Halter da und sah bor Verlegenheit bloß immer auf seine alten, übereinandergelegten, faltenreichen Hände... Kaum hatte der Chef geendigt, so begann der Prokuristim Namen der Kollegen", hüstelnd, räuspernd, steckenbleibend. Nur einige aus dem Herzen kommende Worte" wollte er sagen, aber sie nahmen kein Ende, weil er sie schlecht auswendig gelernt hatte. Dann sprach noch ein Praktikant, der sich einbildete, Talent fürs Theater zu haben, ein Gedichtim Namen der Jugend". Da hätte Kaden nun zwar lächeln dürfen, aber der Jüngling deklamierte so leidenschaftlich, daß er ihn nicht stören wollte. Dann kam die Geschenkbesichtigung. Zu jedem Päckchen mußte erAh! Das ist aber hübsch!" sagen, denn er wollte niemand kränken. Am Schluß kam das Händeschütteln. Jeder von den vierundneunzig Leuten mußte ihm noch etwas besonders Herzliches oder Lustiges sagen, und er konnte nicht abbrechen, denn am Schluß kamen die kleinen Schreiber, die Diener und die Hausknechte, und gerade mit denen war er während der vierzig Jahre immer auf bestem Fuß gestanden. Endlich, endlich konnte er das Fenster öffnen und frische Luft hereinlassen, nachdem dieGratulationshorde", wie er sagte, zu ihren Schreitbischen und sonstigen Arbeitsplätzen zurückgekehrt war. Nur der alte Kamerad, der Prokurist, war bei ihm zurückgeblieben. Mir brummt der Schädel ein wenig!" sagte Kaden erschöpft, ich vertrag' es nicht, daß vierundneunzig Leute fortwährend auf mich sehen!" Leopold! antwortete der Prokurist, da gibt eS nur ein Gegen­mittel. Wir kosten den Wein." Während der andere die erste Flasche entkorkte, wehrte sich der Buchhalter: Nein, ich kann nicht arbeiten, wenn ich vormittag einen Wein trinke." Es ist Klosterneuburger Stiftswein," erklärte der Prokurist. ohne sich stören zu lassen, und schenkte die Gläser voll.Schau, wie hell, goldhell!" Nein, wirklich, ich kann nicht mehr arbeiten.,." Aber Kaden, Freund, Jubilar, was fällt Dir ein. Du wirst doch heute nicht arbeiten... Prosit!" Sie tranken mit gutem Zug, der Prokurist schnalzte noch mit der Zunge, wog einen Proberest auf der Zunge, prüfend, ehe er mit Behagen sagte:Delikat!" Herr Kaden schnitt noch immer ein langweiliges Gesicht. Das verdroß den Prokuristen. Ich kann nichts dafür," sagte der Buchhalter mißmutig,aber ich habe Kopfschmerzen." O, da hilft nur eines. Noch ein Glaserl und sie sind weg." Der Prokurist schenkte die leeren Gläser schon wieder ein.Mir zulieb', Kaden! Sollst leben!" Sie tranken ein zweites Glas. Herr Kaden bekam rote Backen. Die Reden waren ja sehr schön." sagte der Buchhalter,aber es ist doch genant. Der Chef redet schön, das ist wahr." Großartiges Aromal" Der Prokurist sprach vom Wein. Und dann der im Namrn der Jugend! Wie er schrie! Aber er hat entschieden deklamatorisches Talent!" Der stammt noch aus den Fünfzigerjahren. 1856 er! Richtig!" Und Deine Rede war wirklich lieb! Also Profit, alter Freund!" Sie tranlcn. Jetzt bekam auch der Prokurist rote Backen. Ah, Du sprichst noch von den Reden!" antwortete der Prokurist gedehnt, den Weingeschmack am Gaumen nachgenicßend.Ja, meine Rede war mir schrecklich fad. WaS soll man denn sagen? Ange- nehm ist es ja doch nur, wenn mvn sc gemütlich beisammen fitzt." Willst Tu ein Stück Torte?" Der Buchhalter erinnerte sich jetzt gn seine Wirtspflichten, die er in seinem Bureau hatte. Ja, warum nicht?" Kaden ging zum Pulte, wo sonst das Kopierbuch lag, und beugte sich, mit dem Messer in der Hand, über die Torte. Ehe er noch an» schnitt, wich er wieder zurück.Na, lasten wir die Torte lieber! Ich würde die Aufschrift zerstören." Sie lachten und tranken. Ja, meine Rede!..."Bin ich froh, daß ich jetzt zehn Jahre Ruhe habe. So was ist schwer zu lernen... Der Chef ist das freilich gewöhnt. Wenn er mit seiner GroßartigkeitGuten Morgen, meine Herren!" sagt, ist das schon eine halbe Rede!" Der Buchhalter machte jetzt ein ziemlich fideles Gesicht. Kein Gedanke an die Arbeit mehr!Seine Reden sind aber auch nur Wastcr," sagte er lächelnd. Das Lächeln blieb auf dem geröteten Gesicht des alten Herrn. Nun?" fragte der Prokurist, der mehr zum Tiefsinn neigte. Ein kleines Gläschen noch!" bat der Buchhalter,und dann werde ich Dir etwas sagen, Du wirst spitzen!",., Der Prokurist schenkte ein, sie tranken. Das Gesicht des rotbackigen, weißhaarigen Buchhalters wurde noch lustiger. Weist Du, was ich mir gedacht habe, wie der Chef so fort- während von bewährter Treue und erprobter Redlichkeit und allen meinen Tugenden redete? Soll ich Dirs sagen?... Ganz entre nou». Ich möchte so gern einmal... etwas schnipsen." Der Prokurist starrte mit seinen immer tiefsinnigeren Blicken den Buchhalter an. Ja wirklich," flüsterte Kaden lachend,das wünsch' ich mir seit vierzig Jahren! Eine leichte, gelungene Dieberei erschrick nicht!... Dicberetzf... Ich kann's natürlich nicht, ich hätte zu viel Angst, ich bin zu offen und zu schwerfällig. Ich fürchte mich vor dem, loas die Leute sagen würden, und vor meinen Gewissensbissen t Aber das ist eigentlich mein geheimer Wunsch während der vierzig Jahre gewesen: Wenn ich nur die Courage zu einer kleinen Dieberei aufbrächte." Herr Kaden lachte froh, er freute sich, daß er jetzt wenigstens den Mul zu diesem Geständnis aufgebracht harte! Aber der Pro- kurist betrachtete ihn mit beklagenden Blicken. Erst die Auffvrde- rung, noch ein Gläschen zu sich zu nehmen, weckte ihn aus trüben Secleusorschungen. Du verstehst das nicht," schwatzte der rotbackige alte Herr, dessen Augen jetzt auch zu glänzen anfingen,und es wäre mir nicht eingefallen, wenn mich der Chef nicht darauf gebracht hätte. Meine Beliebtheit habe ich mir mit saurer Arbeit verdient I Wie viele Jahr« zahle ich für diese Torte?!..." schrie er jetzt, zornrot im Gesicht. Im nächsten Moment aber kam schon wieder ein kleines, besänftigendes Lächeln über sein Gesicht.So eine leichte, kleine Dieberei ist dcch was viel vornehmeres! Nicht? Man muß keine schwere Lastfuhr Arbeit jahrelang vor sich her treiben. Ein kleiner, leichter, eleganter Griff und..." Kaden!" rief der andere bestürzt und erhob sich,vergiß nicht. daß ich zwar Dein Freund, aber der Prokurist des Hauses bin!" Doch der Buchhalter, der ganz gemütlich gelaunt war, puffte den Prokuristen bloß gemütlich in die Seite:Bleib' doch sitzen... Wir plaudern ja nur so... Jetzt bin ich endlich ein bißchen in Festlaune, da wirst Du tragisch!" Ich will Deine Worte der gehobenen Jubiläumsstimmung zu< schreiben," sagte der Prokurist fast mit dem großartigen Tonfalle des Chefs. Nachdem er noch ein Gläschen getrunken hatte, versank er in wortlos tiefsinniges Schweigen.,, l�lew.es feuitteton. e. s. Ausstellung im Kunsigcwrrie-MuseilNl. Adolf Schrödter ist am 23. Juni ItzvS geboren, zu seiner Erinnerung veranstaltet daS Museum im Lichthof eine Ausstellung seiiicrsornamentalen und dekorativen Zeichnungen. Schrödter stamint aus Schwedt a. Oder. Sein Vater war Kupferstecher und betätigte sich in allerlei einfachen Arbeiten seines Faches, in der Herstellung von Etiketten u. dergl. Schrödter lernte in Berlin . Neben dem Handwerk machte er sich mit der Kunst bekannt. Er besuchte die Akademie, verkehrte mit Schadow und einer Reihe anderer Berliner Künstler von Ruf. Als Schadow nach Düsseldorf berufen wurde, folgte ihm Schrödter nach einigen Jahren. Er wandte sich dort zuerst mehr der Malerei zu und sein märkisches Temperament zeigte sich darin. daß er die riUjrsam-romantische Note der dortigen Geschichtsmaler ins Derb- Naturalistische parodierte, Wirtshausszenen vom Rhein keck hinstellte. Der Kupferstichkunst wandte er sich im Jahre 1838 wieder zu. Im Verein niit mehreren anderen Künstlern arbeitete er an denLiedern eines Malers" mit. Nach einem kurzen Aufenthalt in Frankfurt , Ivo er in der dort tagenden Nationalversammlung Stoff zu zeichnerischen Exkursen suchte, wurde er 1869 nach Karlsruhe an die dortige Hoch- schule berufen, wo er 137b starb. Um Schrödter» Bedeutung recht zu verstehen, muß man einige Zeit zurückgehen. Wer aber einen offenen Sinn für jede künstlerische Erscheinung, gleichviel welcher Richtung und Mode sie huldigen, be- halten hat, braucht das nicht. Denn die ausgestellten Zeichnungen haben trotz ihrer, oberflächer Betrachtung als altmodisch erscheinenden Fassung, soviel Leben und Natürlichkeit, offenbaren sofort den innigen Zusammenhang mit des Künstlers Charakter und Temperament, daß keine historische Erinnerung notwendig ist. Der Fülle des ornamental-dekorativen Reichtums, den Schrödter als Künstler von der Vergangenheit überkam, fügte er als selbständig ihm gehörenden Teil die Gründlichkeit der.Behandluug im Zeichnerischen und Farbigen, dabei eine graziöse Leichtigkeit in der Komposition und eine satirische geistreiche Auffassung, die immer lachend über den Dingen stand, bei. Er ist so romantisch und weich wie Schwindt; er träumt wie Ludwig Richter . Aber neben diesen süddeutschen Gaben steht seine norddeutsch-kritische Betrachtung, die ihn befähigt, den Stoff straff zu komponieren, die Fälle zu bändigen. Er verlor sich nicht, wie manche seiner Mitstrebenden, wie cS im Wesen der Romantik lag. in das Dickicht der eigenen, übertriebenen Empfindungen- Ein gesundes Gegengewicht in seiner Natur bewahrte ihn vor süßlicher Empfindelei, die uns oft die romantische Literatur und Kunst ungenießbar macht. Er mischt in die Zartheit und Sanftheit eine Menzelische Dosis, und diese Mischung, die in seinem Wesen be- gründet lag, kommt der Kunst zugute. Er übernimmt die geschlungen« Arabeske als Buchschmuck, die als Viereck ein Gedicht, einen prosaischen Text umrahmt. Eine Fülle von Pflanzenmotiven streut er aus. Gestalten wachsen schallhaft lachend aus den Gewinden hervor. Mit sichcrem, dekorativem Gefühl hütet er sich jedoch davor, ein Bild geben zu loollen. Er vertieft den Hintergrund nicht. Er gibt keine Perspektive. Seine Figuren behandelt er wie seine Blumen. AlleÄ erscheint nur wie eine luftige, graziöse Phantasie. Und in manchem erscheint er, was Fülle der Erfindung, Leichtigkeit der Behandlung anlangt, als Vorläufer von Menzels Buchschmuck. Der prickelnde, leichte Geist des Weines spricht auS seinen schön erfundenen Motiven. Manchmal deutet er selbst darauf hin, er ver- wendet Gruppen leicht schwankender Gestalten als Ornament und Ver- zierung. Der Düsseldorfer Aufenthalt prägte diese Neigung wohl irr