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Nun, was ist denn bei Nockels?" fragte die Mageren mit mert licher Ungeduld.

Schutzölle in Frankreich   begann, hatten gewisse Industrielle ein mehr] Frieda, bedenke den Schritt wohl. Nachher ist es nicht mehr zu oder minder lebhaftes Interesse an der Umgestaltung der Zolltarife. ändern." Na, sie hat sich nicht dran gekehrt, dachte gewiß. ich bes Da tönnte es wohl sein, daß fie einige Organe für das interessiert neide fie um ihr Glück, und ist mitten in das Unglüd reingesprungen. haben, was sie selbst interessierte. Unter den heutigen wirtschaft- Wirklich, wenn man das so sieht, ist man froh, daß man seine Töchter lichen Verhältnissen in der zibilisierten Welt ist es fast unmöglich, noch behütet und wohlbehalten zu Haus hat." daß in einem solchen Falle eine Zeitung denen, die zu ihr tommen, nicht sagen sollte: Ihr verdient Geld, wenn wir für Euch fämpfen gebt uns einen Teil davon"! So Herr Mille. Er hängt dann Die Fette schüttelte abweisend den Kopf: Darüber kaum man diefem offenen Eingeständnis der gesellschaftlichen Notwendigkeit nicht sprechen, meine Liebe. Das ist diskret. Es gibt gewisse Fälle, schamloser Korruption ein Feigenblatt vor, indem er meint, eine Re- wo Schiveigen geboten ist. Und hier find's noch Verwandte daktion dürfe natürlich nicht gegen ihre Ueberzeugung schreiben; wenigstens halbe Verwandte!" ein berühmter Zeitungschef habe einmal gesagt: Man darf sich immer nur für das bezahlen lassen, was man auch ohne Bezahlung geschrieben haben würde!" Warum aber darf man's nicht anders machen? Herr Mille weiß auch dafür einen durchschlagenden Grund anzuführen: Eine Zeitung, die diese Vorsicht nicht walten läßt, ruiniert sich totficher!"

Glauben Sie, meine Liebe, daß ich nicht schweigen tann?" fragte die Mageren im Flüsterton. Ich dachte, Sie kennen mich doch dafür. Mir fönnen Sie doch alles sagen, alles; ich bin stumm wie ein Fisch wie ein Grab."

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Die Fette sicht sie einen Augenblid prüfend und fragend an, dann entschließt sie sich. Was mußt ihr denn alle Wissenschaft, wein sie sich nicht mitteilen fann? Und sie muß ihr Herz doch auch mal ausschütten. Aber sie läßt sich noch eine Weile bitten, schüttelt aber

Ich glaube fast, wenn uns ein Eingeweihter aus der deutschen bürgerlichen Bresse einmal die Mache enthüllen wollte, so würde er amgefähr gerade so schreiben müssen, wie Herr Mille aus Paris  . immer schwächer den Kopf, bis sie endlich zustimmend nicht: Aber

Kleines feuilleton.

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em. Diskretion. Aus dem schiefergrauen Himmel kommen seit dem frühen Morgen, der unmerklich in den von Dunftschleiern faft berhüllten Tag übergeht, mit großer Gleichförmigkeit dünne Regen­striche, die allmählich durch Schirm und Hut bringen. Menschen jammeln fich an den Haltestellen der elektrischen Bahnen und warten geduldig, bis ihre Linie kommt. Meist ist sie natürlich überfüllt, so daß selbst der mitleidigste Schaffner feinen Bassagier mehr unter bringen fann. magerem Geficht und Mausaugen, hat bereits dreimal ihre" Bahn Eine in Schwarz gekleidete Dame, hager, mit an sich vorbeifahren sehen müssen, ehe es ihr gelingt, endlich von einem blonden pausbadigen Schaffner auf dem Hinterperron, wo sich bereits fieben Passagiere befinden, gezogen zu werden, was sie ihm mit einem Sechser vergütet: fie darf nach zwei Stationen sogar im Wagen Plaz nehmen, Lente steigen aus, und sie schießt auf einen Wink des Schaffners wie aus einer Kanone gejagt durch die beiden dichten Reihen auf ein bescheidenes Plätzchen zu. Kaum hat fie fich einigermaßen eingerichtet, das Kleid zurecht gezogen, einen webmuts vollem Blid auf ihre fotbedeckten Schuhe geworfen, den Hut in die gebührende Richtung gebracht, als sie durch eine jachte Berührung am Arm sofort wieder aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Sie schreckt auf, sogleich aber erscheint auf ihrem Geficht die lebhafteste Freude, und mit stürmischen Händedruck begrüßt sie die neben ihr fizende Dame, die körperlich den größten Gegensatz zu ihr bildet, denn sie ist so üppig in Gesicht, Armen und Brust, daß man sie un bedingt fett nennen muß. Selbst die Lider hängen schwer und did über den blaßblanen Augen, und unter den Augen haben sich kleine dicke Wülfte   gebildet, so daß die starke Dame nur wie durch einen Spalt noch sehen kann.

Nein, meine Liebe", beginnt die Hagere hochbeglückt, die Frende sprigt ihr förmlich aus den Augen, daß ich Sie treffen muß, ist ja reizend!" Und wieder schlingt sich ihre dürre Hand, unter deren welfer Haut man die blauen Adern deutlich fieht, um die feiste ihrer Bekannten. Ach Gott, wenn Sie wüßten, wie mich's ber­langt, Sie mal zu sehen! Wie oft habe ich nicht zu meinem Mann gefagt:" Ich muß nun aber unbedingt zu Frau Völker gehen. Ob die überhaupt noch lebt?" Und die Hagere versucht scherzhaft zu Tachen.

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auf Diskretion, meine Liebe, Tein Wort darf über Ihre Bunge tommen!" Und als die Magere das energisch versichert, beginnt fie endlich mit einer allgemeinen Betrachtung: Hochmut tommnt bor  den Fall. Da sieht man's wieder. In der ersten Zeit hat sie groß­jpurig getan. Nicht hinhören konnte man mehr. Na endlich- fam denn die nadie Wahrheit' raus. Sie hatte feinen andern und kam liezlich auch ein Staudal, wie's dieser Nodel treibt. Gott  , an mir. Die Tränen haben kein Ende genommen. Aber es ist den Männern ist ja überhaupt nicht viel. Man hat sein Kreuz mit ihnen. Das wissen Sie so gut wie ich. Aber alles hat doch seine Grenze! Bei Nockel nicht. Sie machte eine Pause, um ihrer Entrüstung Herr zu werden.

fie über einen Stamm geschoren". Ja, ja, die Männer," stimmte ihr die Hagere bei ,, alle find fort," nicht viel, ein paar Tausend Taler fie über einen Stamm geschoren". Etwas Geld hat die Frieda mit bekommen," fuhr die Fette und suchen fich' ne Einrichtung ans mun da gehen sie hin ständlich. Frieda war felig. Wie bei einer Fürstin wird's bei ihr das Modernste selbstver­aussehen, dachte sie. Wie's mit der Bezahlung wird, darum flimmert fie sich nicht. Na Nodel zahlt was an, fünfhundert Mark- das Anfang und Ende. Mehr hat der Händler nie zu ſehen gekriegt. hört sie später die hat er sich aber auch erst geborgt. Das war Dem ist nach drei Monaten, als er feinen Pfennig mehr bekam, die Geduld geriffen und er hat die Möbel wieder genommen. Da saß denn Frieda nun in den leeren Stuben. Sie tönnen sich die Blamage benken!"

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orte: Und die Mitgift?" Die Hagere ist einen Augenblid sprachlos, dann erst findet sie

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alles verspielt. Gerade

ne Hochzeitsreise machen müssen, durchaus und durchans. Nach Die Fette lächelt höhnisch. Futsch! Sie haben doch natürlich der Riviera, in Monaco   hat er gespielt soviel Geld hatten sie noch, daß fie nach Hause depeschieren konnten Reisegeld. Ja, der Nodel, das ist einer. Erst hieß es doch, er hat sechstausend Mark Gehalt. Keine Spur. Das heißt, eigentlich abzahlen, die dringendsten. Natürlich wird immer zugepumpt. Nun hat er so viel, aber dreihundert gehen jeden Monat weg- Schulden haben sie wieder eine Einrichtung. Nicht so fein wie die erste. Na, wer weiß, wie lange sie die behalten Frieda sitzt immer wie aufm Pulverfaß. Wenn's lingelt, fährt sie Ich sage Ihnen, meine Liebe, zusammen benkt, einer kommt mit' ner Rechnung und Geld ist nie da. Alles auf Pump, Eisen, Trinken, Kleiber, alles, alles. Dranienplatz 1" schreit der Schaffner und die Hagere schießt empor. Wie schrecklich, meine Liebe, wie schrecklich! Adieu, adieu, und bemerkt halblaut mit ihrer Baßstimme, die aus der tiefsten Geficht, das ihre Tochter Ottilie machen wird, wenn sie ihr von der Die Fette freut sich ebenfalls, wenn auch nicht so geräuschvoll, auf Wiedersehen!" Die Fette legt den Finger auf den Mund. Natürlich, natürlich," jagt die Hagere; sie denkt bloß an das Tiefe der Brust heraufzubringen scheint: Auch ich, meine Liebe, Frieda erzählt. Ich bin stumm wie ein Grab!" dachte oft daran aber nicht wahr, die Entfernungen in Berlin  ?- Das tann man selbst von seiner besten Freundin nicht verlangen. Sie am Görlitzer Bahnhof und ich in Tempelhof  ! Das ist zu viel. Und außerdem was alles dazwischen fommt 1" Die Fette fenfit so vernehmlich, daß die Augen der Hageren ganz irre vor Neugier werden. Was man alles erlebt es ist nicht alles Gold was glänzt 1" Durch diese philosophische Bemerkung ist die menschliche Anteilnahme der Hageren aufs höchste gereizt, und sie scheint im Be­griff vor lauter Erregung in die Höhe springen zu wollen.

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" Nicht möglich, meine Liebe", jagt fie, halb bewußtlos vor Neu­gier, nicht möglich!"

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ck. London   unter bem Mikroskop. London   unter dem Mifcoffop! Was soll das bedeuten?" so plaudert John P. Lord in einer englischen Zeitung. Diese größte Stadt der Welt ist nicht nur bevölkert mit Myriaden von Wesen, die wir sehen, die Straßen sind nicht allein erfüllt von zahllosen Tieren, Vögeln, Insekten, die wir bemerken, sondern dem bloßen Auge verborgen gibt es außerdemt noch eine Bevölkerung Londons  , die so zahllos, so unermeßlich ist. daß die Phantasie sie fich unmöglich vorstellen fann; ja noch mehr, die Kleidung eines Menschen fann den Aufenthaltsort einer Anzahl von lebenden Organismen bilden, die größer ist als die ganze ficht­bare Bevölkerung von zehn Weltstädten. Raßt uns einige von diejen winzigen Wundern unter das Mitroftop nehmen! Wir wandern auf unserer Suche nach diesen nicht jedem sichtbaren Wesen eine staubige Straße entlang, die nach der City führt. Es ist ein windiger Tag und die Staubwolfen wirbeln uns ins Gesicht. Wir greifen ein wenig von dieser Masse auf und legen es unter das Mikroskop. Da sehen wir dann sehr viele Teilchen verschiedensten Materials, Heine Holzfäferchen, Kohlenstäubchen, die der Dunst der Schornsteine her= geweht, und dann viele fleine Fleden, die selbst unter der mächtigen Wiffen Sie", begann die Fette, zufrieden mit dem Eindrud, den Linse noch fast unsichtbar find. Uns aber intereffieren diese Fledcherr ihre dunklen Andeutungen auf die Freundin gemacht hatten, es fann wir legen sie nach den Regeln der Kunst in eine Eubstanz, die für einem nicht gleichgültig sein, wenn man das sieht. Wenn Frieda das Wachstum von Mikroben günstig ist, und wenn wir nach ein paan auch nur eine entfernte Verwandte ist. Ich habe ihr immer gesagt: 1 Tagen nachschauen, was finden wir da? Diese Fleckchen sind une

Die Fette nicht, so daß ihr Doppellinn in vollster Plastik sichtbar wird: Doch, doch gerade will ich mal wieder umschauen, was es bei Nodels gibt. Sie tennen fie doch auch?" Ob die Magere fie tannte! Natürlich. Frieda Nockel geborene Weißmann war ja mit ihrer Tochter Ottilie zusammen eingefeguet worden und zur Tanzstunde gegangen, dann hatte sie diese glänzende Bartie gemacht und den Bankbuchhalter Nodel geheiratet, ehe die anderen alle überhaupt berlobt waren. Die Magere zitterte vor Spannung. Was gab es denn bei Nodels? Gutes sicher nicht, das fühlte fie.