Itchm er mich mit nach Berlin . Ich haS ja ElrNich viel Schönes gehabt. Aber jetzt sehne ich mich wieder nach Haus.. Es ist so vieles in der Nähe klein geworden, was mir aus der Entfernung so groß erschien.— Jetzt weiß ich, was ich eigent- lich schon längst gewußt— daß es das beste Glück ist, wenn Man still und einsam sein darf, wenn alles, was so die Menschen Leben nennen, nur ganz von ferne an einem vorüberzieht." Aber Grabaus unterbrach sie, und mit einer Heftigkeit, als wenn etwas lang Zusammengepreßtes sich jetzt gewaltsam befreite, stürzten seine Worte hervor, flogen förmlich in die Luft wie losgesprengte Felsstücke. „Nein, gnädige Frau, nein, nein! Das ist kein Glück. Das mag ein schöner Selbstbetrug sein, aber es bleibt Be- trug.— Wofür leben wir um Gottes willen, wenn wir das Leben fliehen?! Wenn ich meine Kräfte nicht brauche, wofür Hab ich sie denn und fühle, wie sie kreisen und drängen. Nein, nein, man soll nickst beiseit stehen und seine Armut mit dem Trost bemänteln, daß doch alles eitel ist. Ich Hab mich auch cingesponnen gehabt in meinem Nest und Hab nun das Gefühl, als hätte ich die Jahre geträumt und wäre erst eben aufgewacht. Und doch war ich nicht faul. Aber manchen Abend habe ich mich schlafen gelegt, nicht weil ich müde war, sondern müde nur des Werkeltages, und weil's nichts anderes gab. Und doch bin ich manchen Morgen aufgewacht mit dem Gefül»!: wozu nur aufstehen, heut ist ja wi< gestern, gestern wie heut. Ver- fluchte, öde, unfruchtbare Zeit! Und wenn ich gearbeitet habe, gelesen, gedacht, daß mir der Kopf rauchte, dann hat mich doch oft eine sinnlose Angst ergriffen, das bist ja gar nicht du, der das alles tut, nicht du, kaum ein Partikelchen von dir. Was du bist, liegt begraben! Aber nun bin ich wach geworden. Und nun sehe ich, die Welt ist voll Schönheit und Wunder, und das Leben ist ein herrliches Gut. Und leben will ich nun mit jeder Faser, jeder Fiber. Nie will ich verzagen, rein Weg soll mir versperrt sein, keine Möglichkeit unmöglich. Und wenn ich dran kaputt gehe, was schadet's? Dann Hab ich doch gd- nassen, dann Hab ich doch gekämpft. Nur heraus, heraus! Mit vollen Segeln heraus! Und tausendmal lieber draußen versinken als im Hafen verfaulen!" Schweigend gingen sie weiter den matt erhellten Weg. Und der kühle Nachtwind strich durch Bäume und Büschs und streute goldene Blätter zu ihren Füßen und kräuselte das schwarze Wasser, worin wie flüssiges Silber die Sterne blinkten. Das alles war so mild und lind. Und vor ihnen, hinter den gewaltigen Baumkronen, glühte blutrot der Himmel Vom Flammenmeer der großen Stadt. tFortsetzM'g folgt.) Romane uncl GefdricKten.� Eine Reihe ihrer in jüngster Zeit geschriebenen kurzen Geschichten hat Clara Viebig zu einem nntlcistarken Bande vereinigt, der den umfassenden Titel„Naturgewalten" führt. Es sind Eiselgeschichtcn, die uns auf das Stück Erde führen, das die Dichterin im Beginn ihrer literarischen Laufbahn bevorzugt hat, von den, sie ausgegangen ist und zu dem sie jetzt in zweien ihrer Schöpfungen zurück- gekehrt ist, in der Geschichte„Vom MMerhauneS" und in diesem Novellenbande. Die Sifel ist eine der drei Brauten, die die Liebig hat, und jedenfalls galt ihr einmal eine starke Liebe der Dichterin, und wenn man mal von ganzem Herzen geliebt hat, dann vergißt man das Geliebte auch nicht mehr. Da fließt klar und leiS die liebe Mosel I Wie ein blaues Band schlingt sie sich grünen Bergen um die Füße eilg, im schwärzlichen Schicfcrgestcin wachsen Reben, Stock bei Stock, dicht gesetzt, wie iin Plattland die Kartoffeln. Weiße Städtchen hüben und drüben, in denen der Frühling früher und goldener einzieht als anderswo t in denen großdoldiger lila Flieder in Bündeln über bunte Gnaden- bilder hängt und tiefbrauner Goldlack und rote Federnelkcn— alles Farbe, alles Dust. Und hinter den lachenden Rebenhügeln tauchen die runden Eifeltuppen auf, steil führen die Pfade hinan. Die Ebereschen, die den Chausseerand säumen, lassen weiße Mooszipfel im rauhen Regcnwind flattern, ernste Maare ruhen schweigend im vulkanischen Bett, endlose Wälder schlagen die dunklen Wogen um einsame Dörfer, verlorene Heiden träumen im blendenden Sonnen- glänz. Jungfräuliches Land noch, das im Dornröschenschlaf des er- lösenden Käufers harrt— weltenfern, weltenweit das rührige Leben. Nur Kirchenglocken dröhnen durch die Stille, und der herbe Eifcl» *) Clara Viebig : Raturgewalten. Egon Fleischet u. Co.. Berlin 1SV5.— Heinrich Mann : Professor Unrat. illbert Langen, München 1S0S.— Kurt Aram : Schloß Ewich. Egon Fleische! u. Co., Berlin 1905.— wind trägt diesen einzigen Klang hierhin und dorthin, überall hin. Die Glocke mit der mächtigsten Stimme hängt zu Trier ; da ruft sie vom Dom, eine beredte Zeugin der uralt eingeseffenen siegreichen Kirche. Und doch ist's nnr ein Katzensprung von da zur Porta nigra ; Christentum und Heidentum treteir sich in Trier fast auf die Füße. Die Viebig hat sich just den schönsten Winkel der ganzen schönen Rheinlande zum Gcborenwerden ausgesucht. In Trier unweit der „Poort", wie das Römertor im Vollsmunde heißt, stand ihre Wiege, sie schaukelte im Takte mit den froimnen Kirchenglocken, sie schlummerte süß bei ihrem Schalle, und doch war sie ein Ketzersind. Ihre Amme, die schwarze Anna, war eine echte Tochter der Eifel . Als sie in ihrer Mutter Wochenstube, hinauf in den ersten Stock, ge» führt wurde, ttauke sie sich dort nicht von der Tür fort; cS war nicht ländliche Schüchternheit, wie mau anzunehmen geneigt war. Die schwarze Anna hatte noch niemals ein HauS mit mehreren Etagen betreten; nun, da die Dielen unter ihren Nägelschuhen knarrt eu, fürchtete sie durchzubrechen und zitterte für ihr Leben, Auch von der Reinlichkeit hatte sie merkwürdige Begriffe; es dauerte eine ganze Weile, bis man es ihr abgewöhnte. auf einen Zipfel der Windel zu spucken und hiermit ihrem Pflegling das Gesichtchen zn waschen. Mit der treff- lichen Milch dieser schwarzen Anna hat sie schon die Liebe zu ihrer ersten Braut eingesogen. Man kann nicht leugnen, das Besie, was die Viebig geboten hat, wurzelt in der Eifel . Nicht als hätte sie nicht auch sonst Proben ihres starken Könnens abgelegt— im „Schlafenden Heer", im„Täglichen Brot"— aber die Geichichten und Romane, die in der Eifel spielen, muß man doch als das Größte ihrer Kunst bezeichnen: Wie derb, saftig und gesund ist doch das „Wciberdorf", über das sich später ein Zetermord io erhob, weil sich eine Gemeinde allzu gettcu abkonterfeit wähnte, und wie boden- ständig wirkt die nahe Maarfelden spielende Geschichte„vom Müller- Hannes". Die Leute dort oben in der Eifel sind keine komplizierten Na- turcn, einfach in ihren Neigungen und Leidenschaften, undifferenziert in Liebe und Haß. Beide äußert: sich elementar. Was man liebt, sucht man mit allen Mitteln sicki zu eigen zu utachen, was man haßt, auf jedem Wege aus der Welt zu schaffen. Eine Mittelstufe gibt es nicht. Wenn man in diesem Novellenbande der Viebig von einigen Sächelchen wie„die Liste",„der Fuhrmann" absiebt, die als nichts anderes wie ausgeführte Anekdote» gelten können, spielt die Liebe in ihren ver- schiedenen Spiegelungen die Hauptrolle in diesen Geschichten: die Mutterliebe; die Liebe zwischen Mann und Weib; die Liebe als brutale Sinnlichkeit, die. lange und gewaltsam zuntckgehalien, sich endlich schranken- und rücksichtslos Bahn bricht; die Geschwisterliebe. Dem Thema von der Gcschwisterliebe, der Liebe der älteren Schwester sdie ans alle Freuden und alles Glück verzichtet hat, weil sie noch sür einen Junge» oder ein Kind vielmehr hat sorgen müssen, das ihr die Eltern zur Hut und Pflege zurückgelassen haben) zu ihrem jungen Bruder, hat die Viebig die beste Geschichte dieses Bandes abgewoimen: hier sieht man was sie kann, wie sie aus kleinen Zügen ein dcittlichcS Bild malt, wie sie einen in den Seelen sich abspielenden Vorgang äußerlich dramatisch darzustellen loeitz, ein wie inniges Verhältnis sie zur Natur hat. Das nette Buch bietet nichts, was etwa das feststehende Dichterporträt der Viebig durch einen wesentlichen Zug ergänzt; das kann ja schließlich auch nicht gut anders sein. Wenn man über die Vierzig ist, hat man seinen Stil, seine Welt- und Mcnschenanschauung, wandelt man sich nicht mehr. Wir wissen, was die Viebig kann, und lernen ans dem letzten Buch mir wieder von neuem ihr Darstellungs- und Schildcrungsialent kennen. Was etwa hervorzuheben wäre, ist die Knappheit, die bei diesen kurzen Geschickten wohltätig wirkt— nicht immer, in der„Wacht am Rheni" z. B. und im„Täglichen Brot" hat sich die Viebig dieser Prägnanz beflissen. Mcnschengeschichten wie sie schreibt auch Heinrich Mann , der Bruder von Thomas, der einen der besten deutscken Romane des letzten Jahrzehnts„Buddenbrooks " geschaffen hat. Aber er schreibt sie ganz auders. Die Viebig hat gewiß ihren persönlichen Stil: kurze Sätze, lebhaft, nervös, in jedem Spanmmg, Heinrich Mann , möchte man sagen, schreibt noch Person- licher; er ist pointierter, ironisch, was die Viebig nie ist, bildreich und voller origineller Bilder, er zieht manchmal sogar sehr kühne Vergleiche. Er ist seiner Art zu sehen snach durchaus Realist, er steht selbst das kleinste Charateristikum und geniert sich nicht. Unappetitliches und selbst Widerliches zu berichten, kein fiir seine Helden noch so geringer Zug entgeht ihm. Und gerade dadurch wird bei ihn:, der im Grunde durch und durch Romantiker ist, dieser Professor Raat, den jeder Unrat nennt, ein Mensch. Dieser Unrat ist eigentlich eine Unwahr- scheinlichkeit, zum mindestens«ine Groteske ersten RangeZ— aber ein Zug am anderen kommt ein lebensvolles und lebenswahres Bild heraus: Da er Raat hieß, nannte ihn die ganze Schule Unrat. Nichts konnte einfacher und natürlicher sein. Der und jener Professor wechselten zuweilen ihr Pseudonym. Ein neuer Schub Schüler gelangte in die Klasse, legte mordgierig eine vom vorigen Jahrgang noch nicht genug gewürdigte Komik an dem Lehrer bloß und nannte sie schonungslos bei Namen. Unrat aber trug den seinigen seit vielen Generationen, der ganzen Stadt war er geläufig, seine Kollegen benutzten ihn außerhalb des Gymnasiums uitd auch drinnen, sobald er den Rücken drehte. Die Herren, die in ihrem Hause Schüler ver- pflegten und sie zur Arbeit anhielten, sprachen vor ihren Pensionären vom Professor Unrat. Der aufgeweckte Kopf, der den Ordinarius
Ausgabe
22 (16.5.1905) 94
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten