Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 71.
14)
Sonntag, den 9. April.
( Nachdrud verboten.)
Autorisierte Uebersetzung von Adele Neustädter.
1905
Aber ich bin so glücklich, Dich zu besitzen, nehme Dich, wie Du bist. Ich kann auch nicht alles Mögliche zugleich verlangen, aber wenn wir uns völlig zusammen eingelebt haben, und Du mehr Vertrauen zu mir faßt, so kommt mit dem Vertrauen alles wohl von selbst."
Er blickte sie mit glücklichen Augen an.
Und wieder wirkten diese wenigen liebevollen Worte so sehr, daß ihr Herz erglühte, und ein Schluchzen ihren Hals beengte. Aber sie beherrschte sich und platte los:
Höre, Deine unverheiratete Schwester in Christianssand sollte eigentlich ein Kind adoptieren. Es ist doch unangenehm, so allein zu ſein."
Seit den fünf Monaten ihrer Verheiratung hatte Regina immerfort eine Inangriffnahme hinausgeschoben. Während der paar Monate, die sie im Auslande verbrachten, hatte sie gedacht:„ Erst, wenn wir zurückkehren." Und als sie zu Hause waren, wollte sie erst das Haus in Ordnung bringen. Sie wollte sich nicht eingestehen, daß dieser herzensgute, verliebte Mann auf sie wirkte wie das Kaminfeuer auf den frierenden, ins Zimmer tretenden Menschen: Er erweckte gute Gefühle in ihr. Es war ihr auch völlig neu, daß plötzlich jemand eriſtierte, dem sie die ganze Welt bedeutete. Sie wurde kraftlos. Im Scheine seines Glückes verkrochen sich ihre bösen Mächte. Erst als sie nach und nach einige Fehler an ihm entdeckte, wagten fie fich wieder hervor. Nun erwachten tausend Selbstvorwürfe. Aber sie schob alles immer wieder hinaus. schnarchte Es war so herrlich hinzudämmern, und sie fürchtete den Augen- Stopf an. blick des hellen Erwachens. Willst Du Dich heute Abend nicht hinlegen?" sagte er, nachdem er ins Taschentuch gespuckt hatte. Nein," dachte sie und warf sich seitwärts, jetzt muß es geschehen."
"
Sie begann wie zufällig, den Rauchwolfen nachblickend: „ Höre, lieber Freund, etwas hast Du mir eigentlich nie erzählt."
" So- o?" Es klang etwas schläfrig.
Sie rauchte und rauchte." Sage mir, wieso kam eigentlich hierher?"
ich
Sie schloß anscheinend die Augen, konnte jedoch trotzdem jeden seiner Gesichtszüge beobachten.
Ich habe es Dir bestimmt schon tausendmal erzählt." Nein, gar nichts hast Du mir erzählt. Du verheimlichst
mir alles."
Er lachte. Ich habe wirklich nichts zu verheimlichen, Liebling. Ich schrieb an meinen Freund Professor Gregersen und frug an, ob er mir nicht eine norwegische Haushälterin verschaffen könne das ist alles."
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„ Aber weshalb wähltest Du gerade den Professor bei diesem Auftrage?"
Sie öffnete die Augen und versuchte ihn anzulächeln. Liebling, weil er ein Jugendbekannter von mir und aus derselben Stadt gebürtig ist. Ich erwähnte die Angelegenheit zufällig in einem an ihn gerichteten Briefe. Aber willst Du denn diese Nacht nicht zu Bette gehen?"
Er sprach etwas mürrisch.
Sie warf die Zigarette fort. Sie mußte sich gewaltsam zusammennehmen, um nicht aufzufahren und in ungeduldiger Wut loszubrechen. Aber sie zwang sich zum Lächeln und blickte in die Höhe.
Höre," sagte sie und schüttelte erstaunt den Kopf, solch ein Professor in einer Entbindungsanstalt hat wohl viele merkwürdige Frauen in Behandlung?"
" Ja, das kannst Du Dir doch denken."
" Wenn er Dir nun eine dieser Frauen geschickt hätte?"
1919
Und sie beobachtete wieder jede Linie in seinem Gesicht und fügte lächelnd hinzu:„ Wenn wir zum Sommer nach Norwegen reisen, werden wir dann Deine Schwester besuchen?" a, sie wird sich darüber wohl sehr freuen, und dann fannst Du ihr ja diesen Vorschlag mit dem Kinde machen." Er lachte ein aufrichtiges, ehrliches Lachen. Jett gab es feine weiteren Zweifel. Er wußte nichts, und feine Schwester, nein, sie war es nicht. Flaten schon. Sie blidte feinen großen fleischigen Sie begann sich auszukleiden, und als sie sich niederlegte, Er schlief, schlief, schlief. Der Tanz hatte ihn völlig Flaten schon. erschöpft. Er hatte sich ja auch möglichst lange widersetzt, als sie beim Mittagessen den Einfall befam, man möge nach dem Kaffee versuchen, die Gespenster aus den oberen Sälen herauszutanzen.
So war dies also auch ins Reine gebracht. Als sie damals vor dem Aitare standen, hatte sie sich darauf gesteift, daß er ihr Erretter sei, sie aus dem Elend herausgeleiten würde. Und jetzt? Jetzt blieb nur der Reichtum übrig. Er selbst jedoch?
Die Nachtlampe warf einen grünlichen Schein über sein Gesicht. Der Adamsapfel sprang bei jedem Atemzuge, und sie starrte seine fleischige Gurgel an.
O, hatte sie wieder in einem Augenblick gehandelt, da ihre Urteilskraft aus Verzweiflung blind war, und sollte sie jetzt ganz erschreckt über ihre Tat erwachen? Falls diese Ehe sie nun ihrem Ziele nicht um einen Schritt näher brächte? Wenn fie statt dessen nur Zeit vergeudete, im Wohlleben indolent wurde, oder sich durch tägliche Sorgfalt und Liebe überwinden eß? Sie hatten vielleicht damit gerechnet, alle diejenigen, die ihr das Kind gestohlen. Vielleicht bildete diese Ehe ein Glied in ihrer Berechnung. Und sie irrten sich nicht.
,, Nein, sie behalten recht!" flang es zornig in ihr.„ Du verschläfst Deine heiligste Lebensmission. Wenn man Dir nur die Wange streichelt, so fällst Du sofort zu Füßen und vergißt iede Schmach von gestern. Sie irrten sich nicht!"
Draußen bließ der Wintersturm heftiger und heulte unheimlich durch die Nacht.
XIV.
Als Regina sich entschlossen hatte, Flaten zu heiraten, vermochte sie nicht zu überlegen, wie sie wieder von ihm loskommen könne. Aber jetzt konnte diese Frage nicht länger zurückgehalten werden. Falls sie den Gedanken nicht aufgeben wollte, ihr Kind einmal wiederzufinden, so daß sie die Maske abwerfen und endlich wieder ehrlich und wahrhaft werden konnte, so mußte sie jetzt einen Ausweg finden, von ihm loszukommen. Er war nicht länger der Erretter, und er war nicht allein über
Er schnappte nach Luft:„ Was Du wieder für Einflüssig, er hielt sie nur gebunden.
fälle hast."
Nein, dieser Mann wußte nichts. Um den letzten Rest des Zweifels aus ihrer Seele zu fegen, eilte sie jetzt zu ihm, sette sich auf den Bettrand, faßte seinen Kopf zwischen den Händen und lächelte ihn liebevoll an. Er fühlte sich glücklich, wollte sie an sich ziehen, aber sie wehrte sich scherzhaft.
,, Höre, lieber Freund, Du bist doch ein ganz merkwürdiger Ehemann!"
,, Bin ich das?"
Und tollkühn fuhr sie fort: Jawohl, das bist Du. bemühit Dich gar nicht, etwas über mich zu erfahren. fragst nie, was ich erlebt habe!"
Du
Du
Ein schmerzlicher Zug überflog sein Gesicht. Nein, Du bist ja über Deine Person stets so wortfarg gewefen." Und er fuhr fort, während er über ihr Haar strich:
In den finsteren Wintertagen ging sie allein durch die großen Zimmer, während Flaten auf dem Bureau war. Jede Arbeit war ihren Händen entrissen, weil sie an Flaten und ihre Ehe erinnerte. Wenn es in den Zimmern dämmerte, mußte sie ihn erwarten. Wenn jedoch seine Rückkehr nahte, befiel sie ein Grauen. Denn seine Liebe und Sorgfalt entwaffneten sie und machten sie schwankend. Was sollte sie tun? Woche auf Woche verstrich, und sie ließ die Zeit verstreichen und legte die Hände in den Schoß.
Der Mutter schrieb sie furze, fast geschäftsmäßige Briefe. Statt liebevoller Worte legte sie eine Banknote bei. Die Briefe der Mutter steckte sie in die Tasche und ließ sie wochenlang uneröffnet. Als erblicke sie in der Schrift der Mutter ein Gesicht, das sie sich anzusehen schämte.
Während der finsteren Vormittage saß sie in dem kleinen Zimmer, das jetzt für sie bestimmt war, und vertrieb sich die