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Nun stieg mit blißendem Glanz die Sonne wieder über die feuchten Schroffen des Schlern, und von dem Nebel, der gestern alle Tiefen und Höhen beherrscht hatte, war nichts geblieben als dünne Rauchfäden, die um die Tannen und am zerklüfteten Gestein entlang flatterten, wo sie sich eilig zu verfriechen oder in nichts aufzulösen suchten. Grabaus aber konnte kaum begreifen, daß alles wieder da war, was doch gestern nicht dagewesen war: die rötlichen Backen und Zinnen und der tiefblaue Himmel darüber, die Felder von gelbem Korn, von hellrofigem Buchweizen, die sich wie ein Teppich vor dem Kirchturm von St. Valentin ausbreiteten. Alles lachte ihn wieder an, und der gestrige Tag schien spurlos ausgelöscht. Wirklich? War nichts geblieben? Auch das, was er gestern erlebt hatte, war auch das zerronnen?
Er schloß die Augen und durchlebte alles noch einmal: wie Marie Luise, von unerträglicher Seelennot überwältigt, ihm ihr Inneres verraten, wie er hineingeschaut hatte in ihr zuckendes, sich abringendes Herz, das seinen Blicken offen dalag und zu ihm sprach:„ Vernimm doch mein stummes Schreien, fühl doch das mit, wogegen mein Wille ankämpft, und was stärker ist als aller Wille, versteh doch, wie mein einziger Wunsch ist, daß du mich rettest, mich befreiest, mich nimmst, mich fortträgst, du, der Stärkere, mich, das schwache Weib, auch gegen meinen Willen, wie im Raub!"
Es hatte ihn gepackt die ganze Nacht, ihn daniedergeworfen und ihn erhoben wie eine Offenbarung, und wenn früher dunkles Begehren und hellere Einsicht wie Welle gegen Welle geprallt und aneinander zerborsten waren: so schlugen nun Leidenschaft und jedes gute Gefühl in einer einzigen Boge dahin und trugen ihn dem Ziele zu. Er hatte in den schlaflosen Stunden sich nicht bloß vorgenommen, mit dem Major zu reden, sondern in Wahrheit ihm schon alles gesagt, das zehrende, wühlende, aufreibende Leiden, an dem seine Frau zugrunde gehn würde, hatte gesprochen, nicht wie einer, der fich in frebelhaftem Verlangen bergißt, sondern wie ein Mann,
es Grabaus möglich gewesen wäre, mit ihr zu sprechen. Dann reichte sie ihm zum Abschied die Hand, wünschte gutes Wetter und fröhliche Bergfahrt. Aber als er nichts erwiderte, sondern fie und darauf den Major, der gerade seinem Schwager die Schnalle seines Rucksackes festmachen half, anstarrte und dabei ihre Hand umflammert hielt, als fönnte er sie nie wieder loslassen, da traf ihn ein gütiger Blick ihrer Augen, und nur ihm berständlich, wie heimlichen Trost, fügte sie ihren Worteir hinzu: ,, Wir fehn uns ja bald wieder, Heinrich."
Nun war er wohl schon eine Stunde im tiefen Wald und wußte nicht, wie er dorthin gelangt war, folgte den andern und wußte nicht warum? Es war spät am Nachmittag, als die kleine Karawane das Bereich der dunkeln Tannen verließ. Voran schritten die beiden Führer, ein wandelnder Felsbloc der eine, flein , unter dem schweren Rucsac gekrümmt, aber behend und munter, mit einem vergnügten, brandroten Gnomengesicht der andere. Beide schwatzten Ladinisch und rauchten infernalischen Tabak.
Auf steilen Grashalden ging es jetzt bergan. Einem meer gleichend, das in schäumender Empörung erstarrt ist, tauchten die wilden Geislerspißen auf. Dumpf und hell flangen die Glocken zerstreuter Rühe. Ein frischer Wind pfiff dahin, und im tiefen Tal nächtete es bereits.
Allgemach, während der Blick sich weitete und hinter den ragten, die, wie sie fanft verglühten, an grausiger Schroffheit eben noch höchsten Gipfeln vielhundert noch höhere emporverloren, sant die drückende Last von seiner Seele. Zwingender als aller Gram, aller Zweifel erwies sich die milde und großartige Kraft der Umwelt. Und als er dann wieder an Marie Luise dachte, wurde von neuem alles lebendig, was ihn in der vergangenen Nacht erhoben und darniedergeworfen ( Fortsetzung folgt.)
hatte.
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der von der Heiligkeit und dringlichen unaufhaltsamkeit seiner Gebeimrat Oxienftiernas Tagebuch
Pflicht überzeugt ist.
Nun waren an diesem lichtvollen Morgen ihm Zweifel gekommen, doch aller Zweifel letter Schluß war, daß er handeln müßte. Denn jekt ging es ja nicht um sein Glück, sondern um ihres: um ihr Glück, ihren Frieden, ihre Gesundheit, ihr Leben selbst.===
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Gestern las der Chef den ganzen Tag Bismarckiana. Schon im Bett begann er zu blättern. Beim Frisieren hatte er die Gedanken und Erinnerungen in der Hand. Schmeichler sagen dem Chef: Seine Erinnerungen find seine Gedanken. Aber das ist übertrieben. Er erinnert sich ja nicht, sondern er blättert, bis er irgend was Da war er denn aufs tiefste erschrocken und gänzlich rat- Brauchbares findet. Am Abend war er fertig, und er entwarf eine los, als er, später als sonst beim Frühstück erscheinend, die Note, jedes Wort mit Kürassier- Stiefel- Sporen flirrend. Borläufig andern in einer geradezu aufgeregten Verhandlung mit dem Diplomatie für fich. behielt er das stilistische Meisterwert einer fraftstrogenden treuherzig unbehülflichen Wirt, der stets erwiderte:„ Meine in der Bismard Bibliothek weiter. Er mußte etwas dunkel Am nächsten Morgen aber suchte er Frau wird's schon wissen," und mit zwei wetterfesten Kerlen in der Erinnerung haben, ohne die Stelle doch finden zu traf, die ihm sofort die eisenharten Fäuste entgegenstreckten, tönnen. Endlich aber errötete er strahlend. Das war's. Halblaut und von denen nach kurzer Musterung einer zu ihm sagte: rezitierte er die Schilderung der Szene, wie Bismarck sich bei den " Das ist' n guter! Um den is uns nicht bange". Und wie beiden Blutfressern Anno 70 erfundigte, ob die Armee friegsfertig er mit bersteinertem Gesicht dastand, lachten alle, der Major historischen Anekdoten- Pathos vorgetragenen Frage: Sind Sie bereit, sei. Alsdann erschreckte er Schlieffen und Einem mit der im weltaber rief: Loszuschlagen? Der Eindruck war überwältigend. Beiläufig hatte die Anfrage genehm sei. der Chef sich vorsichtshalber zuvor bei Hülsen- Häfeler erkundigt, ob gefagt Emfer Depesche über den Rhein . Alsdann ging die beinahe hätte ich Seine Erinnerungen find seine Gedanken und unser Unglüd.
,, Sie sind ja ganz konsterniert! Ja, ja,' s geht los." " Das hat er sich nicht träumen lassen!" jubelte Wolf. Aber wie sagt Wilhelm Busch :„ erstens es fommt anders, zweitens als man denkt."
Da schossen eisige Schauer Grabaus vom Rücken bis in die Zehenspitzen hinunter, und er dachte:„ Alles kommt, wie es fommen muß." Aber lange dauerte es, ehe er ganz begriff, was geschehen war, und worum es sich handelte. Die von Grabaus und Wolf längst geplante Hochtour: über den Schlern ins Tierfer Tal und von dort auf die Rosengartenspitze sollte nun ausgeführt werden. In Bozen aber wollten sich dann alle vier treffen. Dort hatten nämlich in einer benachbarten Sommerfrische Graf Borde mit seiner Familie Aufenthalt genommen und Platens um ein Rendezvous in Bozen gebeten. Was Wolf betraf, so war dieser vor Freude und Aufregung gänzlich außer sich. Dies hatte aber noch seinen besonderen Grund. Ihm war nämlich ein Briefchen zugegangen von einer gewissen Frau James Laaß, geborenen Maggie Thön, worin diese schrieb, daß sie mit ihrem Gatten im Karerjee- Hotel sei und bestimmt hoffe, er würde sie dort besuchen.
Marie Luise selbst, wohl blasser als an andern Tagen, aber auch sie scheinbar verändert wie Himmel und Erde von gestern auf heute, tat nicht weniger enthusiasmiert als die andern, sprach mit den Führern von Anfeilen, Kletterschuhen, Kaminen, Felsbändern und schien nichts als die Tour im Sinn zu haben.
Und der Morgen verging unter Vorbereitungen, ohne daß
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Schatzkammer ihrer Gewiffenlosigkeit in der Produktion von Literaten, die in dem Rufe des Geistreichtums stehen, weil die schwülstigem Unsinn unerschöpflich ist, versuchen jetzt die Eitelkeit des Chefs zu fizeln. Es ist erstaunlich, von welcher erhabenen Höhe eines überirdischen Gleichmuts diese Federärzte ganze Bölfer zur Sur ins Blutbad schicken. Uebermenschen auf anderer Kosten, die Millionen Leben auf dreißig Druckzeilen im Interesse der menschStil minder schön und ihren Geist tomödiantisch zu finden, so rufen lichen Entwicklung hinmorden. So fich aber einer erdreistet, ihren dieselben Herren, die eben noch die moralinfaure Sentimentalität Höhnten, alle guten Geister auf zum Schutze der bedrängten Ethik und Kultur.
Chefs zu kennen. Aber die Leute sind gerissen genug, um die Schwächen des plagiieren. Er sollte doch auch Taten, nicht nur Worte Und darum spotten sie über ihn, daß er sich doch nichts getraue; er zitiere Sprüche, aber wage nicht die Tat zu zitieren. Man will den Chef reizen; er möchte doch gar zu gern Ein Kellner, der immer tadellos die bestellten Speisen serviert und felbst einmal ein großer Vorgänger" heißen. Das bissige Wort: fürstliche Trinkgelder- erbt", hat man zur Anspornung geprägt.
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Grauen vor so viel menschlicher Knechtseligkeit einflößt. Gestern Die Presse macht ihre Hammännchen, daß es Bewunderung und noch arbeiteten sie mit Humanität, Weltfrieden; und einen französ fifchen Noman lieben sie doch im Grunde mehr als die ganze deutsche