Anterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 86. Mittwoch, den 3. Mai.' 1905 (Nachdruck oevdoten.) 6J flammen. Roman von Wilhelm'Hegeler  . Auf dem schönen Gesicht des Fräulein Thon verrieten Bestürzung, Verwirrung, Scham, Besiegtheit von der kecken Weise ihres Freundes sich in einem so reizenden Spiel der Züge, daß Grabaus von dieser lieblichen und so schnell sich ihm menschlich nähernden Erscheinung ganz entzückt war. Der großen Dame aus der Gesellschaft machte er eine mehr als tiefe Verbeugung, das schöne, liebenswürdige Mädchen gewann ihm ein herzliches Lächeln ab, die Schauspielerin betrachtete er mit neugierigen. Geheimnisvolles ahnenden Augen. Nachdem Grabaus so als Freund vorgestellt war. ver- tauschte Fräulein Thön ihr zurückhaltendes und würdevolles Wesen mit einer anmutigen Vertraulichkeit. Sie legte Schleier und Handschuh ab, goß dem Gast Tee ein und holte von einem Wandbrett ein Kästchen mit allerhand Knusperzeug ge- füllt, das sie herumreichte. Sie selbst zündete sich eine Zigarette an. Dann fragte sie Grabaus, wie lange er sich in Berlin  aufzuhalten gedächte, und als dieser antwortete, er wollte nur einige Tage bleiben, um seine Angelegenheit zu ordnen, meinte sie, er müßte doch auch von den Anregungen Berlins  , den Theatern und Konzerten etwas genießen. Während die beiden so ins Plaudern kamen, warf Geb- hard dazwischen: Was hast Du eigentlich für heute abend vor?" Einstweilen nichts. Falls Du frei bist" !Es tut mir riesig leid, aber ich muß nachher zu einer Komiteesihung. Und wenn die zu Ende ist" Maggie biß sich auf die Lippen und sagte: Also willst Du wirklich dahin?" Ich kann nicht anders. Es ist doch nicht zum Vergnügen einfach Dienst." Minnedienst!  " sagte sie etwas höhnisch.Dich lockt ja bloß die schöne Frau Platen." Tata!" machte er und zog die Stirn hoch.Was Du für Ideen hast!" Warum gehst Du denn sonst hin?" Ich muß. Ich hab's versprochen. Wenn ich mich nirgendwo zeige, wie soll ich dann Aufträge bekommen?" Laß doch die Leute zu Dir kommen." Aber wenn sie nicht wollen? Die Kunst geht nach Brot." Ach! Glauben Sie das alles nur nicht!" wandte Maggie sich an Grabaus.Die Kunst ist ihm nur ein schöner Vor- wand. Verliebt ist er. Verliebt wie ein Primaner in eine herzlose, kalte, stolze Frau. Ach, was die Leute nur an der finden! Da kommt sie her aus ihrem Provinznest, und alle liegen vor ihr auf den Knien. Aber unterhalten Sie sich nur mal mit ihr! Eine Puppe! So fad! So fad! Ich Hab sie gesehen. Auf'nem Basar. Vor lauter Stolz hat sie den Kopf nicht bewegt, aus Angst, ihre siebenzackige Krone fiele herunter. Dabei ist sie nicht mal von Adel." Erlaube," sagte Gebhard nicht ohne Wichtigkeit,sie ist eine geborene von Hellen." Sekt hat sie verkauft. Mit'ner Miene wie'ne Mutter Gottes, die den Segen austeilt. So kredenzt man doch nicht Sekt. Schau, Liebster, was hast Du an der Frau? Meinst Du, die würde Dich je erhören! Ach, ihr Männer! Nein, nein, was seid ihr für ein Volk!" Recht so! Bravo!" sagte Gebhard.Ich würde zur Bekräftigung gleich eine Teetasse zerschlagen. Eine ganz ordi- märe, niederträchtige Gesellschaft sind wir Männer. Man sollte uns allen oder vielmehr euch allen die Kehle abschneiden. Nur Du dürftest am Leben bleiben Du und um Dich kniend hunderttausend Mannsbilder." Ach, mach keine Scherze. Tatsache ist. daß Du in die Frau verliebt bist und mich abscheulich vernachlässigst." Aber wenn ich Dir nun sage, daß Frau Platen überhaupt heute abend nicht da ist? Und wenn ich Dir verspreche. Dich vom Theater abzuholen?" Wirklich?" Ich schwöre." «Ach, Du bist Doch ein lieber Kerl. Und Sie, Herr Doktor? Hätten Sie vielleicht Luft, mit ins Theater zu kommen?. Wir haben heut Hero und Leander  , mit mir als Aante." Das wäre eine Idee!* sagte Gebhard vergnügt.Nach- her speisen wir alle bei Maggie zu Abend. Was es halt gibt. Kinder, das wird sehr gemütlich!" Mögen Sie?" wandte Maggie sich mit liebenswürdigem Lächeln an Grabaus. Ja, wenn nicht" Ach, nur keine Höflichkeiten! Sie können mir keinen größeren Gefallen tun, als mit mir ins Theater zu kommen, Wenn ich einen Bekannten dort weiß, geht's mit dem Spiel gleich viel besser. Und ihm tun Sie den größten Gefallen. wenn Sie uns nachher begleiten." Ohne'ne kleine Spitze geht's doch nicht," lachte Gebhard. Das soll keine Spitze sein! Aber Herrschaften" sie hatte ein Uehrchen aus dem Busen gezogen, das sie mit komischem Entsetzen anstarrtees ist allerhöchste Zeit. Ich will mich nur geschwind abbürsten, gleich bin ich wieder da." Sie verschwand in des Malers Kammer, und kaum war sie draußen, als Gebhard seinen Freund bei der Hand nahm. Liebster, vor Mitternacht   kann ich unmöglich aus der Sitzung sein. Nicht wegen Frau Platen. Die ist gar nicht da. Aber na, ich kann einfach nicht. Wenn ich Maggie das gleich sagte, wäre sie vor Eifersucht außer sich. Ich Hab sie furchtbar gern, wirklich, sie ist reizend, gut, lieb, ein be» zauberndes Kind aber eifersüchtig! Du mußt sie ein bißchen trösten, nimm Dich ihrer an, sag ihr einige Süßig- keiten, dann merkt sie gar nicht, wie die Zeit herumgeht, bis ich komme." Grabaus machte ein etwas entsetztes Gesicht. Ja aber" Sprich mit ihr über ihre Kunst. Vertreib ihr die Zeit, Mein Gott, sie ist doch kein Drache!" Nein, wahrhaftig nicht!" Na, also! Du verplauderst eine reizende Stunde mit ihr, und ich komme viel zu früh. Ach, Du Glücklicher, und ich muß in diese blödsinnige Sitzung. Wenn wenigstens Frau Platen da wäre ja, das ist's eben, es lassen sich famose Wirkungen erzielen, aber die Geschichte hält nicht," fuhr er in demselben Ton ohne die geringst� Unterbrechung fort, als Maggie wieder hereingekommen war. Was hält nicht?" fragte diese. Wir sprechen von Oel und Pastell, mein Liebchen. Mit Pastell lassen sich famose Wirkungen erzielen, aber die Ge- schichte hält nicht. Ist eben'ne oberflächliche Sache. Oel aber, das dringt tief ein. Das ist der große Unterschied." Ja," sagte Maggie.Pastell und Oel« das ist wie die Liebe bei Männern und Frauen." Sehr fein gesagt! Maggie, da hast Du Dir'neu brillan- ten Abgang verschafft. Aber nun macht auch, daß Ihr fort- kommt!" Gleich darauf saß Grabaus mit seiner niedlichen Nach- barin im Wagen und fuhr zum Deutschen   Theater. Während der Fahrt fragte sie ihn über ihren Freund aus, Grabaus mußte erzählen, wie sie zusammen die Schulbank gedrückt hatten, was für tolle Streiche Fritz schon als Gymnasiast verübt hatte. Auch wollte sie wissen, wie viele Geliebte er besessen? Darüber aber erklärte Grabaus nichts zu wissen. Ach," seufzte Maggie,es hackt eben keine 5krähe der anderen die Augen aus. Nur die gerechnet, die er ableugnet. geben ein ganzes Register. Ilnd von wie vielen weiß ich nichts!" Im Theater ließ sie es sich nicht nehmen, für ihn ein Billett zu besorgen. Nachdem sie sich seinen Platz gemerkt hatte, eilte sie schnell durch den Schauspielerraum in ihre Garderobe. Es war noch ziemlich leer, und Grabaus hatte einige Zeit zum Stachdenken. Daheim brachte um diese Zeit Frau Kon- stanze die Kleinen zu Bett, und Mammikind würde den ab- wesenden Vater gewiß besonders warm dem lieben Gott empfehlen. Und morgen früh würde er zeitig ausstehen und sich in Frack und weißer Binde aufs Ministerium begeben müssen- Angenehme Aussichten! Doch weder das Morgen noch sein« Familie komste seine Gedanken beschäftigen, als wäre das alleS