jetzt ganz. Vom Garten her flutete, durch das Zweiggewirr der Apfelbäume vielfach zerteilt, der goldrote Abendsonnenschein und ergoß sein gedämpftes Feuer über die lange Reihe der Bilder von Shakespeare , Goethe, Schiller , Kant und all der anderen verstorbenen oder noch lebenden Großen im Geist, die' in dieser Dämmerstunde von dem geheimnisvollen Glanz seit- sam erhellt, beredter und teilnahmsvoller als sonst auf ihn hinabschauten. „Aus toten Büchern haben Sie lebendige Freunde ge- macht," wiederholte Grabaus mit glückverkündendem Lächeln. Nun, dachte er, bin ich denn etwa allein und verloren? Habe ich nicht die Gewißheit, daß diese hier mir Recht geben, und daß mein Wort, mögen auch alle Professoren mich mundtot machen wollen, doch durchdringen wird! Warum sollte ich den Mut sinken lassen? Ach und dann— ich habe ja selbst immer geglaubt und gelehrt, daß, wo nur ein Mensch mit eigenen neuen Ideen erscheint, er auf den stärksten Widerstand stößt. Wenn ich bisher nicht gewußt habe, daß ich etwas bin, so habe ich es heut erfahren. Als Frau Konstanze wieder herein kam, war der Tisch zum Abendessen schon gedeckt. Doch vorher mußten die Eltern den Kindern noch Gute Nacht sagen. Besonders rotbäckig und niedlich wie stets nach dem Baden schauten die beiden Kleinen aus ihren weißen Kissen hervor. Der Bube kroch sofort unter die Steppdecke, indem er vorgab, den Bergmann zu spielen. Seine Mama, die niit ihm immer etwas auf Kriegsfuß stand, drohte mit der Rute und hatte nicht geringe Mühe, bis er sich schließlich zu einer vernünftigen Lage bequemte. Elsbeth aber ruhte höchst sittsam und artig mit ihrer Puppe im Arm, sorg- sam bemüht, das Tüchlein, das man ihr aus Vorsicht unter die nassen Haare gelegt hatte, nicht zu verschieben. Nachdem sie ein etwas lang ausgesponnenes Nachtgebet gesprochen und sich selbst, den Buben, Papa, Maina, die Puppe und den Kanarienvogel der Fürsorge Gottes empfohlen hatte, gaben die Eltern beiden Kindern noch den letzten Kuß und gingen dann zu Tisch. Es gab Pellkartoffeln. Nicht ohne einen gewisse,: Stolz hob Frau Grabaus den Teckel von der blanken Nickelschüssel, und nicht ohne Gnmd brach ihr Mann beim Anblick der so behäbig dicken und runden Knollen in Bewunderung aus. Mit diesen Kartoffeln hatte es seine eigene Bewandtnis: sie waren selbstgepflanzt. Knapp ein halbes Jahr war es her, daß der junge Privat- dozent,-dem der Arzt freie Luft und körperliche Arbeit ver- ordnet hatte, in aller Herrgottsfrühe mit dem Spaten in den Garten gegangen tvar, um die Erde umzugraben. Höchst un- geschickt hatte er sich bei dem Geschäft angestellt, und als er nach einer Stunde das bearbeitete Stück Land überschaute, das mit seinen Löchern und Hügeln den.Eindruck erweckte, Hühner hätten drauf mit Maulwürfen um die Wette gehaust, war er nicht wenig verzagt. (Fortsetzung folgt.x (Nachdruck verboten.) Ver stille Ozean in ftandd und Krieg. Schon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts zeichnete Karl Marx mit genialem Blick in lapidaren Strichen die Bedeutung des Stillen Ozeans für die Weltwirtschaft der Zukunft.„Zum zweiten Male", so sagte er,„bekommt der Welthandel eine neue Richtung. Beide Küsten des Stillen Ozeans werden bald ebenso bevölkert, ebenso offen für den Handel, ebenso industriell sein, wie es jetzt die Küste von Boston bis New Orleans ist. Dann wird der Stille Ozean dieselbe Rolle spielen, wie jetzt das Atlantische und im Mittelalter das Mittelländische Meer— die Rolle der großen Wastcrstratzen des Welt- Verkehrs, und der Atlantische Ozean wird herabsinken zur Rolle eines Binnensees, wie sie jetzt das Mittelmeer spielt. Die einzige Chance, daß die europäischen, zivilisierten Länder dann nicht in dieselbe industrielle, kommerzielle und politische Abhängigkeit fallen, in der Italien , Spanien und Portugal sich jetzt befinden, liegt in einer gesellschaftlichen Revolution, die, so lange es noch Zeit ist, die Produktions- und Verkehrsweise nach den aus den modernen Pro- duktionskräften hervorgehenden Bedürfnissen der Produktion um- wälzt und dadurch die Erzeugung neuer Produktionskräfte möglich macht, ivelche... die Nachteile der geographischen Lage aus- gleichen." Ter gewaltige industrielle Aufschwung, den die Vereinigten Staaten von Nordamerika in den letzten Jahrzehnten genommen, war ein großer Schritt nach dieser Richtung. Von entscheidendem Einfluß aber dürste der Riesenkampf lverdcn, der sich gegenwärtig zwischen Rußland und Japan abspielt. Mag das Streben des letzteren sich zunächst darauf beschränken, die Küstenländer des Ja» panischen, Gelben und Chinesischen Meeres zum industriellen Pro- duktionsgebict der mongolischen Völker zu machen: der amerikanische . australische, indische und japanisch-chinesische Wirtschaftskreis mit ihrer gewaltigen Inselwelt greifen heute bereits mächtig und in engen Verschlingringen ineinander, mit Riesenschritten über die Be- deutung hinauseilend, die der Handel des Stillen Ozeans seit Jahr» Hunderten für Morgen- und Abendland besessen. Der erste, der über die Handelsstätten des Stillen Ozeans aus eigener Anschaung verläßliche Kunde nach dem Westen gebracht hat, ist der Venetianer Marco Polo . Während einen Handelsreise, die sie nach der Krim unternommen, und infolge einer Reihe von Zufälligkeiten waren sein Vater und Onkel, die Brüder Nicola und Maffia Polo, wider ihre ursprüngliche Abficht schließlich zum Reich der Ntandschu gelangt, die nach der Eroberung Chinas in dem alten Herrschersitz Cambalu(Peking ) ihren Thron aufgeschlagen hatten. Nach vieljährigem Aufenthalt entließ sie der Chan Kubla mit einer Sendung nach dem Westen, deren Hauptzweck die Heranziehung christlicher Missionare war. Die Sendung schlug fehl. Doch kehrten die Brüder nach zweijährigem Aufenthalt im Abendlande in Be» gleitung von Nicolas Sohn Marco nach dem Osten zurück. Im Frühling 1275 erschienen sie wieder vor Kubla Chan in dessen Sommerresidenz Tanddu(Shangtu). Erst 1294 sahen sie Venedig wieder, nachdem sie am chinesischen Hofe in den verschiedensten Ge- schäften tätig gewesen; besonders der junge Marco hatte sich in einer Anzahl von Gesandtschaften als Beauftragter des Chans hervorgetan. Zu Marco Polos Zeit hatte China eine Kulturstufe erreicht, die der gleichzeitigen der fortgeschrittensten europäischen Länder zum mindesten nicht nachstand. Marco rühmt den betriebsamen Gewerbefleiß und Handelsstnn des Volkes, der die Warenproduktion bereits zur vollen Entfaltung gebracht und zum herrschenden Er- werbszweig gemacht hatte. Von dem Leben und Aussehen der Stadt Oinsay(Kiahing)— wegen ihrer wundervollen Lage in- mitten eines fruchtbaren Seengebiets„Himmelsstadt" genannt— entwirft Marco Polo aus eigener Kenntnis eine geradezu enthu- siastische Schilderung. Ihre Straßen und Gasten sind lang und breit, die Marktplätze sehr geräumig. Von einem Fluß und vielen Kanälen durchzogen, besitzt sie unzählige Brücken, deren höchste über den Hauptkanälen die Schiffe mit aufrechtem Mast durchlassen. Der Hauptmarktplätze, von den kleineren in größeren Nebenstraßen abgesehen, gibt es zehn, alle von quadratischer Form und in be- stimmten Abständen an der Hauptstraße gelegen, die vierzig Schritte breit die Stadt von einem Ende zum anderen durchquert. Während dreier Tage einer jeden Woche strömen hier 49 000 bis 50 000 Menschen zum Verkauf der verschiedensten Viktualien zusammen. Täglich werden vom nahen Ozean den Fluß heqauf gelvaltige Mengen Fisch gebracht, so daß man glauben sollte, es sei unmöglich, sie zu verkaufen, und doch ist alles in wenigen Stunden dahin. Die Marktplätze sind von hohen Häusern umgeben, in deren Unter- geschossen sich Werkstätten von Handwerkern oder Kaufläden befinden mit aller Art Waren, wie Gewürze, Perlen, Edelsteine und nur in wenigen Reiswein. In einem besonderen Viertel, von wo aus die Märkte leicht erreichbar, besitzen die indischen Kaufleute ihre Lager- Häuser. Sie sind aus Stein gebaut, die übrigen Häuser der Stadt dagegen aus Holz. Bei Feuersgefahr schafft man Waren und sonstiges Gerät in steinerne Türme, deren jede Straße mehrere aufweist. Ein Hauptprodukt der Gegend und zugleich ein Haupt- zufuhrartikel ist Seide. „Es existieren dort zwölf Hauptgcsellschasten oder Zünfte, deren jede 1000 Stände hat; in jedem Stand sind zehn, fünfzehn oder zwanzig Mann an der Arbeit und in einigen vierzig unter einem Meister." Auch der Gewürzhandel stand in hoher Blüte. Nach einer genauen Berechnung, die Marco Polo von einem Zollhausaufseher der Stadt erhielt, betrug der tägliche Pfefferverbrauch 43 Sonima, jede Somma zu 223 Pfund. Nicht nur war in dem stromreichen Lande die vielfach mit Zug» Pferden betriebene Flußschiffahrt eine rege— so sah Marco Polo in einer der kleineren Uferstädte an die 5000 Barken— auch über Meer unterhielt man einen lebhaften Verkehr. Allerdings lag dieser vorwiegend in den Händen indischer Kaufleute. Ihre Schiffe be» schreibt Marco Polo als Eindecker aus Föhrenholz, die meist zwanzig, manchmal mehr, manchmal weniger Kabinen für Kaufleute auf- wiesen. Neben einem starken Steuer besaßen sie zwei oder vier Masten mit ebensoviel Segeln. Bei größeren Schiffen� zerlegte man den Binnenraum in getrennte und geschlossene Teile, um im Falle der Havarie das eindringende Wasser zu beschränken und das Leck um so leichter stopfen zu können. Die Plankcnwände bestanden aus doppelten Bohlen und waren mit einer besonders präparierten Masse gedichtet. Nach der Größe des Fahrzeuges betrug die Mann- schaft 150 bis 300 Mann. Die kleinsten Schiffe trugen 1000, die größten zwischen 5000 und 0000 Ballen Pfeffer. Auch Ruder waren in Gebrauch, deren jedes von vier Mann bedient ward. War ein Schiff«in Jahr auf See, so erhielt eS eine dritte Plankenreihe und so fort bis zu sechs; dann brach man es auf. Nach Japan gingen zu Marco Polos Zeit nur wenige Kauf- leute, da. wie er sagt,„der König die Goldausfuhr nicht gestattet". Häufiger lief man die Philippinen an. Der Kurs ging durch das chinesische Meer an Formosa vorbei. Die Philippinen führten südwärts zu den kleinen und großen Sundainseln und über diese zur Südspitze von Hinterindien . Von hier ging der Lauf über die Inselgruppen der Nicobaren und Adamanen nord»
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22 (27.4.1905) 83
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