AnteHallungsblatt des vorwärts
Nr. 133.
Mittwoch, den 19. Juli.
1905
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Gobseck.
(Nachdruck verboten.)
Von HonorS Balzac. Deutsch von Alfred Brieger. Glauben Sie also noch immer, daß hinter dieser Weißen Maske, deren Unbeweglichkeit Sie so oft in Staunen versetzt hat, nichts von Genuß und Freude verborgen liegt?" Und dann sah er mir voll in die Augen und zeigte mir sein Gesicht, aus dem der Glanz blanken Geldes hervorzu- leuchten schien. Ich war wie betäubt, als ich in meine Wohnung zurück- kehrte. Dieser kleine, unscheinbare Greis war in meinen Augen zu etwas Großem geworden,— zu einem phantastischen Wesen, in dem die Macht des Goldes sich personifizierte. Das Leben und die Menschen erfüllten mich mit Schaudern. Ist denn das Geld Lösung und Endziel aller Dinge? Ich der- mochte erst sehr spät einzuschlafen. Ich glaubte Klumpen Goldes um mich her zu erblicken. Die schöne Gräfin be- schäftigte meine Gedanken. Ich muß zu meiner Schande ge- stehen— ihre Gestalt stellte das Bild des schlichten, keuschen Wesens, das zur Arbeit und Einsamkeit verdammt war, völlig in den Schatten. Am folgenden Morgen aber erschien mir im Nebel meines Halbschlummers Jennys liebliches Antlitz in seiner ganzen Schönheit. Ich dachte nur an sie." „Wollen Sie vielleicht ein Glas Zuckerwasser, lieber Der- ville?" unterbrach die Vikomtesse. „Sehr gern," entgegnete er. „In alledem, was Sie uns da erzählen, sehe ich nichts, was uns irgendwie berühren könnte," meinte die Gräfin Grandlieu, indem sie die Klingel in Bewegung setzte. „Abwarten, abwarten," rief Derville.„Ich werde Fräulein Camille, der ja fast die Augen zufallen, gleich wieder aufwecken, indem ich ihr erkläre, daß es eine Zeit gab, wo ihr Glück von Papa Gobseck abgehangen hat. Da der liebe Menschenfreund bereits im Alter von neunundachtzig Jahren verstorben ist, so wird Graf Restaud sehr bald in den Besitz eines sehr schönen Vermögens gelangen. Diese Tatsache be- darf allerdings noch einiger Erklärung. Was aber Jenny Malvaut anbetrifft— so kennen Sie sie ja. Sie ist meine Frau." „Der arme junge Nestaud," meinte die Vikomtesse,„er ist mit seiner gewohnten Freimütigkeit imstande, diese Tat- fache mindestens zwanzig Leuten mitzuteilen." „Ich würde es laut vor der ganzen Welt verkünden," entgegnete der Advokat. „Trinken Sie nur Ihr Zuckerwasser, mein lieber, guter Derville. Sie werden immer das bleiben, was Sie sind— der glücklichste und beste aller Menschen." .Mir waren doch zuletzt bei einer Gräfin in der Nue du Helder?" meinte der Onkel, indem er fein weißes Haupt, das sich vor Müdigkeit etwas gesenkt hatte, wieder erhob. „Was ist denn aus dieser geworden?" „Wenige Tage nach der Unterhaltung mit dem alten Holländer, die ich Ihnen soeben geschildert habe, reichte ich meine Dissertation ein," entgegnete Derville,„ich wurde Li- zentiat und dann Rechtsanwalt. Das Vertrauen, das mir der alte Geizhals einmal geschenkt hatte, nahm stetig zu. Er konsultierte mich umsonst in den spinösen Angelegenheiten, auf die er sich erst im Besitze sicherer Grundlagen einließ und deren Erfolg jedem Rechtsanwalt zum mindesten fraglich er- schienen wäre. Dieser Mann, auf den niemand irgend welchen Einfluß auszuüben imstande war, nahm meine Ratschläge mit einer Art blinden Vertrauens an. Allerdings muß ich hier bemerken, daß er dabei immer recht gut fuhr. Als ich dann schließlich zum ersten Konzipienten des Bureaus ernannt wurde, in dem ich seit drei Jahren arbeitete, verzog ich aus dem Hause in der Rue des Grals und ließ mich bei meinem Chef nieder, der mir Wohnung, freien Tisch und hundertfünfzig Franken monatlich gab. Das war ein schöner Tag. Als ich mich von dem Wucherer verabschiedete, zeigte er mir keinerlei Freundschaft noch Zuneigung und er forderte mich auch nicht auf, ihn zu besuchen. Nur ivarf er mir einen jener Blicke zu, die bei ihm gleichsam auf die Gabe des zweiten Gesichtes schließen ließen.
Nach ungefähr acht Tagen erhielt ich den Besuch meines früheren Zimmernachbarn: er brachte mir eine ziemlich der- wickelte Angelegenheit, eine Enteignung. Er setzte seine Gratiskonsultationen mit einer Ungezwungenheit fort, als ob er mich dafür bezahlte. Gegen Ende des zweiten Jahres zwischen 1818 und 1819 war mein Chef— ein Mann, der sehr dem Vergnügen lebte und viel Geld ausgab— plötzlich in eine sehr peinliche Geld- Verlegenheit geraten und er war gezwungen, seine Praxis zu verkaufen. Wenn auch damals ein solches Bureau nicht den übermäßigen Wert besaß, den sie heutzutage erlangt haben, so gab mein Brotherr doch das seinige nicht unter Hundertfünfzigtausend Franken weg. Ein tätiger, intelli- genter und erfahrener Mann konnte, sofern er allgemeines Vertrauen genoß, mit dieser Praxis gut und anständig leben, die Zinsen der Summe bezahlen und sich in zehn Jahren freimachen. Ich, das siebente Kind eines Kleinbürgers aus Noyon , ich besaß keinen roten Heller und kannte in der ganzen Welt keinen anderen Kapitalisten als Papa Gobseck. Ein ehrgeiziger Gedanke und ein unbestimmter Schimmer der Hoffnung gab mir den Mut ein, ihn aufzusuchen. Das Herz schlug mir zum Zerspringen, als ich an seine Tür pochte. Ich erinnerte mich an alles, was mir der alte Geizhals früher erzählt hatte, früher in einer Zeit, wo ich noch nichts von der beklemmenden Angst ahnte, die die Menschen auf der Schwelle seines Zimmers befiel. Und nun kam ich wie alle anderen — um ihn zu bitten. Nein, sagte ich mir, so geht es nicht. Ein ehrlicher Mensch muß überall seine Würde wahren. Eine Summe Geldes ist noch immer keine Feigheit wert.— Ich will also ebenso fach- lich und positiv auftreten, wie er es tut. Seitdem ich aus dem Hause ausgezogen war, hatte Papa Gobseck mein Zimmer gemietet, um keinen Nachbarn zu haben. Er hatte sogar in der Mitte seiner Tür ein kleines vergittertes Guckloch anbringen lassen; und so öffnete er mir auch erst, nachdem er mein Gesicht erkannte. „Ihr Chef verkauft also seine Praxis, nicht wahr,' wie ich höre?" empfing er mich mit seiner sanften Flötenstimme. „Woher wissen Sie denn das? Er hat doch bisher außer mir mit niemandem darüber gesprochen?" Die Lippen des alten Mannes verzogen sich gegen die Mundwinkel zu wie ein Vorhang, den man bei Seite schiebt. Sein wortloses Lächeln war von einem kühlen, sachlichen Blick begleitet. „Dies war also erst nötig, damit Sie mich einmal be- suchen kamen?" meinte er in trockenem Tone nach einer kurzen Pause, während der ich mich von meinem Staunen zu erholen versuchte. „Hören Sie mich bitte an, Herr Gobseck," begann ich mit soviel Ruhe, als ich schlechterdings diesem Greise gegen- über zur Schau tragen konnte, der seine Augen, deren heller Glanz mich verwirrte, auf mich richtete. Dann machte er eine Gebärde, mit der er mich zum Reden aufforderte. „Ich weiß, daß es sehr schwer ist, zu Ihrem Herzen zu sprechen. Ich werde daher auch nicht meine Beredsamkeit ver- schwenden, um Ihnen die Lage eines mittellosen Konzipienten darzustellen, der seine ganze Hoffnung auf Sie setzt und der auf der ganzen Welt keinen Menschen besitzt, bei dem er etwas Verständnis für seine Zukunft finden könnte. Lassen Sie also das Herz beiseite— Geschäfte sind eben Geschäfte und man löst sie nicht, wie die Romane, mit Gefühlsduselei. Die Tatsachen sind also folgende: Die Praxis meines Chefs trägt unter seiner Leitung jährlich einige zwanzigtausend Frank ein. Ich glaube aber, daß ich das Einkommen auf vierzigtausend er- höhen könnte. Er will alles für fünfzigtausmd Taler ver- kaufen. Ich habe die feste Ueberzeugung, daß ich im Laufe von zehn Jahren vollkommen frei dastehen würde, wenn Sie in der Lage wären, mir die zum Ankauf nötige Summe vor- zustrecken." „Das nenne ich wie ein Mann gesprochen," entgegnete Papa Gobseck, indem er mir seine Hand hinstreckte und die meine herzlich drückte.„Seitdem ich mit Geschäften zu tun habe, hat mir noch niemand die Gründe seines Besuches klarer darzulegen gewußt. Wie mit den Garantien!" fetzt«