Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 89.

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Flammen.

Sonntag, den 7. Mai.

( Nachdruck verboten.)

Noman von Wilhelm Hegeler . Warum ist das so?" fuhr der Maler fort. Mit der Kunst wie mit der Liebe. Ein Rausch, der nie wiederkehrt. Ich sehe ein Motiv, eine Landschaft, einen Menschen, bin frappiert, Tag und Nacht schleppe ich's im Kopf mit mir herum, wenn ich davor trete, fange ich an zu zittern. Ich muß es malen. Gut, ich tu's. Wenn das Bild so wird, wie ich ge­wollt habe, dann ist das Motiv für mich erledigt. Ich mag's faum noch ansehen. Es widert mich an, bestenfalls ist es mir gleichgültig. Manche malen zeitlebens dieselben Bäume, be­nußen dasselbe Modell. Ich nicht. Und mit der Liebe geht's mir ebenso. Eine Frau, die ich gehabt habe, ist wie ein leer­getrunkenes Glas. Ohne Reiz, ohne Duft, ohne Frische. Ach, erobern, das ist schön. In Ruhe besitzen, das ist Philister­glück. Hab ich nicht recht?"

,, Höre," sagte Grabaus mit einiger Heftigkeit, ich kann das wirklich nicht beurteilen. Wenn wir jetzt Indianer oder Malayen von ihren Sitten erzählten, so könnte mich das kaum fremdartiger berühren als das, was Du mir erzählst. Ich fann mir einfach kein Urteil erlauben. Aber das muß ich allerdings sagen: etwas indianisch und barbarisch kommt mir Deine Art zu lieben vor."

Der Maler lächelte nur und erwiderte: ,, Vielleicht bin ich ein Barbar."

Was Du vom Motiv sagst," fuhr Grabaus fort, auch Sas stimmt nicht mal ganz. Malst Du denn wirklich nur den Baum, den Fels, das Wasser? Nein, die Luft matst Du, die Spiegelung, die ewig wechselnde Stimmung. Und so ist der Mensch doch auch wandelbar! Gib Deinem Herzen nur einen Stoß, geh morgen zu Maggie, sei gütig und verständnisvoll, so wirst Du eine ganz neue finden. Tausend Maggies kannst Du finden, wenn Du nur treulich suchst. So wandelbar ist der Mensch."

" Ja, ja, so wandelbar, so wandelbar!" wiederholte der Maler. So wandelbar bin ich aber auch, daß das, was mir heute gefiel, mich morgen kalt läßt. In mir lebt eben ein anderes Bild. Und wenn ich morgen zu Maggie hingehe, dann steht die andere zwischen mir und ihr."

Mein Gott, das arme Ding weint sich die Augen aus, wenn Du nicht wiederkommst."

Und doch ist es das beste, auch für sie. So quäl ich fie mur mit meiner Gegenwart. Sie fühlt, daß ich sie nicht mehr liebe, und grämt sich. Aber wenn sie weiß, daß sie mich verloren hat, dann wird sie acht Tage weinen. Dann aber nach acht Tagen wird sie das leere Herzenskämmerchen wieder öffnen und einen anderen hineinlassen."

"

Glaubst Du?"

Sicher!" Ich bin weder der erste noch der letzte. Auch sie ist ein wandelbarer Mensch. Gott sa Dank!" Schweigend gingen sie die nächtigen Straßen hinunter. Aber vor dem Hoteleingang blieb Gebhard noch stehen und fagte:

Dann gute Nacht."

1905

Gute Nacht und" Grabaus hielt seinen Freund noch am Aermel fest, denk noch mal an Maggie. Sie ist so reizend! Vielleicht grünt die Liebe doch noch mal."

Aber der Maler schüttete den Kopf. Er trat auf die Straße zurück, und wie er mit der Hand den letzten Gruß winkte, hörte Grabaus ihn murmeln: Marie Luise Marie Luise."

Nachdenklich stieg Grabaus die Treppe hinauf. Nachdem er die Kleider abgeworfen und sich aufs Bett ausgestreckt hatte, überkam ihn das Gefühl, von der ungeheuren Fülle der Ein­drücke fast erdrückt zu werden. Das Licht erlosch, schon wollte er schlafen, da murmelte auch er noch, im halben Dämmern des Traumes:

"

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Marie Luise Marie Luise." Eine seltsame Musik lag in diesem Doppelflang: Marie Luise Marie Luise."

3.

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In dem neumodisch und elegant tapezierten, mit einem zerschlissenen Ledersofa, einem runden Tisch und einer Anzahl schlechter Stühle ausgestatteten Vorzimmer des Ministeriums warteten bereits drei Besucher, als Grabaus eintrat. Am Kamin stand mürrisch dreinschauend ein schwarzer Herr, von dem ein starker Jodoformgeruch ausging. Er schien fort­während mit seinen Nägeln zu kämpfen, die er bald abbiẞ, bald rieb, bald betrachtete. Am Fenster saß mit weit vor­gestreckten Beinen und verrutschter Halsbinde ein alter Herr, der bei seiner Magerkeit ein ganz unmotiviertes Bäuchlein hatte, wodurch ein gewisser Zwiespalt in seine Erscheinung kam. Das Bäuchlein verriet Behaglichkeit und manchen guten Trunk, während die Hagerkeit sowie das gefurchte Gesicht von strenger Pflicht und erstem Lebenswandel zeugten. Der dritte der Wartenden trug im Gegensatz zu den beiden anderen, die im Frack waren, einen saloppen Gehrock. Er hatte eine Mappe in der Hand und spazierte ungeduldig auf und ab. Eine gewisse prahlerische Ungezwungenheit in seinem Wesen deutete an, daß er sich hier zu Haus fühlte.

Bei seinem Hin- und Herrennen war er dem am Fenster Sitzenden auf die Füße getreten, die dieser erschrocken einzog... Ents- chuldigen Sie!"

"

Bitte, bitte, macht fast gar nichts."

Der alte Herr erhob sich nun schwerfällig, nannte seinen Namen und fügte hinzu:

Sie sind wohl auch S- chulmann?"

Ne, ne, ums Himmelswillen! Seh' ich so aus? Ich bin' n janz harmloser Journalist."

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Soso. Ach, ents- chuldigen Sie, es hat doch seine Richtigkeit, daß die Sprechstunde von zwöff bis eins ist?" Na ja, so quasi. Das heißt auf Deutsch , von eins an­gefangen. Vor eins kommt der Geheimrat nie. Nach zwei schon eher."

Aber das ist ja s- chrecklich. Ich warte schon seit halb zwölf hier. Um zwei Uhr kommt der Herr Ministerialdirektor manchinal?"

" Tja, lieber Gott, der Mann hat eben auch zu tun. Sehen Sie mal, wenn einer sozusagen die ganze Bildung der Monarchie zu befummeln hat-"

"

Höre, Du mußt die Frau Platen kennen lernen. Dann ,, Es war alles so sonderbar. Der Diener wußte von wirst Du alles verstehen und mir nicht mehr böse sein. Sie char nichts. Und dabei habe ich mich doch bei dem Herrn ist eine Frau, die man lieben muß. Wer irgend nur Ministerialdirektor anchemeldet." Empfindung hat, muß über sie alle anderen vergessen. Willst Du?"

Aber wie ließe sich das machen?"

,, Auf die einfachste Art von der Welt. Uebermorgen ist sie bei der Gräfin Borcke. Du kennst doch das Haus der Gräfin?"

Nie davon gehört."

,, Ach, dort ist' ne Art jour fix. Sie selbst ist Theosophin und hat ein offenes Haus für Naren aller Art. Kommit Du mit?"

Grabaus sagte zu.

Die paar Stunden werden Dich nicht reuen. Abgesehen bon ihr triffst Du auch' ne ganze Menge amüsanter Leute dort. Es werden Vorträge gehalten. Also Donnerstag um halb vier. Ich hol Dich ab. Einverstanden?" Einverstanden."

Anmelden hat jar fein'n Zweck.' ne Weile wird's wohl

noch dauern."

Nach einiger Zeit wurde die Tür wieder geöffnet, und in untadligem Frack trat ein lebhafter Herr ein, der allen sehr vernehmlich guten Tag wünschte.

,, Entschuldigen Sie" wandte sich der Direktor wieder an den Journalisten. Sie kennen den Herrn Ministerial­direktor wohl näher?"

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Wie meine Westentasche."

Er soll wohl ein etwas f- chroffer Herr sein?" ,, Das is nu janz verschieden. Wenn ihm was nich paßt, fann er allerdings höllisch eflig werden."

,,, ich glaube, das ist wohl nur eine fable convenue," warf jetzt der lebhafte Herr ein. Verzeihen die Herren, wenn ich mich für einen Abwesenden in die Bresche werfe.

Er machte eine kurze Verbeugung, wobei er sich durch