Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 139.

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Gobleck.

Donnerstag, den 20. Juli.

( Nachdruck verboten.)

Von Honoré Balzac . Deutsch von Alfred Brieger. Als wir zusammen die Schwelle seines Zimmers erreicht hatten, wandte ich mich noch einmal zu ihm:

Würden Sie es für zudringlich halten," fragte ich, ,, wenn ich gern wissen möchte, inwiefern bei dieser ganzen Angelegenheit meinen Geburtspapieren irgendwelche Wichtig teit zukommt?"

Jean- Esther van Gobjeck zog die Schultern in die Höhe, lachte verschmitt und sagte:

Wie unklug doch die Jugend ist. Erfahren Sie also, Herr Advokat, Sie müssen wissen, daß vor dem Alter von dreißig Jahren die Ehrlichkeit und die Begabung eines Menschen eine Art von Hypothek darstellt. Ist er einmal über dieses Alter hinaus, so tann man mit Bestimmtheit auf niemanden mehr rechnen."

Mit diesen Worten schloß er seine Tür.

Drei Monate später war ich Advokat. Bald darauf hatte ich das Glück, Frau Bikomtesse, mich mit den Angelegenheiten zu beschäftigen, die die Zurückerstattung Ihres Vermögens zum Ziele hatten. Durch den vorteilhaften Ausgang dieses Prozesses wurde ich bekannt. Trotz der außergewöhnlich hohen Binien, die ich Gobseck zu zahlen hatte, sah ich mich noch vor Ablauf von fünf Jahren aller Verpflichtungen frei. Dann heiratete ich Jenny Malvaut, die ich aufrichtig liebte. Eine gewisse harmonische Gleichheit in unserem Schicksal, in unserer mühevollen und arbeitsreichen Jugend und dem schließlichen Erfolge, erhöhte die Kraft und Dauerhaftigkeit unserer beider seitigen Empfindungen. Einer ihrer Onkel, ein reich gewordener Pächter, hatte ihr bei seinem Tode siebzigtausend Frank hinterlassen, vermittelst deren ich meine Schulden noch eher begleichen konnte. Seit jenem Lage ist mein Leben nichts als Glück, Gedeihen und Erfolg gewesen.

1905

von Menschen, aus deren Mitte zuweilen ein Mirabeau, Pitt oder Richelieu hervorgeht, die aber noch öfter einen Grafen Horne, einen Fouquier- Tinville, einen Coignard hervor. bringt."

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Ganz recht, ganz recht," bestätigte Derville, nachdem Ich hatte auch damals schon viel von dieser Persönlichkeit er dem Bruder der Vikomtesse aufmerksam zugehört hatte. sprechen hören, und zwar von jenem alten Vater Goriot, einem meiner Klienten. Aber ich war bereits mehrfach der gefahr­bringenden Ehre seiner Bekanntschaft aus dem Wege gegangen, bis ich ihn schließlich in dieser Frühstücksgesellschaft antraf. Mein Kollege hatte mich so dringend gebeten, an der kleinen Festlichkeit teilzunehmen, daß ich mich nicht gut ausschließen fonnte, ohne den Anschein einer gezierten Zimperlichkeit zu erwecken.

gefellenfrühstück nicht so recht vorstellen. Das ist eine Pracht Ich glaube, Frau Gräfin , Sie können sich ein Jung­der ausgesuchtesten Seltenheiten, der Lurus des Geizhalses, der aus Eitelfeit für die Zeitdauer eines Tages zum Ver­schwender wird. Wenn man das Zimmer betritt, so ist man Tisches, auf dem das Silber, das Kriſtall und das weiße geradezu geblendet von der geschmackvollen Anordnung des Damastzeug erglänzt. Hier treibt das Leben absonderliche duftige Blüten. Die jungen Leute sind liebenswürdig und graziös; sie lächeln, sie sprechen leise und sie gleichen jenen Neuvermählten, um die herum alles jungfräulich und un­berührt ist. Zwei Stunden später macht Ihnen alles das den Eindruck eines Schlachtfeldes nach dem Kampf. Ueberall liegen zerbrochene Gläser umher, zusammengefnäulte, zer­knitterte Servietten, eine Anzahl beiseite gestellter Speisereſte und Schüsseln, die abstoßend anzusehen sind. Dann kommt Geschrei und Gerufe, daß einem der Kopf plazen möchte, luftige Toaste, ein Raketenfeuer von scherzhaften Epigrammen und schlechten Witzen, dunkelgerötete Gesichter, glühende, gläserne Augen, die nichts mehr zu sagen vermögen, und unbeabsichtigte Vertraulichkeiten, die alles verraten. In­die einen damit, Flaschen zu zertrümmern, die anderen stimmen mitten eines geradezu infernalischen Lärms beschäftigen sich einen Gesang an, man wirft sich Herausforderungen an den Kopf, man umarmt sich oder man prügelt sich. Ein dunst­artiger, ekelhafter Geruch, der sich aus hundert verschiedenen das sich aus hundert Stimmen zu vereinigen scheint. Niemand Gerüchen zusammensetzt, erfüllt das Zimmer, und ein Gejohle, weiß mehr, was er ißt, noch was er trinkt, noch was er spricht. einer plötzlich zum Monomanen und wiederholt unaufhörlich Die einen sind traurig, die anderen geschwäßig. Hier wird die dasselbe Wort wie eine Glocke, die man in Bewegung gesetzt hat. Dort versucht einer, dem Tumulte Einhalt zu tun und läßt seine Kommandostimme erschallen. Selbst der Ver­nünftigste schlägt irgend eine Art von Orgie vor. Würde in einem solchen Augenblick ein Mensch mit fühlen Sinnen den Raum betreten, er müßte sich in ein wüstes Bachanal versetzt glauben.

Sprechen wir aber nicht weiter von mir. Nichts ist un­erträglicher, als ein Mensch, der Glück hat. Kommen wir auf die anderen Gestalten unserer Ge­schichte zurück.

Ein Jahr nachdem ich meine Praris gekauft hatte, wurde ich eines Tages, eigentlich wider willen, zu einem Jung­gesellenfrühstück zugezogen. Dieses festliche Wahl gehörte zu dem Austrag einer Wette, die einer meiner Kollegen gegen einen jungen Mann verloren hatte, der damals in der eleganten Welt sehr en vogue war. Graf Trailles Blüte des Dandynismus jener Epoche erfreute sich eines geradezu ungeheuerlichen Rufes."

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Den hat er ja noch immer," meinte Graf de Born, indem er den Advokaten lächelnd unterbrach. Niemand versteht einen Anzug besser zu tragen niemand ein Tandem besser zu fahren als er. Marime hat ein angeborenes Talent, mit mehr Grazie als sonst wohl irgend jemand in der Welt zu spielen, zu essen und zu trinken. Er versteht sich auf Pferde, Inmitten eines solchen Höllenlärms war es, daß Graf Hüte und Bilder. Die Frauen sind rein toll nach ihm. Er Traille sich mir von der liebenswürdigsten Seite zu zeigen berausgabt jährlich ungefähr hunderttausend Frank, ohne daß versuchte. Es war mir gelungen, meine Sinne tunlichst bei­irgend jemand ihn im Besize irgend welcher Güter noch eines einander zu halten, und ich sah mich daher nach Möglichkeit einzigen Rentencoupons wüßte. Er ist das Prototyp des bor . Er ist das Prototyp des vor. Was ihn betraf, so war er, wenngleich er in an­fahrenden Rittertums unserer Salons, unserer Boudoirs, ständigen Grenzen berauscht zu sein vorgab, doch vollkommen unserer Boulevards. Eine Art Amphibium, das ebenso bei faltem Blute und dachte nur an seine Angelegenheiten. viel vom Mann wie von der Frau an sich hat. Graf Marime Wie es eigentlich fam, ich weiß es nicht gegen neun Uhr de Trailles ist ein seltsames Einzelwesen. Zu allem gut und abends aber, als wir die Salons Grignons verließen, hatte zu nichts zu brauchen, gefürchtet und gleichzeitig nicht für voll er mich vollständig in seinen Bann gezogen und behert, und erachtet. Ein Mann, der alles kennt und doch nichts weiß, ich versprach ihm, ihn am folgenden Vormittage bei Papa der ebenso fähig ist, eine edle Wohltat zu begehen, wie ein Gobject einzuführen. Worte wie: Ehre, Tugend, Gräfin, Verbrechen ins Werk zu setzen, zuweilen vornehm, zuweilen anständige Frau, angebetete Frau, Unglück, Verzweiflung gemein, eher mit Schmutz bedeckt, als mit Blut befleckt, mehr waren, wie durch eine seltsame Magie, dank der Geschicklichkeit mit Sorgen und Merger bedrückt als von Reue geplagt, mehr feiner zutunlichen Redeweise hier und da im Verlaufe des daran gewöhnt, die Dinge in annehmbarer Form zu einem Gesprächs aufgetaucht. Abschluß zu bringen, als eigentlich tiefer über sie nachzudenken; ein Mann, der Liebe und Leidenschaftlichkeit vorgibt und im Grunde genommen nichts empfindet. Marime des Trailles scheint fast wie ein absonderliches, schillerndes Bindeglied, das die hohe Gesellschaft mit dem Zuchthause vereinigen fönnte, und er gehört zu jener ganz außerordentlich begabten Sorte

Als ich am folgenden Morgen erwachte und mich dessen zu erinnern versuchte, was ich am Abend vorher angestellt hatte, fostete es mich viel Mühe, meine Gedanken in Zu­sammenhang zu bringen. Schließlich gelangte ich zu folgendem Schluß: Scheinbar war die Tochter eines meiner Klienten in Gefahr, ihren guten Ruf, die Wertschätzung und