder wohl es ungewöhnlich früh ist. Er bemerkt, daß sie ganz die langen Fichten- und Kieferwaldrücken bestickten. Der erregt ist. Worüber mochte sie nur immer grübeln?

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