Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 70.

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Freitag, den 7. April.

( Nachdrud verboten.)

Eine Pilgerfabrt.

Von Johan Bojer  .

Autorisierte Uebersetzung von Adele Neustädter. Wenn aber der Großhändler das Geheimnis tannte? Db seine Schwester wohl...? Dann hätte er nicht um sie an­gehalten. Ja, war dies so sicher? Wenn sie richtig nachdachte, hatte er nicht damals und damals verdächtige Dinge gesagt? Sie flammerte sich an die Möglichkeit, wie man nach einem schwachen Lichtschein in einer endlosen Finsternis ausschaut. Vielleicht war es kein Licht, aber ein anderer Schimmer war überhaupt nicht zu gewahren.

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Oder sollte sie vielleicht alles aufgeben, und die anderen siegen lassen? Ja, nicht wahr, das sollte sie vielleicht tun!

Er war jedenfalls reich. Es gab also auch einen Ausweg. daß sie selbst reich werden und Macht erringen konnte. Hinter dieser Sache erblickte man so unglaublich viel.

Eine Stunde verrann. Sie warf sich im Bette hin und her. Sie prüfte andere Auswege, in dem Gefühle, als schlage fie einen falschen Weg ein. Aber sie gewahrte keinen anderen. Sie konnte allem ein Ende machen und ins Meer springen. Ja, aber das war noch feiger. Und angenommen, der Groß­händler wußte alles... und sie... sie vermochte es nicht ein­mal, zu versuchen...

Vielleicht war der kleine Lichtpunkt gar kein Licht, aber es war kein anderer zu erblicken, und fie starrte so lange darauf, bis er ihr blendend klar erschien.

Sie stand auf und kleidete sich an.

Wer auf einem gefenterten Boote fitt, überlegt seine Schritte nicht lange. Bald setzte sich Regina hin und schrieb an Großhändler Flaten. Sie bereue, daß sie abgereist sei, erinnere sich seiner Güte und bitte ihn, zurückommen zu dürfen.

Plöglich legte sie den Federhalter fort und stützte den Kopf auf die Hände: Herr Du mein Gott," dachte sie, gibt es wirklich keinen anderen Ausweg?"

" Doch," sagte eine Stimme spottend," Du kannst ja ins Meer springen."

Bald darauf setzte sie sich und schrieb weiter. Aber bald hörte sie wieder auf.

,, Was hat Dir dieser Mann denn getan, daß Du ihn so mißbrauchen willſt?"

Sie sprang auf und irrte hin und her: Nein, er hat Dir nichts getan. Aber haben andere mich nicht auch gebraucht, und was hatte ich ihnen getan? Zuerst Foldener gebrauchte mich, um den Sommer angenehm zu verbringen, er mußte wissen, daß er zugleich ein Herz brach und ein Leben zerstörte, aber er gebrauchte mich trotzdem!

Dann gebrauchte man mich in der Anstalt. Sie lernten an mir, obgleich ich voller Scham verging. Und die Fremden und der Professor, die mir mein Kind entlockten, sie alle ge­brauchten mich. Ja, und wie handelt Gott  . Ich habe ihn angefleht, aber er findet wohl auch, daß es bei diesem Mädchen nicht so genau darauf ankommt. Mag sie sich beklagen, es hat nichts besonderes auf sich. Ein Ehepaar braucht ein Kind, gebrauchte das Mädchen, sie bleibt vielleicht ewig unglücklich. Aber gebraucht sie doch! Bei dem Mädchen kommt es nicht so genau darauf an!.

Und sie setzte sich und schrieb mit verkniffenem Munde weiter.

Aber da faßte sie einen plöglichen Gedanken und hielt die Feder an: Höre, Du hattest ja damals Deinen freien Willen! Du gabst Dein Kind diesen Leuten aus eigenem Entschluß." Sie lief wieder hin und her, hetzte sich jedoch auf und fand Gegenbeweise.

Ich war eigentlich nicht frei. Das böse Schicksal wartet immer auf den Augenblick, da wir schwach und machtlos sind. Dann stürzt es auf uns ein. Dann entpreßt es uns das Teuerste. Und ferner: Wenn wir dann bereuen und es un­geschehen machen wollen, dann verfährt es wie ein Pfand­leiher, der in der Not unseren teuersten Schmuck bekommen hat. Er wirft uns hinaus und sagt: Du hattest Deinen freien Willen. Es ist ein ehrlicher Handel! D, o... o!"

1905

Und sie setzte sich wieder, schrieb den Brief weiter, und atmete freier auf, als er beendet war.

Wie sie später aufs Geratewohl durch die Straßen trieb, starrte sie die Vorübergehenden an und dachte: Blickt mich nicht so an! Ich bin doch nicht schlimmer als Ihr."

So schritt sie denn dem Lichtpunkte entgegen, wo das Glück ihrer wartete. Jetzt konnte sie nicht umkehren. gezwungen sein zu leiden, dulden, Verbrechen zu begehen und Wie lange sollte diese Ehe währen? Wie lange sollte sie zu mildern, Komödie spielen und Liebe heucheln, wie lange? Wann würde sie sich hinsetzen können, um den erbebenden Kinderkörper an sich zu drücken und ihren Schmerz ausweinen zu fönnen? Sie vermochte jetzt nicht daran zu denken. Sie wenn man einen Felsen erklommen hat, vermag man nicht wollte sich lieber über den unternommenen Schritt freuen. daran zu denken, daß dahinter noch ein höherer liegt.

Zur Dämmerungsstunde kam sie an einer Kirche vorbei, Ohne näher nachzudenken, folgte sie ihnen, die Zeit mußte ja deren Türen offen standen: Einige Menschen gingen hinein. vertrieben werden. Die Kirche war erleuchtet, und die Orgel erfüllte den Raum mit Tönen. Jezt erinnerte sie sich erst, daß wurde. Sie hatte noch nicht lange gesessen, als ihr Hals sich Sonntag war, und daß jetzt Abendgottesdienst abgehalten wurde. Sie hatte noch nicht lange gesessen, als ihr Hals sich zwischen den Kirchgängern und der Orgel erschien sie sich als förmlich zusammenschnürte. In diesem erleuchteten Hause ein böser Geist, der an geheiligfer Stätte auftauchte. Und als der Pfarrer die Kanzel betrat, schlich sie sich still hinaus.

Aber sie setzte sich auf die Treppe und verbarg das Gesicht hinter den Händen.

Die Worte des Pfarrers flangen wie fernes Summen. Gute Mächte schienen ihr die Hände zur Rettung entgegen zu strecken. Sie versprachen, ihr den Weg zu ihrem Kinde zu zeigen, wenn sie sich ihnen in die Arme werfen wolle. sie jetzt nicht. Nein, das vermochte sie nicht.

Aber wie? Wieder eine neue Revolution. Das vermochte

XIII.

Bei Großhändler Flaten war große Gesellschaft gewesen und in der kalten Winternacht wurde das Tal von Schellen­geläute erfüllt, während Schlitten auf Schlitten über die breiten Landstraßen flogen, und die Laternen sich schließlich in der Finsternis verloren. Und oben zwischen den dunklen Fichten lag das große, vollerleuchtete Haus, dessen Fenster in beiden Etagen noch im Lampenlichte erglühten. Dann wurde eine Lampe nach der anderen gelöscht, zuerst hinter den Fenstern des zweiten Stockes, dann in den unteren Zimmern. Schließlich war nur noch ein Fenster der großen Fassade beleuchtet.

Herr Flaten hatte eine Ronde durchs Haus gemacht und trat jetzt ins Schlafzimmer, die Quasten feines Schlafrockes tanzten vor ihm her. Er war von Tanz und Wein etwas müde und abgespannt. Er blieb mitten im Zimmer stehen und blickte Regina einen Augenblick an, die sich in einem weißen Frisiermantel auf eine Chaiselongue geworfen hatte und eine Zigarette rauchte. Sie war bleich, hatte zwei flammendrote Flecken auf den Wangen. Die Augen leuchteten noch in seltsamer Glut. Aber wie schön fand er sie. Das gelb­seidene Kleid mit dem venetianischen Spizenkragen lag über einer Stuhllehne, und in dem schwachen Lampenscheine er­glänzten einige Schmuckstücke auf einer Kommode.

" 1

Na, es ging ja ausgezeichnet?" sagte er fragend. Findest Du nicht?"

Es waren gemütliche Menschen," sagte sie und rauchte. Er begann den Schlafrock aufzuschnüren, die breite Hemd­brust mit den Brillantknöpfen und die weiße Krawatte wurden sichtbar. Er entkleidete sich, saß eine Weile auf dem Bett­rande und fah sie fragend an.

Aber sie rauchte weiter und beachtete ihn gar nicht. Du tanzest ausgezeichnet!" sagte er und lächelte. Ich habe es nie ordentlich gelernt."

" Hast Du bemerkt, wie die Herren Deine Toilette be wunderten?"

Sie lächelte wie ein vergnügtes Kind. ,, Aber die Damen

meinem Rücken zischelten."

Was sagten sie?"

-

ich hörte wohl, wie sie hinter