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frelen, fröhlichen Welt. Wie eine Sturmschwalbe wiegte es fich über den aufgewühlten Tiefen seiner Seele, mit zwitschern­dem Lachen, sehnsüchtig lockend. Als er nach Hause kam, war er der alten Kümmernisse ledig und wurde von neuen bedrängt.

Dem grauen Abend folgte eine stürmische Nacht und ein noch grauerer Morgen. Nach dem Tee, den man nachmittags auf Marie Luisens Zimmer genommen hatte, begaben der Major und Wolf sich wieder an ihre Arbeit. Sie waren dem schlechten Wetter noch nicht mal so gram, da sie dadurch Zeit fanden, ihre Schäße zu ordnen.

Den schwachen Duft von verbranntem Spiritus und Tee durchdrang das fräftigere Arom frischer Waldblätter, das einem großen Strauß dunkelblauer Enziane entströmte. Stumm saßen die beiden Zurückgebliebenen, als wenn einer bom anderen erwartete, daß er das traurige Schweigen unter­bräche. Mit flüchtigem und wie im Raub getanem Blid be­trachtete Grabaus von Zeit zu Zeit Marie Luise, deren schwer­mutsvolle Erscheinung ihm unsäglich schön, aber auch unnah­bar und beinah fremd vorkam. Die er sonst in fußfreiem Rock, auf den zurückgestrichenen Locken das forglose Jägerhütchen, oder in hellen, zum Sommerglanz gestimmten Toiletten zu hehen gewohnt war, trug heute ein dunkles Kleid, das, in welligen Stoffhügeln vom Boden emporsteigend, ihrer Gestalt

eine hoheitsvolle Schlankheit verlieh und ihre aus leichten

Grabaus legte das Buch aus der Hand und fah fie und fragend an.

Mir fällt so vieles ein von früher. Was für Wand­lungen ich durchgemacht habe. Wie ich glaubte, mich von ge­wissen Vorstellungen gar nicht trennen zu können, von denen ich mich doch schon getrennt hatte. Wie ich vor dem Neuen zurückschrak, während es mich doch längst ergriffen hatte. Es ist, als wenn man sich fürchtet, in einen Abgrund zu stürzen, aber während man sich noch fürchtet, liegt man bereits unten auf dem Grund. So war es mit meinen religiösen Zweifeln - mit dem ersten Buch von Ibsen, das ich las

mir

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und

Und? Erzähl doch! Es ist so gut, wenn Du sprichst." Sie schüttelte den Kopf, mit leisem, bersonnenen Lächeln. Was sind all die Wandlungen gegen die eine?! Wenn die einer prophezeit hätte

Welche Wandlung?"

Sie hörte ihn nicht. Verklungene Worte tönten in ihr, fie aufgerichtet dafaß in der grauen Dämmerung des Zimmers, bergangene Gefühle durchrannen sie bangschauernd, während mit weit offenen Augen, die den leichten Tränenschleier glän­zend durchstrahlten, umspielt von einem Lächeln voll Glück und Schmerz, in solcher Schönheit, daß er lange Zeit nicht wagte, fie anzureden, und es doch nicht lassen konnte, sich ihr au nahen. Was war die Wandlung?- Sag mir's!" Da streckte sie ihm gütig die Hand hin. ( Fortfehung folgt.)

Schatten hervortretenden Züge zarter und blaffer erscheinen ließ. Wenn ihre Augen ihn dann fragend trafen, wandte er fich ab und blickte auf die Landschaft draußen. Es regnete Stetig fort. In furzen Zwischenräumen stiebte ein feiner Schauer gegen die Scheiben, ohne daß er die Tropfen ge­wahrte. Aber die Nebelschleier sah er, die langfamer als Deutsche Landfchafter

Schnecken in seltsamen Gespinsten die schwarz starrenden Tannen umkrochen und den grauen Hauch, der über der Wiese braute wie frierender Atem zur Winterzeit.

Dann fuhr er sich über die Stirn, als wenn er einen Gedanken suchte, den er aussprechen könnte, aber unaussprech­lich war das Gefühl einer zehrenden Traurigkeit, das aus bangem Frösteln vor zukünftigen Dingen und heiß quellender Sehnsucht vereint war, das von draußen zu kommen schien und von dem Anblick der dunklen, schwermütig schönen Ge­stalt. Als dann endlich Marie Luise ein Wort fallen ließ, schraf er leise zusammen.

Woran ich denke? Man kann nicht immer für seine Gedanken, nur soll man sie dann nicht aussprechen," erwiderte er mit gepreßter und leicht vibrierender Stimme. Und Du?" " Ich bin verstimmt. Das Wetter macht mich traurig. Sag mir was Gutes, Heinrich, damit ich wieder Mut be­komme."

Er schritt auf dem schmalen Teppich. Her von ihrem Lehn­sessel bis zu seinem reichte, aut und ab und fagte dann, bei ihr stehen bleibend:

Man sollte es wie die Tiere draußen machen, die Eidechsen, die Käfer, die haben sich alle in ihre Felslöcher verkrochen und warten geduldig ab, bis der Regen aufhört." Meinst Du, die wären nicht traurig?"

Nicht so wie wir. Die denten nicht ar die Zukunft und Jeiden nicht unter Schmerzen, die erst noch kommen."

Woher weißt Du, daß ich an die Zukunft dachte?" " Ich dachte daran."

" Deine Zukunft ist doch nicht traurig."

Er antwortete nicht, ging wieder stumm auf und ab, blieb aber nach einer Weile stehen und betrachtete grübelnd ihr Haar, die schweren blonden Flechten und die lodere Wirrnis. Ihm war, als föge er einen ganz feinen, füßen Duft in fich ein. Schmerzvoll schloß er die Augen und trat dann, sich auf­raffend, an den Tisch, wo er ein Buch ergriff: den Tasso.

"

Man muß den Mühlsteinen Korn geben, sonst zermahlen sie sich selbst. Hast Du Lust?"

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Lies nur!"

Er begann, wo sie den Tag vorher geschlossen hatten, mit der Szene, in der Leonore Sanvitale die Prinzessin be­redet, den Dichter fortreisen zu lassen.

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Was für falsche Vorstellungen einem doch auf der Schule beigebracht werden!" sagte Marie Luise. Nach der Schilde­rung unserer Lehrerin war die Sanvitale eine edle, hochherzige Frau. Eine Ahnung ihres eigentlichen Wesens ist mir erst aufgegangen, als ich den Tasso zum erstenmal auf dem Theater fah. Aber da hatte ich mich so in die Vorstellung eingelebt, daß ich mich faum von ihr trennen konnte. Ach, aber was gibt man nicht alles auf!"

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des 19. Jahrhunderts.

( Ausstellung im Landesausstellungsgebäude.)

Die Entstehungsgeschichte dieser Ausstellung ist durchsichtig. Vor einiger Zeit hieß es, Tschudi und Meier- Graefe wollten in der Nationalgalerie eine Ausstellung von Arbeiten deutscher Landschafter arrangieren. Es wurde von einer Seite, die mit höfischen Tendenzen übereinstimmt, dagegen agitiert und zu verstehen gegeben, es würde diese Ausstellung auf eine Glorifizierung der Franzosen hinaus­laufen, deren Können der Direktor der Nationalgalerie zum Leid­wesen und zur Erbitterung der offiziellen Kreise zu schäzen von der im Vorwort selbst zugegeben wird, daß der Titel wagt. Flugs wurde num die jetzige Ausstellung inszeniert, zu prätentiös ist, daß nur turze Zeit zur Verfügung ftand.( Warum mußte sie denn gerade jetzt stattfinden?) Dem Publikum aber wird zugunsten gewisser reaktionärer Strömungen, als deren Hort die Große Berliner Ausstellung immer noch gelten möchte, weisgemacht, es sähe hier die Entwickelung in markanten Beispielen. hascherei wir gerade hinausgekommen sind, und es wird uns ein Dabei sind zum größten Teil Werke zu sehen, über deren Effekt­Kitsch aufgetischt, den man selbst in den Galerien, den letzten Zufluchtsstätten akademischen Strebens, nicht mehr sehen möchte. Jedenfalls ist das Tatsache, daß, selbst wenn man das geflissentliche Ignorieren der modernen Arbeiten auf diesem Gebiete als unter den bestehenden Verhältnissen nicht anders zu erwarten zugibt, die Ausstellung immerhin charakteristischer und wesentlicher hätte ausgestaltet werden tönnen. Was soll das Publikum von einem Böcklin denken, von dem es sobiel liest und reden hört, das nun hingeht und ein so wenig erfreuliches Werk sieht, das den Künstler eher fompromittiert, das aus einer früheren Periode stammt und in der Kompofition wie in der Farbengebung so offenbare Mängel aufweist? Gerade dieser Bödlin ist nicht nachahmenswert. Er pagt vielleicht eher zu dem ganzen Niveau seiner Umgebung. Aber das Bild ist so unerfreulich, daß man fich ehrlich davon abwendet und einigen anderen un bekannteren Künstlern sich zuwendet. offensichtlich auf einen ganz oberflächlichen Effeft hin, die Farben Die Komposition arbeitet find trüb und unbelebt, und die Flächen find leer geblieben. Etwas Schülerhaftes, Unreifes haftet dem Werk an. In der Schack­Galerie zu München hängt eine ganze Reihe der schönsten Landschaften dieses vielleicht hervorragendsten deutschen Landschafters, tompofition war. Aber hier ist nur dieses eine Werk zu sehen und der warm und intim im Detail und großzügig in der Gesamt­dies eine Wert ist unreife Schülerarbeit. Das Arrangement ist süßlich, nur die Bäume am Hang zeigen intimere Gestaltung. Das Wasser, in dessen lebendiger Beseelung Bödlin Meister ist, sieht geradezu kläglich aus. Dadurch wird das Publikum, das mum folde Sachen unter berühmten Namen ausgestellt sieht, nur falsch geleitet und denkt, diese Arbeit sei vortrefflich und nachahmenswert. Lehrbuch wirkt und mit fertigen, apodiltischen Behauptungen, die Dabei ist der Katalog so dozierend angelegt, daß er wie ein den uneingeweihten blenden sollen, nur so um fich wirft. So wird einfach in ganz naiver Weise in den einleitenden Worten festgestellt, daß die Ausstellung einen achtunggebietenden Eindruck hervorruft".