wehr— der log ja, krotz seiner grauen Jpaarel Der wich ihr aus; gestern abend hatte sie's deutlich gemerkt. Da war sie auf ihn zugelaufen, gerade als er vorm be- lodenen Erntewagen her heimschritt, die Heugabel über der Schulter. „Wanneh kömmt dän Willelm?.!" Er aber hatte den Kopf auf die Seite gedreht und übers Wetter angefangen mit seinem Sohn, dem Matthes, der hinter ihm schritt. „Höh, Nikla?" War er taub? Sie hakte ihn angepackt, am Hemd vorn bei der Brust, und hatte ihm ins Gesicht ge- schrien: „Wanneh kömmt hän?" Nun mußte er's doch hören! Aber statt ihr Antwort zu geben, war er unwirsch ge- worden: «Loaßt mech in Ruh," und hatte den Ochsen, die unterm Joch, die Köpfe gesenkt, mühselig daher schnauften, mit der Peitsche eins übergehauen:„Höh, höh. Luderzeug, voran, höh, höh," und war schnelleren Schritts weitergezogen mit Sohn und Knecht und mit dem Enkelkind hoch oben auf den goldenen Korngarben. Und sie hatte ohne Antwort dagestanden und wie tief- sinnig zur Erde auf die weißen Schaumflocken gestiert, die den angestrengten Ochsen aus dem Maule geklext waren. Warum hatte ihr der Nikla nicht standgehalten?! Die ganze Nacht hatte sie darum nicht schlafen können, und wenn sie auch fleißig gebetet hatte, Ruhe hatte sie doch nicht ge- funden. Sonst hatte der Nikla doch gern mit ihr ein Wort ausgetauscht, nie war er ihr vorbeigegangen?! Jäh ward sie des plötzlich inne: auch andere wichen ihr aus! Ihr Nachbar zur Linken, Heids Joseph, dessen Häuschen sich so dicht cm das ihre lehnte, als wären die zwei eins, sah sie früher nie hinten im Gärtchen Unkraut jäten oder ihren Kappes be- gießen, ohne daß er sich über den Zaun lehnte, mit ihr ein Schwätzchen zu halten— und ihre Nachbarin zur Rechten, die Schneidersch, eine Wittib wie sie, die nur die Hand zum Fensterchen herauszustrecken brauchte, um an ihrem Fensterchen zu pochen, hatte auch schon seit Tagen nicht mehr bei ihr an- geklopft. Was hatten die denn— sie war sich keiner Un- sreundlichkeit bewußt und einen Klatsch hatte sie nicht an- gefangen— war's etwa wegen dem Willelm?! Jesus , der arme Jung, was hatten sie nur gegen den? Und er hatte das Vieh doch so sorgsam gehütet; jede Kuh war ihm lieb, und war ein Ferkel müde, so trug er's heim auf den Armen. Nein, einen so guten Hirten kriegten sie nie wieder. Jetzt mußte das arme Vieh immer im dunstigen Stall bleiben, niemand fand während der Ernte Zeit, es ins Freie zu treiben. O je, die würden schon noch einsehen, was der Willelm wert war! Aber so waren die immer gewesen: ist einer lange in der Fremde draußen, der ist nicht mehr einer von ihnen— und nun gar der Willelm, der besonderer war als alle, den guckten sie scheel an. Mochte auch sein, daß sie ihm das Geld, das er als Rente bezog— wie ein pensionierter Herr— neideten, ihm's vielleicht auch nicht gönnten, daß er dazu noch den Posten als Gemeindehirt gekriegt hatte. Es langte nun so schön für sie beide; nun brauchte sie auf ihre alten Jahre nicht mehr in Tagelohn gehen wie früher— ach ja, was war ihr der Willelm doch für ein Glück! Andere Männer in seinem Alter haben längst Frau und Kinder, aber sie hatte den Sohn noch so ganz für sich allein! In der Stille ihrer Einsamkeit rief sich die Mutter alle Tage des Beisammenseins zurück. Viel geredet hatten sie nicht miteinander, der Willelm war ein Stummer; aber zu- Zeiten, wenn ihn das arge Kopfweh plagte, dann hatte er den Kops an sie gelehnt wie ein Kind, das sich duckt, und sie hatte ihn gestrichen, immer sacht über den Schädel, immer' sacht, und er hatte geschnurrt dabei wie der Kater. Das war schön gewesen! Ach, wenn er nur erst wieder da wär'! Es drängte sie allgewaltig, sie mußte nieder auf die Knie fallen, hier in der Stube genau so wie in der Kirche, und der heiligen Mutter auf dem höchsten Thron eine Kerze geloben von weißem Wachs, wenn die ihr den Sohn schickte. Unter Tränen, die, ohne daß sie's merkte, ihr über die runz- ligen Wangen rollten, versprach sie: „Ech gelowen dir en Kerz für deinen Altar, Maria voll der Gnaden! Ech sänken dir en Kerz an— die soll brennen esu hell, esu hoch!— heilige Maria, Modder Gottes, erhör mech um deines Sohnes, um deines Sohnes willen!" Inbrünstig wiederholte sie das viele Male. In der nächsten Nacht glaubte sie seinen Tritt zu hören. jSie fuhr auf, das Herz klopfte ihr hart. Aber die Tritte hielten nicht an, sie trabten borüber:'s war wohl einer, der spät aus der Wirtschast nach Hmise ging. Ach, zu ihr ging keiner ein! Und sie weinte, und ein Verlangen stieg in ihr auf, daß sie hätte hinkriechen mögen, hin auf Händen und Füßen, bis wo ihr Sohn war. Wo war der?! Im Kittchen. Das hatte ihr heute die Schneidersch zugeschrien, als sie's nicht ausgehalten und bei der angeklopft hatte. Im Kittchen— ja, das wußte sie, aber was sollte er da, was machte er da so lange? Das hatte die Schneidersch auch nicht gewußt— oder wollte die's am Ende nicht sagen? Und warum war er da?! Ja, darauf hatte die Nachbarin auch nicht geantwortet, aber sie hatte ein großes Gejammer angefangen über die böse Welt und die schlechten Leut' und sich vielmals bekreuzt:„Gott bewaohr uns, Gott behüt uns, heilige Modder bitt für uns— esu en Kerl, esu en Scheusal!" Und dann hatte sie geseufzt: „Kathrein, ech muß en Dauer met Euch Haan — nä, nä, esu en Kreiz!" Bei der Schneidersch war kein Trost zu finden gewesen; im Gegenteil, seit Kathrein bei der angepocht hatte, war eine noch verzehrendere Unruhe über sie. gekommen. Sie trippelte in ihrer Stube hin und her, vom Bett zur Bank, von der Bank zur Truhe, von der Truhe zum Herd, nahm bald dies zur Hand, bald jenes, jetzt den Eimer, dann den Napf, jetzt das Messer, dann den Löffel— es hatte alles nicht Zweck noch Ziel. Im Ställchen hinten meckerte kläglich die vergessene Ziege. Mitten im Trippeln hielt das Weib dann plötzlich an und faßte sich nach dem Kopf; aber sie erinnerte sich nicht der vergessenen Ziege— was, was hatte die Schneidersch gesagt? „Ech muß en Dauer met Euch haon"— und„Esu en Kerl, esu en Scheusal" � wen meinte sie damit? Wer war ein Kerl, wer war ein Scheusal? Ihr Willelm doch nicht gar? Oho! In den sanften Augen der alten Frau begann es zu flammen, sie hob die Faust und schlug an die Stubenwand, daß die nebenan es hören mußte, und schimpfte dabei: „Frech Mensch, Lügenersch!" Nein, ihr Sohn war kein Kerl und auch kein Scheusal! Der Gedanke an ihn sänftigte ihren Zorn, aber die Unruhe vermochte auch er nicht zu bannen. Wenn sie nur wüßte, warum er so lange nicht wiederkam?! Ach, daß er doch jetzt hier wäre, von dem guten Essen kostete, das sie alle Tage frisch für ihn kochte, und das dann doch die Katze fraß, weil er immer noch nicht kam. Sie selber trank nur einen Kaffee, kein fester Bissen mehr wollte ihr die Kehle hinunter, der Hals war ihr wie zugestrickt. Und auf der Brust lag es ihr wie ein Stein; nichts wälzte den mehr ab. Andere Jahre hatte sie sich mitgefteut, wenn die Ernte- wagen, schwerbeladen, an ihrer Hütte vorbeischwankten, wenn die Nachbarn das Korn drin hatten, reif und trocken ohne Ungemach. Mochte jetzt der Himmel sich auftun und Wasser ohn' Ende herabschütten, daß alles niedergeschlagen ward wie mit Hämmern! Sonst war sie alle Morgen in die Messe gelaufen und hatte fleißig gebetet um gnädige Be- Wahrung vor Wettersnot. Mochten jetzt Donner nieder- dröhnen und Blitze Niedersohren und Hagel niederprasseln, dick wie Eier,— warum kam der Willelm nicht?!— Es war heuer eine gesegnete Ernte. So viel totreifes Korn hatten die Eifeler noch nicht trocken in ihren Scheuern gehabt. Wenn das gute Wetter nur noch ein wenig anhielt! In zwei Tagen würde das letzte geborgen sein. Das Dorf war froh, alle zweihundert Seelen freuten sich, Mann und Weib, Junge und Mädchen. Selbst die ganz kleinen Kinder grahlten lustig am Feldrain, wo die Mütter sie unter einem notdürftig schattenden Busch neben dem Trink- krug und dem blechernen Eßnapf niedergesetzt hatten, derweil sie emsig chren Ehemännern halfen. Am müden Abend noch klang Ziehhanuonika, und die Mädchen lachten am Brunnen. (Schluß folgt.) (Nachdruck verboten.) Im friibUng. Von W. Matschinsky. Deutsch von S. W i n i ko f f. (Schluß.) Ms der Wagen borübergefahren war, kam Pistschichin aus seinem Versteck heraus. Er war wie im Fieber. Es trieb ihn gleichzeitig zu weinen und zu lachen. Er weinte über sein kläg- liches, farbloses Schicksal und über seine Verlassenheit, und dann wieder erfteute ihn der Gedanke, daß es auch noch etwas anderes gab und nicht alle so ein armseliges graues Leben führten wie er.
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22 (20.4.1905) 79
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