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Ja, mein Junge, das Rechte zu finden, ist manchmal jo chiver. Wir aber, meine ich, müßten alles tun, damit sie nicht noch mehr leidet. Denn wer weiß wie lange wir fie noch behalten.

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Hinter den Gebüschen kam langsam Doktor Platen heran, zögernd, indem er manchmal stehen blieb und umdrehen zu wollen schien, dann sich aber doch wieder einige Schritte näherte.

Sprecht Ihr von Deiner Frau?" fragte er. Meine Ansicht ist, daß sie möglichst bald fort muß. Nach Davos oder St. Morit."

Als der Major eine abwehrende Bewegung machte, fuhr er in stiller Wut fort:

Ich sage Dir, das ist das einzig richtige. Auf das Psychische ist gar nichts zu geben. Das ist eben der Unsinn, daß Du immer darauf Gewicht legst, was sie sagt."

Ohne seinem Bruder zu antworten, wandte der Major fich an Wolf:

Ich will mit ihr sprechen. Warte Du hier!" Dann ging er ins Haus. Doktor Platen aber stampfte zornig mit dem Fuß auf.

Schick fie nur weg, dann wird sie schon furiert!" Und während er sich forttrollte, murmelte er noch in ver­bissenem Grimm:

Ein Elend ist das mit diesen Weibern! Die sind ja alle total verrückt-"

Diesen Brief erhielt Grabaus am nächsten Abend. Nach einem furchtbaren Lage saß er an seinem Arbeitstisch vor Leeren Blättern. Draußen dämmerte es. Die feurigen Ströme der untergehenden Sonne erloschen, und Dunkelheit fagerte sich über das Zimmer. Aber während die Nacht schwärzer und tiefer wurde, bereitete sich in seiner Seele ein neuer Tag bor. Mochte der Sonnenstrahl, der das Bild Carlyles an der Wand hell hatte aufleuchten laffen, die Er­innerung an diesen Mann geweckt haben, der durch Finsterniffe und Trübsalsqualen. den Weg zu den Sternen gefunden hatte in feiner verzweiflungsvollen Seele war ein Licht entzündet, schwach schimmernd noch, und ahmungsvolles Regen frischer Kräfte war zu spüren.

Herz, nun mußt Du aber auch gesund werden." Und Marie Luise umfing die beiden mit einem grenzen fosen, glückseligen Blid.

Nun werd' ich gesund. Ich versprech' es Euch!" Etwas Neues, ein heiliger, reinerer Glanz lag von nun ab über dem Verkehr der beiden. Lange Stunden verbrachten sie in innigster Vertraulichkeit, ganz allein, von niemandem beobachtet. Aber als wenn unsichtbar ein dritter zugegen wäre, vermieden sie jede sinnliche Annäherung. Kaum daß fie sich die Hand gaben beim Kommen und Gehen. Und nicht bloß zwischen ihnen allein, auch zwischen Grabaus, dem Major und Wolf schien nun eine noch tiefere Innigkeit und Herz­lichkeit zu bestehen. ( Fortsetzung folgt.)

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( Nachdruck verboten.)

Hermann Lingg .

München , 18. Juni. Der Dichter Hermann Lingg ist an Herzlähmung heute gestorben.­

Es lag etwas Feierliches, Großes um feine Gestalt gebreitet. Diesem Eindrud fonnte sich niemand, der, wie der Verfasser dieses Auffages, des Glücks des persönlichen Umgangs mit Lingg teilhaftig ward, entziehen. Er gemahnte an einen Barden der germanischen Vorzeit. Das, was die Griechen Vates, d. i. Seher, Priester, Als Wolf dann nach einer Weile ins Haus gerufen Priesteramt faßte er den Beruf des Dichters auf. In feinen Auge Wie ein Dichter in einer Perfon nannten, war ihm eigen. wurde, fand er dort Schwester und Schwager still bei- lag wirklich jener schöne Wahnsinn", von welchem Shakespeare im bei- Priesteramt fammen. Von dem, was geschehen war, wurde nichts erwähnt." Sommernachtstraum " seinen unsterblichen Ausspruch getan. So hat Marie Luise erhob sich bald, um sich zu Bett zu legen. Als Franz Lenbach einst den Siebzigjährigen gemalt. Und wer ihn getaunt, dann auch Wolf Abschied nahm, sagte ihm der Major, er wolle wer ihm daheim, in der rüdwärts gelegenen Studier- und Arbeits­selbst an Grabaus schreiben, daß er willkommen sei. flaufe, oft stundenlang gegenüber gesessen hat, auf jenem Divan, dem wird jener Anblick undergeßlich bleiben und er muß dem Maler den prachtvolle Löwenfelle als Geschent indischer Verehrer bedeckten, befunden, wie meisterlich er des Dichters geistige Büge getroffen hat. So reich nun Linggs Schaffen, so einfach, scheinbar ohne die Katharsis äußerlicher Mühen und Kämpfe vollzog sich sein Dafein. Hermann Ludwig Otto Lingg war am 22. Januar 1820 zu Lindau im Bodensee als Sohn eines Rechtsanwalts und Notars Nachdem er das geboren. Gymnasium seiner Vaterstadt bezog er die Universität München , um abfolviert hatte, fich für ein Brotstudium, die Medizin, vorzubereiten. In biefe Beit fällt sowohl sein erstes dichterisches Schaffen, als auch feine erste Reise nach Italien und, über Berlin , eine Wanderung an den Rhein . Zurüdgefehrt, wurde Lingg Assistenzarzt an der neu errichteten Boliflinit in München und fam 1846 als Militärmuterarzt II. Klaffe zu der Kommandantschaft in Augsburg , dann nach Würz Da brachte das Mädchen den Brief, welchen sie still burg und Sigmaringen . 1849 beim Ausbruch des dänischen Feld­schweigend auf den Tisch legte. Weil ihm die Handschrift zuges hoffte er vergebens mitzugehen, mußte aber nach Passau . Hier fremd war, ließ er ihn liegen, um den so lang entwöhnten brach ein Nervenleiden aus, das sich während eines vierwöchigen Biwadierens bei Donauwörth bis zum Verfolgungswahnsinn steigerte Stimmen nachzulauschen. Erst als er dann die Lampe an- und Linggs Verbringung in die univeit Cannstatt gelegente Heil­steckte, öffnete er das Schreiben. Aber kaum hatte er es ge- anstalt Winnenthal, wo auch Lenau einige Beit verbracht hatte, not­Tefen, als er den Kopf auf den Schreibtisch warf und laut aufwendig machte. Glücklich genesen, tehrte der Dichter nach München schluchzte. zurück. Da feine Nerven aber den Lärm nicht vertrugen, so zog er Es war ein furzer, ungelenker Brief, geschrieben von ich auf ein Dorf bei Lindan zurück und nahm später, pensioniert, jemand, dessen Geist in allen anderen Verrichtungen gewandter feinen bleibenden Wohnsiz in München , wo er sich verheiratete und, war als in der, seinen Gedanken und Empfindungen Aus- ausgestattet mit einer ihm gewährten Beusion, im eigenen Heim druck zu verleihen. Aber in dieser feuschen Verschlossenheit an der Nymphenburgerstraße fortan seine dichterische Tätigkeit ent faltete. Tag ausgesprochen: die Größe der Liebe und Güte dieses Bislang war ihm das Glüd, für seine Schöpfungen einen Ver Mannes, der unverwundbare Glaube an seine Frau und das leger zu finden, versagt geblieben. Das sollte nun anders werden. Vertrauen in den, dem sich ihr Herz zugewandt hatte. Und Ein Freund, der Bibliothekar Fernbacher bei der Hof- und Staats während Grabaus der einst so wilden, begehrlichen Stimmen bibliother, fandte Linggs Gedichte mit einer Empfehlung an Geibel feiner Leidenschaft gedachte, fühlte er sich gedemütigt und auf und dieser fand ihn für dieselben in Cotta den Verleger. Das die Knie gezwungen vor diefent Manne, der seine Frau mehr Buch machte Aufsehen und Linggs Dichterlaufbahn war mun ent­liebte als sich selbst. schieden. Inzwischen hatte er aber auch an einem Wert fort­gearbeitet, das für ihn von grundlegender Bedeutung ward. Es Den Tag darauf schon fuhr er nach Weimar . Marie war die Völkerwanderung". Schon während seiner Münchener Luise lag auf ihrem Ruhebett, als er die Veranda betrat. Universitätsjahre hatte er den Plan hierzu gefaßt gehabt, und zwar Niemand war bei ihr. Sie streckte ihm ihre weiße, schmal follte die grandiose Dichtung in Ottave rime, für welche Strophen gewordene Hand hin, und wie sie die seine schwach umpreßte, form er durch Luiz de Camoens" Lufiaden" Anregung empfing, Nicht auf einmal war der Plan zu entrang fich ihr ein einziges Wort: Ach Du!" Wortlos geschrieben werden. faßen sie dann beisammen, wie geblendet einer vom anderen, dem Epos entstanden, sondern wie ein großer Stromlauf den ihm aus zufließenden Wassermengen, Bächen als wäre nach langer, banger Nacht plötzlich hellster Sonnen- Dutellen, aus dramatischen Anfäßen, Episoden und Szenen. schein über sie hereingebrochen und machte sie fast blind. Sie Allmählich gestaltete sich das Epos. Es gruppierten sich die Massen brauchten Beit, um zu sich zu kommen. Dann erst erkannten um den einheitlichen Gedanken. Eine andere Einheit als die des sie sich wirklich. Bergessen waren nun die eigenen Schmerzen, Gedankens fonnte nicht ohne Zwang stattfinden. Der einzige vom Leid des anderen fühlte sich jeder tief ergriffen.

Als nach einer Weile der Major eintrat, sprang Grabaus auf und wollte etwas sagen. Aber er vermochte fein Wort herauszubringen. Er spürte nur zitternd den Händedrud, mit Sem dieser ihn fest und unentreißbar ins Herz zu schließen schien. Als sie dann am Lager der Kranten faßen, sagte der Major mit feiner gütigen Stimme:

"

und

Theoderich stand als erster der Helden in der Mitte der Dichtung, doch nicht so überragend, um einziger Mittelpunkt des Ganzen Fu fein. Auch füllte ja seine Laufbahn nur einen furzen Zeitraum aus. Das Unbewußte, der in der Phantasie schlafend gelegene Untergrund, das dämmernde Werden, das alles lag als Erlebtes, als Vor­bereitung der Dichtung in Lingg. Den Schauplah, Stalien, fannte er ja aus eigener Anschauung und die mächtige Einwirkung des Geschauten mußte sich hier zu glanzvollen Schilderungen verdichten.