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andere Menschen einzugehen. Wer mit ihm sprach, der fühlte fich nach kurzer Zeit immer ein wenig zufriedener und in seinem Selbstgefühl gestärkt. Als man aufstand, war Fran Konstanze von ihrem Nachbar entzückt, doch um so intensiver fühlte sie den Haß gegen Marie Luije.

Während die Herren in Grabaus Zimmer eine Zigarre rauchten, setzten die beiden Frauen sich in den Salon. Der Bube war von der neuen Tante so begeistert, daß er von ihrem Schoß gar nicht mehr herunter wollte.

,, Hast Du auch Kinder?" erkundigte er sich. ,, Nur einen großen Jungen. Aber der ist fort." ,, Er gefiel Dir wohl nicht?"

,, Doch. Aber er ist auf einer Schule. Mit vielen anderen großen Jungen zusammen."

So- 2 "

,, Hättest Du wohl Lust, mit mir zu kommen?" Ja" fagte er ganz zufrieden. mitkommt."

Wenn der Vater auch

,, Und die Mama doch auch! Ohne Deine Mama hieltest Du's doch nicht einen Tag aus, Du dummer Bubi," erwiderte Marie Luise lachend.

Frau Konstanze aber schien sich zu ärgern.

" Der Junge macht Ihr ganzes Kleid fraus, gnädige Frau," sagte sie. Geht Ihr jetzt mal zu Anna! Kinder gehören überhaupt nicht in den Salon. Ganz geschwind, Junge, sonst hole ich den Stock."

Nachdem sie die beiden hinausbefördert hatte, sagte Marie Luise:

Müssen Sie glücklich sein, Frau Doktor, mit zwei so reizenden Kindern." Gewiß," versette diese trocken. Ich finde, eine Ehe ohne Kinder hat überhaupt ihren Zweck verfehlt."

Ein leiser Schreck durchfuhr Marie Luise, nicht ihrer selbst wegen, sondern weil sie dachte, Frau Grabaus würde ihre Taktlosigkeit bemerken und sich dann schämen. Aber diese lehnte sich breit in ihren Stuhl zurück und sagte plöglich mit drohendem Geficht:

Ich würde mich zum Beispiel nie scheiden lassen, da fönnte passieren was will."

,, Um Himmels willen, das wäre ja auch schrecklich!" So, finden Sie, gnädige Frau? Dann stehen Sie wohl nicht auf dem modernen Standpunkt?"

"

Wieso?"

Na, heutzutage sind Ehescheidungen doch an der Tages ordnung. Aber ich bin für so was nicht zu haben. Da fönnte mein Mann machen was er will. Ich habe ihn ge­heiratet, und so lange ich lebe, gehört er mir. Das kann sich eine jede merken."

Einen kurzen Augenblick hatte Marie Luise das Gefühl, aufstehen und das Zimmer verlaffen zu müssen. Ohne daß ein Bug ihres Gefichts sich bewegte, blickte sie die Frau an, die langsam mehrmals nickte, als wenn sie ihre Worte noch be­fräftigen wollte. Dann sagte fie:

,, Das müßte doch ein trauriges Gefühl sein, wenn man feinen Mann nur durch Zwang an sich fettete." , das ist doch überall so." ,, Vielleicht nie begegnet." " Ach?

besser sein?"

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obwohl mir sind solche Ansichten noch

Sollte es in Offizierskreisen wirklich

Wollen wir das Thema nicht lieber fallen lassen?" er­widerte Marie Luise mit liebenswürdigem Lächeln. Ich habe noch nie daran gedacht, daß mein Mann je aufhören fönnte, mich zu lieben, oder daß ich je aufhörte, ihn zu lieben."

Wirklich?" murmelte Frau Konstanze, die nichts mehr zu sagen wußte.

Als dann bald darauf alle sich zum Kaffee versammelten, war Marie Luise gesprächig und heiter, wie wenn nichts ge­schehen wäre. Innerlich aber fror und bebte sie an allen Gliedern. Noch begriff fie nicht, welche Wirkung das, was geschehen war, auf sie ausüben würde. Sie fühlte sich nur beschmutzt, beleidigt und hatte den Wunsch, dies Haus jo schnell wie möglich zu verlassen.

Von den Männern ahnte niemand etwas von dem Vor­fall. Grabaus wunderte sich wohl, daß auf dem Gesicht Marie Luisens die Farben so schnell wechselten, da sie sich aber leb­haft an der allgemeinen Unterhaltung beteiligte, war er der Ueberzeugung, daß dieser Tag einen über alle Erwartung glatten und harmonischen Verlauf genommen hätte,

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Auf dem Weg zum Bahnhof hatte der Major seine Frau untergefaßt.

Gott sei Dank," flüsterte sie, während sie sich an ihn preßte, daß wir bald wieder zu Haus sind."

Wie fühlst Du Dich denn?" fragte er besorgt. " Nicht besonders. Ich habe ein bißchen Kopfschmerzen. Aber die werden schon vorübergehen. Und Du?"

,, Sehr gut. Sehr gut. Ich habe mich vortrefflich unter­halten. Weißt Du, unser Freund gefällt mir immer besser. Aber seine Frauna, sie mag wohl ihre verborgenen Vor züge haben."

Hinter den beiden gingen Grabaus und Wolf, während Doktor Platen und Frau Grabaus die legten waren. Doktor Platen hatte infolge des langen Stillsigens falte Füße und einen heißen Kopf bekommen, so daß er sich in der übelsten Laune befand. Den ganzen Tag über war er bei den Ge­sprächen der anderen schweigsam gewesen, jetzt aber stritt er sich im Geiste mit allen herum und teilte ingrimmige Antworten aus.

( Fortseßung folgt.)]

( Nachdrud verboten.)

Die Zwerg- Raffen.

Es sind jetzt rund fünfzig Jahre her, daß in der Feldhofner Grotte, einer kleinen zwischen Düsseldorf und Elberfeld gelegenen Höhle des Neandertals im diluvialen Lehm Reste eines menschlichen Skeletts gefunden wurden, die in der wissenschaftlichen Welt, ja weit darüber hinaus einen langdauernden Streit entfachten. Namentlich die Schädelstücke des" Neandertalers" wurden zu einem wahren Bantapfel der Parteien, und namentlich die Autorität Virchows war es, die die richtige Deutung des Fundes auf Jahrzehnte hinaus verhinderte. Der große Zweifler gab sein Verdikt dahin ab, daß man es in dem Neandertalmenschen lediglich mit einer viel­geprüften Persönlichkeit, einem gichtbrüchigen Greise zu tun habe, feinesfalls aber mit dem Vertreter einer wilden Urrasse. Er daß man in Belgien und später in Kroatien Schadel auffand, die mußte es erleben, daß sein Urteil als völlig irrig abgetan wurde, ganz die gleichen Eigentümlichkeiten zeigten wie der Neander taler. Diese Eigentümlichkeiten bestehen darin, daß das Schädel­dach viel weniger gewölbt ist, als bei dem Schädel der jetzt lebenden Menschen, daß die knöchernen Augenbrauenwülste mächtig hervor springen, und daß die darüberliegende Stirnpartie( Stirnglage") der Schädel einen wilden, ja geradezu tierischen Eindruck macht. Der das Geficht wie das Visier eines Nitterhelms überragt, sodaß also Straßburger Anatom Schwalbe, der 1900-1902 den Neandertal­schädel untersuchte und glänzend beschrieb, erwies, daß wir es in dem Neandertaler zweifellos mit einer älteren, rückständigen Aus­prägungsform des Menschen zu tun, daß der Neandertaler sich weit von allen heutigen Menschenrassen entfernt, die sich selbst in ihren ander unterscheiden, als die tieffistehende Rasse vom Neandertaler und daß extremsten Formen( Australneger- Europäer) viel weniger von ein­wir also nach dem Brauche der Wissenschaft diesen Neandertaler als eine besondere Art der Gattung betrachten müssen. Was Schwalbe für den Schädel nachwies, vermochte später der Heidelberger Anatom laatsch auch für die übrigen Skelettreste des Neandertalers nach­zuweisen: auch hier zahlreiche Eigenarten, die das Bild einer wilden Urrasse vervollständigen. Wir werden ihn", sagt klaatsch, als ein beurteilen haben, das, selbst ein Tier unter Tieren, sicherlich in seiner Zeit, seinen Kämpfen und Bedürfnissen angepaßtes Wesen zu vielen Fähigkeiten dem modernen Menschen überlegen war."

Es lag nun nahe, den nunmehr richtig gewürdigten Neandertal menschen in Beziehung zum Stammbaum des Menschen zu bringen, und Schwalbe schloß denn auch den Neandertaler eng an den auf Java 1891/94 von dem holländischen Militärarzt Dubois gefundenen ffen von Erinil" an, dem man in der ersten Entdecker­freude, wie sich der Leser erinnern wird, den Namen " Pithecanthropus erectus", das heißt der aufrechtgehende Affenmensch, gegeben hatte und den man damit als einen direkten Vorfahren des Menschen ansprach. In der Tat zeigt auch der Schädel des Affen von Trinil eine ansehnliche Uebereinstimmung mit dem des Neandertalers. Er ist gleichfalls auffallend lang, die lugenbrauenbögen springen start hervor, die Stirn ist zurückfliehend. dieser Affe aufrecht gehen konnte nach Menschenart, wenngleich Du Untersuchungen des Oberschenkelknochens haben ferner ergeben, daß bois neuerdings meint, der Affe dürfte doch wohl auch auf Bäumen gelebt haben. So war denn Schwalbe der Ansicht, der Pithec­anthropus Dubois' sei der direkte Vorfahr des Neandertalmenschen gewesen, der Neandertaler also das letzte Entwickelungsprodukt dieser Affenart. Aber die Unterschiede zwischen den heute lebenden Menschen. trächtliche, daß er sich nicht entschließen mochte, die heutigen Naffen rassen und der Neandertalrasse erschienen dem Forscher doch so be vom Neandertaler abzuleiten. Er sprach vielmehr die Anficht aus, die heutige Menschheit müsse von einem anderen, freilich noch nicht bekannten, tertiären Menschenaffen abstammen.