gedeihen diese in dem Halbdunkel, halb erstickt von dem Moder, der- kümmert durch die gewaltigen Eltern jahrzehntelang, manchmal ein Jahrhundert hindurch nur auf das kläglichste. Erst wenn der sie bedrückende Riese fällt, und helles Licht hereinflutet, schießen sie wie Pilze auf und holen bald nach, was sie in den Jahren der Kümmernis versäumt. Aber so wie in der menschlichen Gesellschaft Übersicht man die durch Druck und Armut klein gebliebenen Helden des Alltags nur zu leicht, gegenüber dem Glänze der Großen. Deren Pracht wird jedoch im Urwalde reichlich aufgewogen durch die Verwesung und Verwüstung, über die sie sich erheben. Denn in zwei, drei Reihen liegen die Pflanzenleichen übereinander, wie in ein grünes Leichen- tuch gehüllt durch die üppigen Moose, die alles überwachsen. Der Boden wird modererfüllt durch das Gewirr fallender Stämme, die den Regenabfluß verlangsamen, nicht minder durch die das Wasser begierig aufsaugenden Moose stets feucht und morastig erhalten, so daß man auf den liegenden Stämmen und Stümpfen, manchmal tief in den faulenden Mulm einbrechend, mühsam und halsbrecherisch über den übelriechenden Sumpfboden hinwegklettern muß; dazu in stetem Kampfe mit dem Geäst und schlangenartig sich empor- windenden Wurzeln toter und lebender Bäume, zwischen denen stets ein dunstiges Dämmern ist. Dazu kommt die absolute Stille dieser Einöde, der völlige Mangel an Blumen und Vögeln, mit Ausnahme emsiger Spechte, so daß der Gesamteindruck unheimlich und durch die Monotonie der sich darbietenden Bilder schließlich auch lang- weilig ist. Dafür aber fesselt der Urwald das Interesse des Botanikers aufs höchste. Wenn er erwarten konnte, daß dort, wo die Natur sich bollkommen allein überlassen bleibt, sich auch alle ihre bei uns heimischen Geschöpfe in sinnverwirrender Fülle drängen werden, so mag er jetzt höchlichst überrascht sein über die Armut der ihm da entgegentretenden Flora. Außer den Banmriesen gibt es vor- wiegend nur nieder« Pflanzen. Pilze, Moose, Flechten, Bärlappe, Schachtelhalme und Farnkräuter, die sind freilich von einer außer- ordentlichen Mannigfaltigkeit. Ungeheuere Baumschwämme schmarotzen allenthalben an den Stämnien, und im Moder ersteht überall die bunte Schar übelriechender, abenteuerlich gefärbter Pilz  - hüte. Am meisten treten durch ihre Masse die Moose hervor. Sie doininieren im Urwalde unbedingt. Da gibt es tausendfach zart- gefiederte Wedelchen, Urwälder im Kleinen, schwellende Polster, grüne Dickichte von Lebermoosen  , breite Rasen des Widertons, schwammige, mißfarbene Hügel der Torfmoose, eine Vielheit von Formen und Nuancen des Grüns, welche in einer tieferen Kategorie von Größe und Gestaltung den Formenzauber unserer Wqlder noch überbietet. Ungeheuere Massen der mannigfachsten Flechten über- spinnen totes und lebendes Astwerk mit fahlen Farben. An den Tannen hängen die tvallenden, geisterhaften Büschel der Bartflechte, desHirnschalenmooses" traurigen Angedenkens, dessen Besitz einst genügte, um als Hexe überführt zu werden, da es nach der Natur- kenntnis des XVI l. Jahrhunderts nur auf den Schädeln Gehenkter wuchs. Dort wo noch Platz bleibt, erhebt sich Gestrüppe von Bär- läppen oder ein Urwald hoher Schachtelhalme. Aber es fehlt die liebliche Schönheit unserer Waldblumen. Alles, das, was sonst die Waldwanderung so sehr verschönt, die vielen hell- und dunkeläugigen� Blumen, die entzückenden, blütengestickten Teppiche der Lichtungen davon ist im Naturwalde keine Spur. Was die Krhptogamen freilassen, das hält noch die Pestwurz besetzt, und sonst verkriecht sich höchstens das eine oder andere schattenliebende Pflänzchen, der Sauerklee, die Moderorchideen oder die bleiche Ge- scllschaft der Schuppenwurzen im ewigen Halbdunkel dieser Ge- strüppe. Den Naturkenner überrascht daher auch nicht das Fehlen der von den Blumen unzertrennlichen Insekten. Nur moderliebende Holzwürmer, Käfer und Maden durchwühlen die gefallenen Stämme. Die in eitel Rubinen-, Saphiren- und Diamantglanze prangenden, zirpenden, schnarrende», schwirrenden Schnaken, Fliegen, Grillen und Schmetterlinge, die unsere Kunstwälder im Sommer mit einem holden Klingen erfüllen, sie alle fehlen. Leblos erscheint die un- gestörte Natur, und der einzige Laut in der Stille ist das Hacken der Spechte, das schwermütige Seufzen des Windes in den Wipfeln und das heisere Knarren sich reibender Aeste. Dementsprechend sind auch die höheren Tiere spärlicher ver- treten, als man es im vorhinein erwartete. Schlangen sind sehr selten, Amphibien fehlen ganz sie fänden ja keine Nahrung. Auch die auf Insekten angewiesene Vogelwelt nieidet das vielhundert- jährige Dickicht. Nur einige kann der Urwald ernähren: den Fichten. nadeln und Buchcnknospen verzehrenden Auerhahn, die maden« suchenden Spechte und die großen Räuber: die Urwaldeule und noch größeres Raubzeug. Auch die vierfüßigen Lebcnsgenossen des Ur- Waldes lassen sich an den Fingern herzählen. Seltsamerweise gibt es Hasen, besonders viele Marder und Füchse, nicht minder Hoch- wild, natürlich auch die morastliebenden Wildschweins. Aber damit ist das Lebensbild des deutschen Alpenurwaldes er- schöpft. Fichte und Tanne herrschen in ihm, dann noch Buchen im regellosen Gemisch, sehr selten noch Ahorne, Ulmen und andere Bäume eingesprengt. Fast kein Unterholz, dafür aber alle jene niederen Pflanzen, welche dem Walde die Feuchtigkeit erhalten. So ist es in der Söllbachau, und so ist es nach den Schilderungen der Botaniker auch an jenen, wenigen anderen unzugänglichen Stellen deutschen Bodens, wohin sich die letzten Reste der wirklich unver- änderten heimischen Natur zurückgezogen haben: im Kubani  -Urwald des Böhmerwaldes, welcher das großartigste derartiger Gebiete ist und fürewige Zeiten" erhalten bleiben soll; wie denn auch der bayerische   Staat als Besitzer der soeben geschilderten Söllbachau meinem Vernehmen nach geneigt ist, diese..naturhistorische Stätte ersten Ranges" in ihrer Unberührtheit zu belassen. So ist es in den Urwaldresten der Schweizer   und Oesterreicher Alpen, so in den Sudeten   der schlesischen Grenze, wo sich(bei Goldenstein in Mähren  )! desgleichen findet, so scheint es durch die Naturgesetze für das Klima und die Bodenverhältnisse Mitteleuropas   überhaupt vor- geschrieben zu sein. Das sind die Wälder, die den Römern Grauen einflößten, als sie von dem Alpenwall niederstiegen; deshalb kam Germania   dem Tacitus traurig und unwirllich vor. Der echts deutsche Wald unserer Vorfahren gewährt wohl ein großartiges. aber durchaus nicht erquickendes Bild, und unsere Fantasie, die sich die Helden der Nibelungen in einem Eden vorstellt, welches alles das, was in unseren, Walde entzückt, in gesteigertem Maße enthält, ist übel beraten. Es bewährt sich eben auch in der Natur das viel- erprobte und uralte Gesetz des Schönen. Wahrhaft schön ist nur eine Mannigfaltigkeit von Eindrücken, deren einzelne Faktoren zu einander in harmonischem Verhältnis stehen. Indem wir im Laufe der Jahrhunderte die Urnatur ausgerottet, gewissermaßen gezähmt und in unseren Dienst genommen haben, indem unsere Forstkultur den Wald lichtete und zu einem Kunstprodukt umschuf, benahm sie ihm zwar seine Großartigkeit, aber sie schaffte dadurch Raum für die fremden Waldgäste: das Buschwerk, die Waldwiese, die Blumen- schar mit ihrem Gefolge von Licht, Leben, Duft und Farben. Erst sie, welcher der Naturschwärmer grollen zu müssen vermeint, läßt jenes Mosaik von Sonnenschein und Schatten, von Dickicht und weiten Perspektiven erstehen, welches allein, wie wir erst jetzt er- kennen, die Waldwanderung so heiter, erquickend und schön macht. Kldnce Feuilleton. Räkoczys Schädel. Man schreibt derFranks. Ztg.": Die Zeit rückt imnier näher, in welcher die UeberresteRökoczhs des Rebellen" in die Heimat zurückgebracht werden sollen aus dem fernen Türken- lande. Ob mit oder ohne Schädel. In der Vorrede zu dem Lebensbilds, das Freiherr v. Hclfert von seinem Freunde AloyS Fischer   entworfen, heißt es, Fischer sei nicht unempfäng- lich für einen guten Spaß gewesen;denn ich meine schier, es sei die Anekdote von den zwei Schädeln desgroßen Rakoczy", die ich Dir damals<1848 in Olmütz  ) zum besten gab, gewesen, was Dich mir zuerst näher brachte; mutzte ich sie Dir doch so oft wieder erzählen!" In den Anmerkungen schreibt dann Helfert mit Bezug darauf:Dies heitere Ouiproquo hat zwei Varianten. Die bekanntere spielt in einem Raritätenkabinett, wo der Fremde einen Totenschädel gewahrt. Das is Kopf von große Rakoezy 1" belehrt ihn der Führer. Und dieser kleinere daneben?" Is auch Kopf von große Rakoezy, wie wor zehn Johr olt." Nach einem anderen Gewährsmann erblickte der Besucher auf dem Schreibtische seines Freundes einen Totenschädel. Potztausend l Seit wann sind Sie denn Anatom?" Nix Anatom! Dos is gor berühmter Schädel, dos is Kopf von große Rakoezy!' Wie? ist mir doch, als hätte man mir schon irgendwo den Schädel Näkoczys gezeigt l" .�mios. werden Sie on zwanzig Orte kommen, und wird mon sogen: Dos is Kopf von großen Rakoezy. IS olles nit wohr l Existieren in gonze Welt mir z w a i echte Exemplare: ains iS in Nationalmuseum von Pest und ondereS hob ich!" Theater. Deutsches Theater.DerPrivatdozent." Ein Stück aus dem akademischen Leben in vier Akten von Ferdinand Wittenbauer  . Der Autor, selbst Professor an der technischen Hochschule in Graz, leuchtet mit erfrischender Rücksichtslosigkeit in die Streberci und das Günstlingsleben der akademischen Welt hinein. Nicht nur, daß der Staat dieFreiheit der wissenschaftlichen Lehre" einengt, in dem er die Besetzung der Lehrstellen von seiner Genehmigung abhängig macht und die Vertreter einer unerschrockenen Gesellschaftskritik oder sonstiger staatlich approbierter Gesinnungen nach Möglichkeit von den Universitäten fernhält, nicht nur daß so politische Rückgratlosigkeit und Leisetreterei hier systematisch gezüchtet wird, auch davon abgesehen, findet Talent und Können, das in dem Dienst der Wissenschast Wertvolles zu leisten vermöchte, hundert Schlagbäume errichtet. Eine jahrelange unbesoldete Dozenten- tätigkeit, von der auch die tüchtigsten, wissenschaftlichen Arbeiten nicht dispensieren, schließt von vornherein die Mittellosen aller Fälle von dieser Laufbahn aus; wie denn ja durchweg in der heutigen Gesellschaft die Entwickelung und Betätigung von Anlagen großen- teils nicht so wohl davon, was einer von Natur, als davon, was er von den Eltern mitbekommen, abhängt. Aber zu dem Klassenwesen, das dem Wissenschaftsbetrieb durch die soziale Gesamtoraanisation notwendig aufgeprägt ist, gesellt sich obendrein eine deutlich merkbare Tendenz zum Kastenwesen. Wer den Vor- sprung, den Besitz gibt, durch verdoppelte Arbeit einholt, stößt hinter den sozialen hier noch auf neue sehr viel engere Schranken. Da