In seiner finsteren Ecke wie ein zusammengekrummtes Ur- Waldtier hockend, knurrig, mürrisch, Unbehagen und dumpfes Grauen verbreitend. So. in dieser Umgebung stellte sich Grabaus jetzt Marie Luise vor. Und wenn er nun an sie dachte, ergriff ihn manch- mal ein plötzlicher Tumult, ein Gefühl rasender Angst, und in seinem Innern spielte sich folgender Vorgang ab. Er trat auf sie zu, ergriff ihre Hand und flehte sie an, zu fliehen. Sie mühte fort! Sie konnte hier ja nicht glücklich sein! Sie muhte ja zugrunde gehen! Schmerzliches Mitgefühl und gleichzeitig bebende Furcht vor diesen wild drängenden Stimmen seines Inneren mischte sich jetzt in seine Gedanken. Dazu wurde seine Sehnsucht, sie wiederzusehen, immer ungestümer. Mit Ungeduld zählte er die Tage. Und tausend Fragen über ihr Los richtete er in grüble- rischen Stunden an sie. Das war nicht mehr stumme Zwie­sprache mit dem lichten Schatten seiner Phantasie, sondern ein banges Fragen, auf das er mit qualvoller Ungewißheit Antwort von ihr erwartete. In dieser unruhevollen Stimmung erhielt er ein An- erbieten, über daS er zu anderen Zeiten vielleicht etwas gering- schätzig gelächelt hätte, das er jetzt aber ohne langes Besinnen annahm. Weimar   ist bekanntlich die Stadt der Mädchenpensionate. Es gibt deren über hundert dort. Mehrere Vorsteherinnen hatten sich nun zusammengetan und richteten an Grabaus das Ersuchen, seine Vorträge über die klassische Zeit der deutschen Literatur, die er während des Ferienkurses gehalten hatte, in Weimar   zu wiederholen. Das angebotene Honorar war freilich gering, und er hatte dcowegen einen kleinen Disput mit seiner Frau, die nieinte, er könnte durch Schreiben auf leichtere Art mehr Geld verdienen. Seinen eigentlichen Beiveggrund ahnte sie nicht, sondern glaubte, ihn lockte die Aussicht, vor einem Kreise so vieler niedlicher Mädchen zu spreche». Er ließ sie bei ihrer Ansicht und setzte seinen Willen durch. Was er heimlich gewünscht und doch kaum zu hoffen ge- wagt hatte, traf ein: Mari? Luise äußerte den Wunsch, diese Vorträge mit anzuhören. So fuhr er denn jeden Sonnabend nach Weimar   herüber, verbrachte den Abend nach dem Vortrag bei Platens und blieb, da der Major ihn niemals fortlassen wollte, oft genug die Nacht über. Ten Doktor Platen traf er bei diesen Gelegenheiten eigentlich nie, oder wenn schon, so war es, wie Tag und Nacht'ich treffen. Alle Unruhe, alle Angst, alle Vorsätze, diese ganze innere Wirrnis, die Grabaus befiel, wenn er allein war, verschwand in Marie Luijens Nähe. Ihre heitere und doch stille Art, die innere Klarheit, die von ihr ausstrahlte, besänftigte ihn und machte ihn zu einem glücklichen, wunschlosen Menschen. In dieser Zeit bekam Grabaus einen Brief des Gebeim- rats Wohlbold, der ihn aufforderte, zu einer Unterredung nach Berlin   zu kommen. Einige Tage vor seiner Abreise gingen er und Marie Luise vom Vortrag abends nach Hause. Den Tag über hatten Regen und Schnee friedlich mit- ciiiarder abgeivechselk, bis nun bei sinkender Nacht der Schnee den Sieg davontrug. Lustig kreiste der weiße Wirbeltanz um die Laternen, und mit heimlichem Vergnügen beobachtete Grab- aus, wie sich bald eine Flocke auf Marie Luisens blonde Locken, bald auf ihre Wimpern, einmal sogar auf ihre roten Lippen setzte, wo sie aber gleich zerschmolz. Dann aber fiel ihm auf, daß sie so schweigsam und wie in Gedanken dahinschritt, und als sie in der Nähe des Hauses waren, fragte er schließlich: Sic sind so schweigsam, gnädige Frau. Hat Sie irgend etwas verstimmt?" Fch mache mir Sorgen wegen meines Bruders." Warum?" Haben Sie ihn in der letzten Zeit öfter gesehen?" Vor ein paar Tagen noch." «Ist Ihnen da nichts aufgefallen?" Nein. Er war wohl etwas still" Er hat mir nämlich einen ganz merkwürdigen Brief ge- schrieben. Wenn Sie wollen, so gebe ich ihn Ihnen nachher." Was stand denn drinn?" fragte er besorgt. . was stand nicht alles drin!" sagte sie mit halbem Lächeln.Mehr als ein ruhiger Mensch mit einem Mal fassen kann. Aber das eine ist mir klar geworden. Er hat sich verliebt." Was?!" Ja verliebt in eine Schauspielerin." lFortsetzung folgt.) Ausstellung des deutfchen KtinftUrbundcs. I. Tie dekorativen Bilder. Als Charakteristikum der diesjährigen Ausstellung im neuen Gebäude der Sezesston fällt das Hinstreben zum Dekorativen auf. Nicht nur, daß die beiden einzigen Künstler, die einen Saal für sich haben, vom Bilde, das einen beliebigen Ausschnitt der Natur dar« stellt, weg zu großen farbigen Eindrücken streben, auch im einzelnen macht sich das Uebcrwiegen der großzügigen dekorativen Richtung bemerkbar. Es läßt sich kaum ein größerer Gegensatz denken als H o d l e r und K l i m t. Beide haben einen Saal für sich. Hodler   ist boden- ständiger, eigenwilliger, kräftiger. Man merkt das Vaterland, die Heimat, die Schweiz  . Aber auch bei Klimt   ist die Abhängigkeit von der Umgebung merklich zu verspüren. Auch er ist bodenständig. Freilich wurzelt er in der Großstadt. Und es ist bedauerlich, daß er nur die schwächliche, überbildete Seite der Kultur darstellt. Das Parfüm, das den Klimsichen Bildern entströmt man mutz mit Fug und Recht so reden, hat etwas Künstliches, Süßliches. Man denkt bei dieser Kunst an die weibischen Launen einer Mode- dame. Auch die kindische Prätenfion, das Zerfahrene und doch etwas vorstellen Wollende, diese ganze Halbheit des innerlich hohlen Charakters paßt dazu. Frankreichs   symbolistische Kunst, die Art des Belgiers Khnopfs erscheint hier in noch flauerer Manier. Was Klimt nicht abzusprechen ist, das ist ein spielend nervöses Farbengcsühl. Er müßte Stoffe erfinden, für das Kunstgewerbe tätig sein. Aber seine Gesichter sind trivial und ohne Leben. Der mosaikartige, farbig reiche Untergrund, der das Targestellte in eine ganz andere Sphäre rückt, enthält dekorative Werte. Er liebt die raffinierten Kontraste. Solch einen farbigen Hintergrund läßt er von einer zartgraucn Wand einsahen. Festeren Boden verraten seine Porträts. Auch da wird er ja leicht schcmatisch, und man denkt an die Künste eines Feuerwerkers, der mit brillanten Effekten ver­blüfft. Aber die Art, große Gegensätze zu sehen, etwa das Schwarz eines Pelzes und Hutes so dekorativ dominieren zu lassen oder ein weißes Kleid apart von grünem und grauem Hintergrund sich ab- beben zu lassen, zeigt ii> der leichten, geschmackvollen Handhabung Charakter. Ans diesem letztgenannten Bilde ist auch das Gesicht wesentlich frischer und natürlicher. Es ist gut, daß dieses Bild hier ist. Sonst würden viele Besucher denken: Dekorativer Stil ist nur verhüllte und frech betonte Unfähigkeit, dem Natürlichen zu folgen. Aus der Enge der Großstadt, in der die Kunst einer kleinen Anzahl mißleiteter, überbildeter und hohler Individuen dient, so daß man nur noch mit Mühe das Eigene daran erkennt, führt uns Hodler in die sreie Natur. Sein Hintergrund ist das weite Land, das Gebirge mit den lachenden Farben, wo alles deutlich greifbar vor einem steht und doch fern ist. Prachtvoll groß und in heller Klarheit stellen sich die Farben hin. Und die Form ist hart, charakteristisch, nicht verführerisch schmeichelnd. Wie klar und hell ist das Licht, das seinen dekorativen Gemälden entströmt. Sie schaffen Raum und erweitern den Eindruck für das Auge. Er wertet das Gesehene um, er gibt keine Modcllstudien. Die Stellung ist bei ihm nicht Pose, sondern Konzentration. Das Eigentümliche bei ihm ist: seine Geberdcn, Stellungen, Grup- pierungen wirken nicht gemacht, trotzdem sie äußerst hart die Grenze der Karikatur zu streifen scheinen. Das ist das Zeichen dafür, daß hier ein echtes Empfinden das Gestalten leitet. Mit starler und lühncr Naivität stellt er seine Jünglinge und Frauen, gibt diese Bilder:.Jüngling vom Weibe bewundert" oder einfach:Em- psindung". Sc genau er in seinen Gruppierungen ist manchmal spitzen sich die Räume wie von Kulissen begrenzt zu, und in der Mitte steht die Figur, oder die Menschen selbst stufen sich regel- mäßig entsprechend in Abständen ab, so ist er doch in anderen Dingen wieder frei, ja leicht. Dadurch kommt in die eigentümlich jugendliche Starrheit Leben, in die Begrenztheit Unendlichkeit. Den bildhaften Eindruck umreißt er deutlich und hart, dahinter aber setzt er lichte Blumen, regelmäßig und doch zwanglos, und der unendliche Raum der Natur dehnt sich endlos vor dem Blick. Es ist in dieser Hinsicht bezeichnend für Hodler  : er hat die strenge Komposition mit der Freiheit gepaart. Er gibt feste Vorstellungen und erschöpft sich doch nicht. Darum kann man seine Werke lange anschauen. Neben der steifen Geberde merkt man bei Hodler immer das gründliche Studium nach der Natur. Das sind Menschen, die er sah, Bauernburschen, Mädchen seines Landes, deren harte, eckige Linien, deren steifes Haar, deren sehnigen Körper er naiv übernahm. Seine dekorative Note ist so ursprünglich. Sie ähnelt in ihrer Aeußerung der Gothik, und dennoch empfindet man dies nicht als Archaismus, als Stilübernahmc, weil man fühlt, der 5tünstler empfand vor seiner Natur so, dachte nicht an vergangene Kunst- epochcn. Dahinter merkt man das sichere zeichnerische Können. Hodler  macht nicht die Unfähigkeit zum Ausgangspunkt. Er flunkert nicht. Darum traut man seinen Linien und Formen, die die härteste Wirklichkeit durchscheinen lassen, ohne diese zu kopieren. Nicht nur das zeichnerische Gerippe entnahm Hodler   dem Ge- präge seines Landes, auch die Farbcnwelt ist lokal begründet. Diese leuchtenden Blumen, dieser helle Fels, dieser blaue Himmel, diese Eiskuppcn, das alles ist unmittelbare Umgebung für ihn und grüßt ibn alle Tage.