Lchwarm von Insekten und Regenwurm ern durchpflügt dann den Boden auf das gründlichste. Wenn sich infolgedessen die Pflanzen- reste in ein bis zwei Jahren vollständig chemisch und mechanisch zersetzen, so bildet fich ein Boden gesegneter Fruchtbarkeit, auf dem die herrlichsten Wälder gedeihen oder, wenn sich der Mensch seiner bemächtigt reiche Ernten die Arbeit lohnen. DaS sind die Mull- böden, denen Mitteleurpa und Nordamerika ihren Reichtum verdanken. Ganz anders gestaltet sich jedoch derselbe Mneralboden, wenn überwiegend kühle Temperatur und viel Niederschläge die Bakterien- flora beeinträchtigen. Da überwuchern bald die Fadenpilze, die Zer- fetzung der Abfallstoffe schreitet nur langsam vorioärts. sie lagern sich bald zn festen, zähen Massen zusammen, in denen die Regenwürmer ungünstige Existcnzbedmgmtgeu finden, weshalb sie auch ausbleiben. Auch die sonstigen kleinen Bearbeiter der Erde find nur spärlich vor- Händen, weshalb der Boden roh, unbearbeitet bleibt. Das sind die Rohhumusböden, welche die Länder arm machen. Denn nur wenige Pflanzen können sich mit solcher Armut an brauchbarer Nahrung begnügen; die Buche und Fichte bildet zwar noch Wälder, aber diese haben immer die Neigung, in Heide- und Moorbildung überzugehen. Daher rührt das düstere und einförnnge Landschasts- bild, das die nordischen Gegenden oder die Hochlagen unserer Mittel- gebirge bieten. Der kleine Unterschied zwischen Bakterien- und Pilz- böden entscheidet dann an der Kette des Geschehens über das Antlitz der zivilisierten Erdteile. In der Sprache der Bodenchemie drückt man diesen Unterschied sehr verständlich aus. Der Chemiker unterscheidet in dem Humus saure Verbindungen, die reich an Humussäure find, und hochoxydierte neutrale Stoffe, die sich nur bei sorgfältiger mechanischer Durch- arbeitung, also in lockerem Boden bilden können. Tie Humussäuren sind ftir die Pflanzen wohl ebenso schädlich wie Salzgehalt und Kalkreichtum— ihnen können fich nicht alle Gewächse anpassen, und das bedingt eine besondere monotone Vegetation der Rohhumus- böden, vielleicht auch besondere Schutzanpassnngen der Pflanzen an sie. Der saure HumuS wird in den einschlägigen Schriften ge- wohnlich als Torf bezeichnet, welcher Ausdruck aber vielleicht des- halb nicht besonders glücklich gewählt ist, weil man sich gewöhnt hat, unter Torf nur eine besondere Form der Rohhumusböden, den bei übermäßigem Wafferzutritt entstehenden nassen Torf, zu Per« stehen. Mit diesen Kenntnissen kann nian sich die Melgestaltigkeit der heimatlichen Natur leicht erklären. Man versteht nun den lieb- kichen Wechsel zwischen Heiden, Wäldern, Mooren und üppigen Wiesen. Das Wasser bestimmt ihn in großen Zügen, im Dctail hängt er von der Bodenstora ab. Dort, wo heftige Winde unmittelbar zum Boden gelangen und ihn übermäßig austrocknen, verschwinden Bakterien und Regenwürmer. Der Boden wird fester, die Pflanzenreste bilde» einen schlecht durchlüfteten Filz, in dem die Bodenpilze üppig gedeihen. Das schwarze Cladosporinm, das wir schon erwähnten, stellt fich zu Myriaden ein. Aus dem Mull wird Rohhumus— und die Vegetationsdecke des Bodens muß wechseln. Ist eS eine trocken« Stelle, dann siedeln fich mit Vorliebe die be- scheidenen Heidekräuter an, und aus Wald oder Wiese wird schwer- mutig düstere Heide; ist die Stelle geeignet zum Wasierzusammen- fluß oder sehr vielen Niederschlägen ausgesetzt, so bedeckt sie sich langsam mit Moosen , zuerst mit vielgestaltigen Ast«, bald mit ein- förmigen Torfmoosen. Es entsteht ein Hochmoor. Das gleiche wiederholt sich aus tausend anderen lokalen Ur- fachen. Ucberall, wo Trockenheit, Kälte oder Näffe die Boden- bafterien vertreiben, fiedeln sich die Pilze an, und es entstehen die Heiden und Moore . Ter moderne Forstmann weiß das genau und fiihrt deshalb einen steten und erbitterten Kampf mit� den Bodenpilzcn. Er liebt die dem Naturfreund so trauten Farnkräuter, die Heidel- und Preißelbeeren, das zierliche Heidekraut nicht, denn sie sind Pflanzen des RohhmnuS und Anzeichen der Waldboden- Verderbnis. Er weiß, daß sie alle flach wurzeln und daß ihr Vor- handensein ein Zeichen ist, daß die tieferen Bodenschickten schlecht durchgearbeitet werden. Bei jedem Kahlschlag, den er aus irgend welchen Gründen vornehmen muß, hat er Angst: nun kommt die Heide oder das Moor in seinen Wald hinein. Fast alle Moore des Nordens und unserer Gebirge sind durch unvorsichtige Waldverwüstung entstanden. Prächtige Beobachtungen über die Umwandlung � der Flora.durch Aenderung der Bodenbeschaffenheit machte P. E. Müller in Jütland . Dort tobt gegenwärttg ein erbitterter Kampf zwischen den Eichenwäldern und dem Heidekraut. DaS Land ist von kleinen Plateaus durchzogen. auf denen sich merkwürdige KrankheitS- erscheinungen in den Eichenwäldern zeigen. Der Wald ist offen, die Beslockung mangelhaft, die Bäume elend und verkrüppelt, mit Flechten behangen. Das Unterholz ist nur sehr unvollständig ge- schlössen. Dazwischen wuchert Heidekraut, und je mächtiger und üppiger eS grünt, desto verfallener wird der Wald. Schließlich finden sich nur noch abgestorbene und umgestürzte Stämme, an deren Stelle sich dichtes Eichengebüsch erhebt, das noch viele Kilo- meter weit in die jütische Heide hineinreicht. Das sind die Reste der alten berühmten Eichenwälder, die feit einiger Feit von der Heide verdrmrgt werden. Der Boden geht langsam in Rohhimms über— vielleicht waren es zunehmende Westwinde, vielleicht unvor- fichtige, an ungeschickten Stellen angelegte Kahlschlage, die Windtore öffneten und damit den Sieg der Heide über die hundertjährigen Bäume ermöglichten. Und was in Jütland geschieht, zeigt sich auf der LLnebnrger Heide, an den Küsten der Nordsee , im Osten Deutschlands , sin nördlicheren Europa überall, wo man aus Unkenntnis oder Leichtsinn es der Natur ermöglicht, den Mull in Roh« Humus umzuwandeln. Dies geschieht sehr leicht. Schwer hingegen ist es, einen sauer gewordenen Boden wieder„milde" zu machen, wie es die Praftiker nennen. Die Förster wissen davon ein Lied zu singen. Demi die natürliche Waldverjüngung auf Roh- Humus macht große Schwierigkeiten. Man versucht sich zu helfen, indem man ans jede Weise dem Tierleben nachzuhelfen sticht oder selbst den Boden bearbeitet— aber es gelingt nur mit misäglicher Mühe. So wurde die Hmmisstage auch einer jener Punkte, an dem sich die Lebensbedürfnisse mit der abstraktesten Wissenschaft die Hand reichen, und wo aus den scheinbar ganz ferne liegenden Forschungen unmittelbarer Nutzen für die Allgemeinhett quillt.— kleines feuilleton. so. Artistcnumzug. Es ist ein hohes Mietshaus am Weidenweg. Der Hof ist schmutzig, auch wenn es nicht geregnet hat, und so klein. daß von ihm zu sprechen sich nicht lohnt. Die fünfzig Kinder, die zum Hause gehören, bilden lebendige Hindernisse für all« Wagen, die die Straße zu passieren haben, und erfüllen bei ihrem Kreisel-, Reifen- und Klippspielen die ganze Gegend samt den anderen Hälfs. scharen, die ihnen vom Baltenplatz zuströmen, mit ungestümem Lärm. Die unvermeidliche Prozedur des Säuberns des Treppen- flurs findet mit Rücksicht auf das Heervolk der Kinder nur einmal wöchentlich statt, und daß die Treppen nicht mit Läufern belegt sind, versteht sich«on selbst. Im Hause wohnen nur„kleine Leute", auf jeder Seite zwei Parteien, Küche und Stube, ein kleiner schmaler finsterer Flur steht beiden Parteien zur Benutzung frei. Ganz oben, vier und eine�halbe Treppe, hundertundzehn Stufen hoch, kann man rechts zwei Schilder sehen und zwei Briefkästen, die die Türflügel schmücken. Hier wohnen Lemkes und Schnurz'. Bei Schnurz' ist heute alles in Bewegung und die Ruhelosigkeit hat fich Lemkes mitgeteilt, wenigstens ver Frau Lemke, er, als Straßenbahnschaffner, hat Dienst. Schnurz' ziehen. Unten steht der Möbelwagen, ein Bierwagen mittlerer Größe, mit einem Plan bedeckt. Schnurz hat oft bei Micklich gesungen, und der Gastwirt hat ihm für den Umzug diesen Bierwagen ausgewirft. Ter ganze Umzug kostet ihm so nicht mehr wie sechs Mari, natürlich ist da das Bier, was der Kutscher, Schnurz und der alte Bink, der mir hift, trinken, nicht eingerechnet. Die kindlichen Spiele sind selbstvcrständ» lich unterbrochen, und rings um den Wagen, zu lebhafter Be» unruhigung der beiden Gäule, hat fich die Jugend m, gesammelt. Das Trottoir ist vollständig gesperrt, denn die Kinder bilden zu beiden Seiten der Haustür Spalier, sodaß die Möbel gerade noch durchgctragen werden können. Bernhard und Kurt, die Jungen von Schnurz', erfreuen sich beute der höchsten Ehren und sind Gegenstand des größten Neides. Sie erklären die Sachen, die einer Erläuterung bedürfen, und helfen von Zeit zu Zeit mit. Es ist eben kein gewöhnlicher Umzug, wie man ihn so und so oft sehen kann, sondern Schnurz' sind außer» gewöhnliche Leute, er ist Artist— das weiß die ganze Straße— � und Frau Schnurz hat auch einmal„gespielt". Und das gibt ihr heute nach Jahren noch einen interessanten Nimbus. Wer sie jetzt sieht, wie sie vor dem Plättbrett steht und Manschetten, die sie für ein großes Geschäft zu liefern hat, plättet, erkennt in ihr die ehe- malige Artistin nicht wieder. Mittelgroß, dick, mit Schweißtropfen auf der Stirn steht sie da, und das Eisen gleitet über die Lein- wand. Die Kunst bringt nicht viel ein; namentlich ivenn man zwei Jungen hat, muß man sich einschränken, und so plättet Frau Schnurz, wie sie es ehedem als junges Mädchen getan, die Man» scheiten, die sie auch selbst hat nahen müssen. Für's Dutzend gibt es fünfzehn Pfennig und man muß auch alles mitnehmen. Schnurz ist auch nicht mehr der Jüngste und denkt schon lange daran, sich ebenfalls von seiner Künstlerlaufbahn zurückzuziehen. Wenn man dreißig Jahre lang Couplets gesungen hat, in durchqualmten Varietes dritten Ranges, hat man's schon satt bekommen. Aber vorläufig muß man noch aushalten. In der Küche ist eine schlechte, heiße Luft. Der Herd glüht, ein Bolzen hält nicht lange vor und der zweite muß dann schon bereit sein. Es nützt nichts, daß die beiden oberen Scheiben des Küchen- fensterS offen stehen. ES kommt kaum ein ftifcher Lustzug hinein. Es riecht nach den ftisch gestrichenen Küchenmöbeln, nach Wäsche, nach Tieren. Die Schnurz plättet so schnell sie kann. Daß sie auch gerade heute noch liefern mußl Sie kann sich vorläufig um nichts kümmern. Die Männer sollen sehen, wie sie fertig werden! Die Stube ist unter der willkommenen Hülfe der Frau Lemke so gut nne ausgeräumt. Was noch da ist, können Bernhard und Kurt hinunter- tragen. Bernhard schleppt eine Büste, in deren Gyps fich der Staub so eingefressen hat. daß sie grau aussieht; Kurt hänHt sich über den Arm drei verdorrte Lorbeerkränze, deren breite, lange Schleifen In- schriften zeigen, deren Buchstaben schon stark verblaßt sind. Das Spalier unten schenkt der Büste kaum einen Blick, mustert aber die Kränze mit dem größten Interesse. „Du Kurt," sagt einer und fährt mit der Hand über d?e Blatter, „die streuen ja schon!" Quatsch— nimm die Finger weg. Fritze, sonst kriegste wasl
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22 (5.4.1905) 68
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