— 311— Herrn. Ihr Begleiter, ein Beamter deZ Gouvernements, war kürzlich erst von der Universität gekommen. Man sprach in der Stadt schon davon, daß die beiden sich nicht gleichgültig seien, und selbst Pistschichin hatte etwas davon gehört, obgleich sich das alles in einer ihm unzugäng- lichen fremden Lebenssphäre abspielte, unter gebildeten, sorglos lebenden Menschen, die ein abgesondertes Leben führten und Leuten, wie Pistschichin keine Aufmerksamkeit schenkten. Und auch er dachte bisher ebensowenig an sie, weil sie ihm fern und fremd waren. Jetzt aber berührte in diese Begegnung stark. Der Anblick dieser glücklicken Menschen, die sich liebten und ein frohes, mteresianteS Leben führten, regte ihn tief auf. Eine brennende Neugier und Sym- pathie, vermischt mit unbewußtem Neid, erfüllte ihn. Und wie von selbst verstärkte sich das Gefühl seiner Einsamkeit und daS Be- wußtsein der totenden Armseligkest seines kläglichen Lebens. Es war, als ob sich für einen Augenblick vor ihm ein Borhang lüftete, hinter dem ein neues unbekanntes, berauschendes Leben erstrahlte. Und er ging weiter, den Kopf tief gesenkt. Er sah nicht mehr den Frühling, mcht mehr die Sonne, nicht den Wald, dessen düsteres Rauschen über ihm wie das Echo seiner drückenden Gedanken erschien. Und unablässig begleitete ihn dieses unruhige Gefühl der Neugier und der dumpfen Beklemmung den ganzen Tag über. Immer stand es vor ihm, das Bild dieser Menschen, die Seite an Seite gingen, so schön und glücklich. Erschöpft kam er am Abend nach Hause, wo ihm alles unendlich langweilig und fremd erschien. 2. Während der folgenden Tage suchte Pistschichin unentwegt daS Paar wiederzutreffen. In seiner dicilstsreien Zeit ging er imnier wieder denselben be« kannten Waldweg. Als er es hier nicht fand, änderte er seine Richtung und ging überall dahin, wo er hoffen konnte es zu sehen. Da er aber die beiden nirgends fand, so konzentrierten sich seine Gedanken mehr und mehr auf diesen Punkt. Er trug ein brennendes Ber - langen danach, daS reizende geheinmisvolle Bild ganz zu sehen, von dem er zufällig einen Schinimer bemerkt, und das seine Phantasie so stark ausgeregt hatte. Endlich gelang es ihm, dem Paar zu begegnen. Es war auf demselben Waldwege. Er erkannte sie sogleich an ihrer Gestalt und Haltung und auch an ihrem Begleiter. Sie gingen vor ihm, eng unter- gefaßt. Oft streifte ihr Hut seinen Kopf, sie sah ihn dann lachend von der Seite an, setzte sich den Hut zurecht und schmiegte sich eng an seinen Arm. Pistschichin, der nicht bemerkt werden wollte, ging ganz lang- fam hinter ihnen und blieb später durch eine scharfe Biegung des Weges gedeckt. Und das war gut, denn bald kehrten sie um, ohne ihn zu benrerken. Pistschichin aber, der dies sah, verbarg sich im Dickicht, hin sie von dort aus zu beobachten. Langsam näherten sie sich ihm, er konnte schon ihre gedämpfte Unterhaltung verstehen. „Weißt Du, wir beunruhigen die Phantasie der Eingeborenen," sagte er lachend. „Wirklich?" und ihre ironisch hochgezogenen Brauen gaben ihrem Antlitz einen lieblichen, spöttischen Susdruck.„Hast Du etwas davon gehört? Das wäre interessant I" „Interessant, was sich die Eingeborenen über unS denken?... Ja freilich.... Bielleicht wäre es gar nicht so übel zu hören, wie unsere Gefühle in ihren Spießergehirnen verwandelt, ausgelegt und umgearbeitet werden. Das muß ein ganz interessantes Bildchen geben, aber ich fürchte, es würde Dich erschrecken.. „Warum?" In ihrer Stimme lag ein Ton des Stolzes und der Unabhängigkeit. „Ganz einfach, siehst Du... Bei ihnen werden nur diejenigen Seiten unseres Gefühles unterstrichen, ausgemalt, sogar breitgetreten. die ihnen am meisten zugänglich und verständlich sind. Nun, und welche dies sind, das kannst Du Dir ja vorstellen. Sie find bei UNS auch da, ganz natürlich, wie bei jedem gesunden Gefühl. Aber einen Teil bereden und den anderen verschweigen, heißt doch alles entstellen I" „Meinst Du, ich würde das außer acht lassen, wenn ich das Bildchen zu sehen bekäme?" Sie sahen einander in die Augen und lächelten. Am Wege lag ein alter, dicker Stamm. „Setzen wir uns hierher, so lange niemand da ist", sagte er. Sie fetzten sich. Ihre Gesichter waren nach der Seite gewandt, wo sich Pistschichin Versteckt hatte. Und ihr Gesichtsausdruck machte sein Herz erzittern. So atmeten sie Glück, so aufrichtig und ganz gingen sie ineinander auf und genossen den Anblick und die Nähe des anderen. Sie saßen ganz still. Dann nahm er ihre Hand, sie rückte näher zu ihm und mit einem zärtlichen Lächeln der Liebkosung imd des Vertrauens blickte sie zu ihm auf. Er legte seinen Ann um ihre Taille, drückte sie an sich und sah ihr in das Gesicht. Sie lehnte ihren Kopf an seine Brust, und dann umfing er sie mit beiden Armen, und feine Augen tief in die ihrigen versenkend, drückte er einen langen Kuß auf ihre Lippen. Rasch bog sie ihren Kopf nach hinten, und mit geschlossenen Augen preßte sie sich noch fester an ihn und war wie erstarrt unter seinen Liebkosungen. Seine Kliffe bedeckten ihr Geficht. ihre Augen, ihr Haar und ihr Kleid auf der Brust. Dann sprach er zu ihr, wahrscheinlich etwas sehr Sckiönes und Starkes, denn sie lächelte glücklich und lehnte ihren Kopf in seinen Arm. Als er sie etwas fragte, antwortete sie, ohne die Augen zu öffnen, kaum hörbar mit einem einzigen Wort, aber mit eigentümlich ver« änderter Stimme, und ihr bleich gewordenes Geficht nahm einen besonders ernsten rätselhaften Ausdruck an... Er schwieg und lange sah er in ihr Gesicht mit den geschlosienen Augen... Und in diesem Blick und in dieser stummen Bewunderung lag un- endlich viel Gutes mid Schönes. Still genoß sie dies alles, be» rauscht von der bezaubernden Wirkung seines Blickes. Hinter der Biegung des Weges knarrte ein Wagenrad. Sie sah sich schnell um. In der Ferne sah nian durch die Aeste einen lang- sam dahinsahrenden Wagen. Nachdem sie sich beruhigt hatte, sah sie ihn wieder an, fast als bedauere sie etwas, küßte ihn stürmisch und stand auf. Sie gingen langsam den Weg entlang. (Schluß folgt.) kleines feuilleton. es. Internationale Ausstellung künstlerischer Photographien. Zum erstenmal wird in Berlin der Versuch gemacht, einen ständigen Ans- stellungsnnttelpunkt fiir die Bestrebungen in der künstlerischen Photo» graphie zu schaffen. Andenvärts, in London , in Paris , in Brüssel existieren schon solche Salons. Die internationale Ausstellung künst- lenscher Photogramme, die in der Akademie der Künste in der Pots- damerstraße stattfindet, bildet den Anfang hierzu. Diese Ausstellung umfaßt 337 Arbeiten, eine geringe Zahl gegenüber den zahlreichen Einsendungen der Amateure aus allen Ländern. Die Jury ist be- merkenswert. Es gehörten ihr an: Walter Leistilow, Max Liebermann . Direktor Tschudi und Professor Wölfflin von der Universität. Die Strenge der Sichtung tut der Sache gute Dienste. Gerade die unnachfichtliche Kritik hebt die Ausstellungen dieser Liebhaber» Photographen auf ein Niveau, das der Sache der Photographie immer mehr vorurteilslose Betrachter gewinnen wird. Viele, die diesen Bestrebungen fernstehen, werden überrascht sein, wie man davon so viel Aufhebens machen kann. Wer aber die Jahrgänge der zahlreichen photographischen Zeitschriften durch» sieht, der kommt dahinter, wie viel ernstes, künstlerisches Streben hier tätig ist. Nach und nach, aus kleinen Ansängen, hat sich diese Kunst entwickelt. Manche Irrtümer, manche Uebcr- treibungen liefen mit unter, wie das immer der Fall ist bei neuen Versuchen. Mit der Zeit aber erstarkte, was bis dahin nur schüchtern sich hervorwagte. Jetzt haben wir in allen Ländern zahlreiche Vereine, die in tätiger Verbindung mit einander stehen. Jedes Land hat seine besondere Richtung, seine besonderen markanten Persönlichkeiten. Und so ist hier im Stillen etwas gewachsen, an deffen Früchten wir uns jetzt zu freuen beginnen. Seit der Erfindung des photographischen Apparats find wir nämlich in der Benutzung desselben ein gut Stück weiter gekommen. Ursprünglich gebrauchten wir diesen uns fremden Apparat eigentlich in ganz mechanischer Weise. Das Technische trat in den Vorder» grmid. Wir mußten uns erst gewöhnen, die Mittel gehörig zu be» herrschen. Danach begannen wir dann, auch das Künstlerische mehr zu be» tonen Wir wurden freier, der Zwang des Technischen beherrschte uns nicht mehr so ausschließlich. Hier befinden wir uns jetzt. Es ist natürlich, daß diese auf Erneuerung gerichteten Be« strebungen, die schon eine ganze Literatur zeitigten und viel Streit und Reden brachten, von den Amateuren, und nicht von den Berufs» Photographen ausgingen. Diese haben nicht die Zeit dazu, nicht die Frische. Es ist kennzeichnend für unsere EntWickelung, die Zeit der „Berufe", daß eine Auffrischung eigentlich meist nicht von Fachleuten. sondern von sogenannten Liebhabern ausgeht. Jeder, der unbefangen vor diese Bilder tritt, wird über die Fülle malerischer Reize erstaunt sein. Die Zeit schemt nicht mehr fern, wo ein solches Photogramm, nach der Rawr, im Freilicht aufgenonimen, so klare, künstlerische Qualitäten, so feine Kontraste des Schwarz-Weiß zeigt, daß wir uns nicht scheuen, es als Wandschmuck in unsere Zimmer zu hängen. Die größere Billigkeit, die ein solche« Photogramm vor einem anderen Bild voraus hat. die Möglichkeit der eigenen Arbeit spricht zugunsten dieser neuen Kunftübung. In Amerika ist man uns in der praftischen Durchführung all dieser theoretischen Pläne längst voraus. Dort sind seit langem viele Kräfte tätig, das neue Gebiet auszubauen. An der Spitze marschiert ein Künstler E. Strichen, der, selbst Maler, berufen ist, mit immer neuen Versuchen voranzugehen. Um seine künstlerische Person» lichkeit wird viel gestritten. Die„reinen" Photographen stimmen nicht mit ihm überein. Er scheut sich nämlich nicht, manchmal seinen Pinsel zu Hülfe zu nehmen. Abgesehen davon bietet er noch genug des Guten, ja Vortrefflichen. Namentlich seine Akte sind künstlerisch gesehen. Die Haut des menschlichen Körpers ist weich und blühend übertragen. Eine ganze Reihe anderer Namen schließt sich hier an. die nur genannt werden können: Gertrud Käsebier, A. Stieglitz, Eva Watson Schütze, Clarence White. Rächst Amerika schneidet England am besten ab. Auch hier eine Fülle der Erscheinungen, Bemington, Blounts, Cadby, Craigie, Emanuel, Evans, Keighley . Beinahe gleichwertig steht Deutschland daneben. DaS ist umso überraschender, als Deutschland in schnellstem Tempo nachholen mußte, waS England und Amerika schon feit längerem besaßen. E»
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22 (19.4.1905) 78
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