IlM   dem anderen aufgesucht überzeugt ass Freund und brüderlicher Kampfgenosse ausgenommen zu werden. Aber höchst übel hatte man ihn empfangen, wie einen gepäck- beladenen Fahrgast, der zu nachtschlafener Zeit in ein besetztes Abteil steigt. Daß in seinen Schriften, von denen dieUr- sprünge der Philosophie" als das �uuptwerk galt, vielfach eine neue Wertung der Dinge versucht war, hatte ihn offenbar ver° dächtig gemacht. Als Grabaus zu Wuhlmann kam, war er schon erfahrener und zurückhaltender geworden. Die beiden Männer verstanden sich anfangs ganz gut, indem jeder aus den Worten des anderen grade dos heraushörte, was er wünschte. Aber sehr bald kam es zwischen ihnen durch die Verschiedenheit ihrer Charaktere zu Differenzen. Wuhlmann verdankt- seinen wissenschaftlichen Ruf vor allem seinen Forschungen auf dem Gebiete der Geschichte her Philosophie. Eine rein rezeptive Natur ohne schöpferische Begabung, besaß er eine ungeheuere Gelehrsamkeit und beherrschte die entlegensten Strecken seiner Wissenschaft. Seine Kunst bestand vor allem darin, den Ge- danken nachzuspüren im Laufe ihrer EntWickelung, von ihren ägyptischen, syrischen oder indischen Anfängen an ihre un- bedeutendsten Spuren und vcrkümmertsten Rudimente zu ver- folgen. Aber nie hatte diesem unablässig, maulwurfsartig wühlenden Arbeiter das Licht eines eigenen Gedankens ge- strahlt, nie war ihm auch nur ein fremder Gedanke zum wirk- lichen inneren Erlebnis geworden, dos sein Herz mit jener heiteren Ruhe, die am ZZnde die schönste Frucht aller Philo- sophie ist, erfüllt hätte. Von Machtverlangen und der Sucht nach äußerer Anerkennung geplagt wie nur irgend einer der unfreien und gewöhnlichen Geister, die sich selbst einzig in der Schätzung der Umwelt finden, war er der ärgste Intrigant und Tyrann. Zerfallen mit den Professoren der anderen Fakultäten, die ihu nach seiner Meinung nicht aufkommen lassen wollten, hatte er seine engeren Kollegen, frühere Schülett von ihm, ganz unter seinem Bann. Und diese Stellung eines kanonisierenden Papstes wollte er auch Grabaus gegenüber ein- nehmen. Als er sah, daß der junge Lehrer seine eigenen Wege ging, bestimmte er ihn durch wohlwollend klingende sIrmahnungen, sich einzuschränken. Schließlich stand die ge- samte Fakultät gegen den jungen Gelehrten, der die Wahl hatte, entweder auf ein Weiterkommen an der Universität über- Haupt zu verzichten oder sich zu fügen. Fünf Jahre lang hatte er sich gefügt und den lebendigen Strom eingedämmt mit der Geduld eines Menschen, der fühlt, daß er innerlich wächst, und weiß, daß seine Stunde kommen wird. Aber immer stürmischer war seine Sehnsucht geworden, brennender und verlangender der Wunsch, zu sein, was er wirklich war. Nun hatte heute ein einziges unüberlegtes Wort alle Frucht des langen Wartens zerstört. Und doch war er, je länger er sie bedachte, desto weniger entmutigt durch diese schnelle Tat. Ihm schien, nicht, daß er heute den Bruch herbeigeführt habe, sei das Verkehrte, sondern daß er den Druck so lange getragen. Aber was sollte nun werden? Bilder verschiedenster Art stiegen aus dem so plötzlich geöffneten Schoß der Zukunft empor. (Fortsetzung folgt.), '(Nachdruck verboten. Deutfcher(ZrnalÄ. Wer an einem klaren Sommerabcnd oder duftigen Frühlings- morgen nach der bayerischen   Hauptstadt reist, weiß, wie sich da um die bunte Schar der aus aller Herren Ländern zusammenströmenden Fcrienretsenden stets sachte, aber immer merllicher das Band einer allgemeinen Erwartung und heimliche» Spannung legt. Stundenlang keucht der Zug durch eintönige Heiden und mattgrüne Fichtenwälder, die sich wie eine vielfach gemusterte Samtdecke über das ganze ober- bayerische Land spannen das anfangs erquickte Auge er- müdet bald in diesem steten Wechsel sanfter Hügel voll Wald und friedlicher Talmatten, die sich bis in die fernste Ferne ziehen. Immer findet sich ein Neuling, der sich nicht enthalten kann, sich laut zu verwundern, daß man bei München  , dem Eingangstor der Alpcnwelt, gar keine Berge sieht da auf einmal zerreißt auf dem Scheitel einer der sanften Höhen der grüne Schleier des Waldes, weithin blickt das Auge über das stille Land bis dorthin, wo im Süden der Himmel die Erde küßt und in staunender Bewunderung verstummt nun auch der Unzu- friedenste: unsäglich schön und schimmernd, wie aus Tau und Himmelsblau gewoben, steht dort ein Band zackiger Bergeshäupter, daran schneeweiße Punkte leuchten als Gruß der fernen Tiroler Gletscher. Das sind die deutschen   Alpen, ein Bild, so ergreifend und erhaben, daß jeder ernst vor seinem Anblick wird. ) Aus: R. H. FranceDas Leben der Pflanze". k. Lieferung. Stuttgart  . Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde. Ihre Glanzpunkte, die Königsschlösser, das Berchtesgadener Land  , das Tal von Garmisch   und Mittenwald  , den zauberhaften Kranz der bald schwermütig düsteren, bald schelmisch heiter blitzenden Seen, lernen alljährlich Hunderttausende kennen; von all ihren Bergesgipfeln schallt im Sommer das Jauchzen entzückter und von so viel Genuß übermütig gewordener Menschen aber mag sich auch eine Völkerwanderung über diese Zauberwelt ergießen, sie hat noch immer einsame und nicbesuchte Täler und verlassene Berges- hänge, in denen sich noch Schöneres birgt, als alle Reisebücher preisen. Dorthin möchte ich' denjenigen fuhren, welcher der Pflanzen geheimnisvolle Urwelt erkennen will, denn dort eröffnet es sich ihm erst ganz, wie die heimische Natur eigentlich ist. Und damit möge auch ihre Schilderung beginnen. Ich rate meinem Wanderer, sich die merkwürdig kontrastreiche Gegend des Tegernsees anzusehen. An den Ufern aller Luxus mondainer Menschen, lachende Gärten, elegante Villen, stetes Kommen und Gehen; ein Bild von italienisch« Heiterkeit. Aber darüber ein Kranz wie grämlich blickender, düsterer Bergeshäuptcr, deren manches schon eine Fclsenkrone trägt und in seinem finsteren Schweigen uns die Sage zurückruft vom rätselhaften Alten vom Berge, dessen Sinnbild es ist. Woher denn alle die düsteren, etwas ängstlichen Sagen kommen, die in diesen Gegenden von den Bergen von Mund zu Mund gehen? Sic kommen wohl noch aus jenen Zeiten, wo weit und breit kein Haus sich erhob, nur die Klosterburg am Tegarinsee; wo der Einbaum über den See fuhr, jeder fröhliche Ton in der Totenstille der unermeßlichen Wälder ringsum erstickte, und die ganze Natur so ernst und riesenhaft das Zwerglein Mensch anblickte, wie noch jetzt im Söllbachtal, wohin ich den Naturfreund führen will. Eine Stunde Bergwanderung bringt mit jedem Schritt in die Vergangenheit hinein. Hinter dem Bergrücken des Ring» bergcs, den wir zwischen uns und den jetzigen Mode-Ort Tegernsee  legen, versinkt Kultur und Menschheit. Eine grandiose Wildnis nimmt uns auf. Nie ist sie schöner, als in den Spätherbsttagen, wo die Bergeshänge in prangenden Lichtern erglühen die Tanne dunkelgrün, die Buchen rotbraun, die wilden Birnen brennendrot, und der mächtige Bergahorn, der sich hier in manchem Vielhundert- jährigen Riefen einfindet, lodert hellgelb, daß man es ordentlich knistern zu hören meint, wie er brennt. Schroffe Halden stürzen sich zu einem schäumenden Bach hinab Gerölle steigen in das enge Tal nieder, da und dort tritt der Felsen Nacktheit aus dem bunten Waldkleid hervor und zwingt uns in das Düster einer engen Klamm. Der breite Fahrweg wird auf einmal zum trittschmalcn Saumpfad und führt jäh hinab zum Wildbach, den wir überschreiten müssen. Fast senkrecht geht es an der anderen Taltocmd hinauf. Von Baum zu Baum muß neuer Halt gesucht werden; manchmal heißt es in dem Steinstrom klettern, schließlich nimmt uns ein ebener Pfad auf, der längs dem Berghange läuft, aber eigentlich eine Wasser- mulde ist, bedeckt mit zähem Morast, den wir auf schmalem, schwan- kendem Prügelsteige überschreiten. Die Talwände rücken näher zu- sammen, die finsteren Felsenhäupter sind zum Greifen nahe ge- kommen schließlich macht ein gewaltiger Ouerrücken das Tal zur Sackgasse, erfüllt von einem Hochmoor, in dem das Weiterdringen mühsam, ja gefährlich wird. Das ist die S ö l l b a ch a u einer der letzten Reste des deutschen   Urwaldes. Schon während unserer Wanderung war der lichte, wolst- gepflegte Forst bald hinter den Ufern des Tegernsees zurückgeblieben; wo so viel Wald ist, wie hier im tagetveiten Revier, da muh die Pflege zurücktreten. Bald versagen alle die wohlbekannten Begriffe von Waldesschönheit und Größe; eine fremde, unheimliche Kraft scheint hier zu walten, und mit einem Schlage wissen wir, warum die Sagen der Urmenschheit immer erfüllt sind von den Gefühlen des Grauens, voll von Absonderlichkeiten, von Schrecken, mit einem Hintergrund heimlicher Angst vor der Natur, einem Gemisch von Furcht und Bewunderung, so wie man einen unendlich mächtigeren Feind haßt, dem man nicht beikommen kann. In diesen Bergsagen verhallt der letzte Wiederilang der Ur» natur. Wer diese grandiose Wildnis nicht gesehen hat, weiß gar nicht, wieunnatürlich" unser licbgewohnter, deutscher Wald doch ist. Dort, wo nur die Natur das selbst wieder zerstört, was sie aufgebaut, stellt sich erst das richtige Verhältnis zwischen ihren Ge- schöpfen und uns her, und dabei verlieren wir unendlich. Alles nimmt dann gigantische Formen an, wenn nicht als Einzelwesen, so durch seine Masse. Aber trotzdem wird unser, uns von der Schule überkommener Begriff des Urwaldes enttäuscht. Wir erwarten nach dem Analogon der tropischen Wälder ein undurchdringliches Dickicht der Stämme, durchsponnen von Schlingpflanzen und durchwuchert von Hecken deS mannigfachsten Gesträuches. So ist aber unser deutscher Urwald nicht. Wohl wird auch in unserem Himmelsstriche der Wald, wenn er sich selbst überlassen bleibt, undurchdringlich, aber nicht durch die Ueppigkeit der Vegetation, fondern hauptsächlich, indem die durch Alter und Windbruch gestürzten Riesenstämme mit ihrem Aftwerk und Moder den Weg versperren. Die Bäume selbst stehen nicht sehr dicht, und nur dann, wenn in das Loubdach eine Lücke gerissen ist, durch welche Sonnenschein hereinflutet, spricst aus dem Moder und Moos ein Dickicht fröhlich grüner Bäumchcn unglaublich rasch hervor. Erst wenn man genauer hinblickt, sieht man, wie der Boden allenthalben besetzt ist mit den Keimen und einem zarten Anflug von Buchen und Fichten, nur