und fie erscheint auch hier wie anderwärts als der gefährlichste und hartnäckigste Feind der Volkswohlfahrt.—(»Prometheus.") ka. Das menschliche Elend in den englischen Obstkammern schil» dert in anschaulicher Weise A. G. G r a n t in seinem von uns be- reits angezogenen Werke„Internationaler Obstbau und der Welt» markt."(Verlag von Fr. Meyer, Hamburg -Eilbeck .) Die Löhne, welche die Pflücker des Obstes in den Beerenobstjustrikten ver» dienen, sind so geringe, daß kein„anständiger Mensch" sich als Tagelöhner in die Plantage begeben will. Profitgier und Konkurrenz haben die Jagd nach billigen Arbeitskräften auf den höchsten Gipfel des Erreichbaven getrieben und die Arbeiter auf das niedrigste Niveau der Lohnsklaverei gebracht. Das ausbeutungsfähige Menschen- Material finden die Obstfarmer in den Parias der Gesellschaft, den Ausgestotzenen, die als heimatlose„Vagabunden" ohne Obdach und Verdienst das Stratzenpflaster der Großstädte treten, jenen tramps, die in einer Anzahl von 37 000 allein in London vorhanden sind und in ihrem offen zur Schau getragenen krasien Elend die christlich. bürgerliche Gesellschaft in der fürchterlichsten Weise anklagen. Für jene zerlumpten und niit Ungeziefer aller Art behafteten Leute, die oftmals seit Wochen„keinen warmen Löffelstiel im Leibe gehabt" haben und seit Monaten selbst die Nächte obdachlos verbrachten, be- deutet die Obstsaison oft den einzigen Lichtblick in ihrem kümmer- lichen Dahinvegetieren. Wenn in Kcnt die Kirschen zu reifen be- ginnen, dann hebt in London die Auswanderung dieser Aermsten der Armen nach den herrlichen Obstgärten an; sie erreicht ihren Höhepunkt, wenn die Erdbeerenernt« in vollstem Schwünge ist. Tausende von tramps und„SIum"-Bcwohnern verlassen dann die Riesenstadt an der Themse und wandern durch die südöstlichen Vor- städte nach dem Dorado der Beerenobstkultur, wo sie sich einzeln oder gruppenweise den Farmern zur Ausbeutung zur Verfügung stellen. Da für die Beherbergung dieser Proletariermasscn nur in den selten- sten Fällen irgendwelche Vorkehrungen getroffen sind, so Hausen Männer, Frauen, Knaben und Mädchen oft unter den schauderhaste- sten sanitären Verhältnissen, die geradezu eine Gefahr für die be- nachbarten Gemeinden in sich schließen. Weit größer aber noch ist die Gefahr für die Obstkonsumenten. Die medizinische Zeitschrift „Lancet" schrieb kürzlich, der größte Teil der Früchte werde gepflückt von den zerlumptesten und schmutzigsten Leuten,„die reinlich veran- lagte Menschen nicht einmal mit der Zange anfassen würden." In der Tat wollen selbst die Landleute in den Obstdistrikten, mögen sie noch so arm sein, niemals Früchte anfassen, die durch solche?ruit- pickers gepflückt wurden. Di« einzige gerechte Tatsache im Ver- laufe der Dinge ist die, daß jene von schmutzigen, mit Ungeziefer bedeckten und durch das elendeste Proletarierleben mit Krankheiten verseuchten Menschen gepflückten Früchte eben nicht bloß von den Arbeitern der Großstädte, sondern auch von jenen„Zierden der Ge- scllschaft" genossen werden, deren enormer Luxus nur möglich ist durch die Proletarisierung, ja Vertierung ungezählter Menschen- kinder. Nur wenige Obstfarmer haben bisher diese unglaublichen Zustände zu ändern getrachtet.— Auch in Deutschland werden übrigens Lumpenproletarier vielfach während der Obsternte ver- wendet, z. B. in Mitteldeutschland . Schreiber dieses entsinnt sich, während einer Bauarbeiteraussperrung einen Streikbrecher unter einem auf der„Herberge zur Heimat" in Halle aufgelesenen Trupp Desperados angetroffen zu haben, dessen einziges Legitimationspapicr ein Entlassungsschein war, auf welchem geschrieben stand: Beruf: Kirschenpslücker.— Medizinisches. hr. Die epidemische Genick st arre. Die starke Aus- breitung der epidemischen Genickstarre in den verschiedenen Gegenden Deutschland scheint, zumal wenn man die Statistik der letzten Jahre zum Vergleiche heranzieht, daraus hinzudeuten, daß diese gefährliche Krankheit in der Zunahme begriffen ist. Denn in Preußen wurden im Jahre 1902 125 Erkrankungsfälle gezählt, während diese Zahl 1900 bloß 99 betrug. 70 Prozent der Erkrankten starben, während im allgemeinen die Sterblichkeit an dieser Krankheit bloß 30— 40 Prozent beträgt. Die Genickstarre gehört zu den jüngsten Volks- krankheiten, sie ist erst im letzten Jahrhundert aufgetreten, in Deutsch - land ist sie erst seit den KOer Jahren heimisch geworden, seitdem ver- geht kein Jahr, in welchem nicht eine mehr oder minder ausgebreitete Epidemie zu verzeichnen ist. Die Krankheit ist eine eminent soziale Krankheit, hygienische Mißstände, wie schlechte Ernährung, schlechte Wohnungsverhältnisse, Mangel an Luft und Licht begünstigen ihr Entstehen, daher sind die Insassen der Gefängnisse und Arbeitshäuser besonders bedroht. Epidemien treten mit Vorliebe in Keller- und Hofwohnungen auf, wo arme, kinderreiche Familien zusammengedrängt wohnen. Mit Vor- liebe wird das Militär befallen und von diesem oft die Krankheit nach anderen Orten verschleppt. Bei der Entstehung der Militärepidemien werden oft körperliche und geistige Ueberanstrengungen als Ursache beschuldigt. Besonders häufig werden Rekruten von der Krankheit ergriffen; in Frankreich hat man mehrfach die Wahrnehmung ge- macht, daß möglichste Erleichterung vom Dienste das wirksamste Mittel war, um die Epidemie zum Erlöschen zu bringen. Auch meteorologische Einflüsse scheinen sich geltend zu machen, denn ge- wöhnlich treten die Epidemien im Winter und Frühling auf. Vor- wiegend werden Kinder und jugendliche Personen befallen, Personen, welche das dreißigste Jahr überschritten haben, erkranken selten. Di« Krankheit besteht in einer eitrigen Entzündung der weichen Gehirn- und Rückenmarkshäute, doch setzt sich dieselbe auch häufig auf das Gehirn und das Rückenmark selbst fort. Die Symptome sind die» jenigen eines schweren Gehirnleidens: Kopffchmerzen, Erbrechen, Be- nommenheit und Steifheit des Nackens. Die eitrige Entzündung setzt sich sehr häufig nach dem Gehörorgan fort, daher bleiben andauernde Gehörstörungen sehr häuftg nach Ablauf der Krankheit zurück. Bei kleinen Kindern kann Taubheit die Folge des Gehörverlustes sein. Die Dauer der Krankheit beträgt mindestens 3— 4 Wochen. Die Krankheit wird durch einen Parasiten hervorgerufen, der öfters im Nasenschleim der Kranken gefunden wurde. Da die Ueber- tragung der Erkrankung von einer Person zur anderen in vielen Fällen wahrscheinlich ist, so ist zur Verhütung der Weiterverbreitung der Erkrankung notwenig, daß die Erkrankten abgesondert werden und daß die Familiengenossen vom Schulbesuch ferngehalten werden. Die Wohnräume, die Kleider, die Wäsche, namentlich die Schnupf» tücher, müssen desinfiziert werden. Auswurf und Nasenschleim dürfen nicht auf den Boden gebracht werden. Infizierte Wohnräume müssen unter Umständen gänzlich geräumt werden. Notwendig ist die Besserung der Lebensverhältnisse derjenigen Menschenklassen, welche von der Seuche besonders bedroht lverden, namentlich hinsichtlich Er- nährung, Luftgenuß usw. In Epidemiezeiten mutz der Einzelne in bezug auf körperlich und geisfige Anstrengungen Maß halten und sich vor Exzessen jeder Art in acht nehmen.— Huiuoristisches. — Belohnung. Junge Frau(beim Mittagessen er- zählend):„... Zuerst Hab' ich der armen Frau zwei Teller Suppe gegeben, und dann hat sie noch fünfzig Pfennig bekommen!" Mann:„Die hatte sie auch verdient I"— — Ein Praktikus. Tourist(zum Führer):„Früher fand man auf dieser Höhe Quellen, aus denen frisches Trinkwasser sprudelte..." Führer:„Ja wissen S', gnä' Herr, die hat der Wirt vom Unterkunftshaus alle verstopfen lassen I"— — Ein moderner Junge.«Na, Karlchen, heute ging'S ja wieder'mal recht lebhast zu im Arbeitszimmer Deines Vaters! Was war denn da los?" „Weißt Du. Onkel, ich und Vater waren wieder einmal ver« schiedener Meinung in einer Sache, und dabei überschreitet er leicht die Grenzen sachlicher Würde und betritt das persönliche Gebiet!" „Aha, und das flatscht dann immer so I' („Fliegende Blätter ".) — Aus dem Gerichtssaal. Der„Franks. Z." wird ge- schrieben: Vor dem Schöffengericht einer kleinen rheinischen Stadt steht der Jupp(Joseph) Schnütz. Er ist angeflagt, unberechtigter- weise gefischt zu haben. Auf die Frage des Vorfitzenden, weshalb er an dem Bache geangelt habe, erklärt Jupp, daß er sich als Ein- wohner seines Dorfes dazu berechtigt geglaubt habe. Vorsitzender:„Also Sie fischten mit bona fickes?" Schmitz:„Nä. Herr Präsendent, mit ner Wurm." Vorsitzender:„Sie verstehen mich nicht. Ich meine, ob Sie in gutem Glauben fischten?" Schmitz:„Dat versteht sich, römisch-katholisch 1"— Büchereinlauf. — Grotthuß, Jeanuot Emil Freiherr von: Bücher der Weisheit und Schönheit. — Maxim Gorki . Auswahl aus fernen Schriften, herausgegeben von August Scholz . Stuttgart . Greiner und Pfeiffer. Preis geb. 2,50. Mark.— — Duimchen, Theodor: KopfundHerz. Roman. 3. Auflage. Berlin . Hüpeden rr. Merzyn.— — Krauß, Fried r. S.: Kulturgeschichtliche Ro» m a n e. Band I. Leo Norberg: Fräulein Kapell» meister. Band II. Leo Norberg: Millionenwahn» sinn. Leipzig . Deutsche Vcrlags-Aktiengesellschast. Preis je 3 M.— — MarroPratesi: VenezianischeErinnerungen. Deutsch von E. Müller-Röder. Berlin . Hüpeden u. Merzyn.— — Oppeln-Bronikowski, Friedrich von: Aus dem Sattel geplaudert. Zweite, völlig umgearbeitete und be- deutend vernrehrte Auflage. Berlin . Hüpeden u. Merzyn. Preis 2 Mark.— — F. A. Esche: Ritter der Landstraße. Nach den Tagebuchblättern eines Handwerksburschen. 4. Auflage. Kiel . Robert Cordes. Preis 1 M.— — F. 28. F ö r st e r: Lebenskunde. Berlin . Georg Reimer . Preis geb. 0 M.— — Aus Natur und Geistesleben.— R. Vater: Dampf und Dampfmaschine. Mit 44 Abbildungen.— R. Börnstein und W. Marckwald: Sichtbare und unsichtbare Strahlen. Mit zahlreichen Abbildungen im Text.— Tb. Volbehr: Bau und Leben der bildenden Kunst. Mit 44 Abbildungen. Leipzig . B. G. Teubner. Preis des gebundenen Bändchens 1,25 M.— — Alfred Groß: Elektrizität und MagnetiS » mu s. Mit 285 Abbildungen. Stuttgart . Strecker u. Schröder. Preis geb. 3 M.— iLeranttvortl. Redakteur: Paul Büttner , Berlin.— Druck und Verlag: VorwärtsBuchdruckereiu.VerlagsanstallPauI Singer LiCo.,BerlinLV/,
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22 (2.4.1905) 66
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