MnlerhMimgsblatt des Dorwärts S!r. 140. Freitag, den 21. Juli. 1905 «i Gobleck. (Nachdruck verboten.) Von Honorö Balzac. Deutsch von Alfred Brieger. Vorwärts also, reichen Sie mir die Hand zur Ver- söhnung, Papa Gobseck, und seien Sie großmütig, stimmt nicht wahr richtig möglich." Sie kommen zu mir," entgegnete der Wucherer in kühlem Tone,weil Girard, Palma, Werbrust und Gigonnet mit Ihren Wechseln den Bauch schon bis oben voll haben und sie überall mit fünfzig Prozent Damno feilbieten. Da diese Leute übrigens nicht mehr als fünfzig Prozent Valuta aus- gezahlt haben, so sind sie ja auch unter Brüdern gar nicht mehr wert. Zum Teufel auch! Kann ich denn anständiger- weise einem Menschen, der dreißigtausend Franken schuldet und keinen Sou seiflt eigen nennt, noch einen Centime borgen?" rief Gobseck.Sie haben erst vorgestern auf dem Ball beim Baron Nucingen zehntausend Franken verloren!" Verehrter Herr Gobseck," entgegnete der Graf mit einer bewunderungswürdigen Unverschämtheit, indem er den Geld- Verleiher von Kopf bis zu den Füßen maß,meine Sachen gehen Sie gar nichts an. Wer Kredit hat, der schuldet nichts." Richtig." Meine Wechsel werden bezahlt werden." Möglich." In diesem Augenblick beschränkt sich die Frage zwischen uns darauf, ob meine Garantien Ihnen für die Summe, die ich borgen möchte, genügen." Richtig." Das Geräusch der Droschke, die vor der Tür anhielt, war oben im Zimmer hörbar. Ich werde etwas holen," sagte der junge Mann,womit Sie vielleicht zufrieden sein werden." Dann ging er eilig hinaus. Ach, mein Söhnchen l" rief Gobseck, indem er sich erhob und mir die Hände entgegenstreckte.Wenn er ein gutes Pfand hat Du rettest mir das Leben! Ich wäre darüber zugrunde gegangen. Werbrust und Gigonnet haben ge- glaubt, mir einen Possen zu spielen. Durch Deine Beihlllfe werde ich heute abend in der Lage sein, auf ihre Kosten zu lachen." Die Freude des alten Mannes hatte etwas geradezu Schaudererregendes an sich. Dies war das einzige Mal, daß er sich mir gegenüber zu einem Gefühlsausbruche hinreißen ließ. Und wie kurz das Aufflackern dieser Stimmung auch bei ihm gewesen sein mochte es blieb mir doch für alle Zeiten im Gedächtnisse hafte«. Erweisen Sie mir den Gefallen, hier zu bleiben," bat er jetzt.Ich bin zwar wohl vorbereitet und bewaffnet, ich bin meines Schusses sicher, wie es eben ein Mann ist, der früher Tiger gejagt und manches Stündchen auf dem Kauf- fahrer mitgemacht hat, wo essiegen oder sterben" hieß. Und doch mißtraue ich diesem vornehmen eleganten Hallunken." Er setzte sich wieder auf seinen Lehnsessel vor dem Schreib- tisch. Sein Gesicht war ruhig, aber leichenblaß. Ach Gott , ach Gott !" rief er plötzlich, indem er sich mir zuwandte.Jetzt werden Sie also das schöne Geschöpf zu sehen bekommen, von dem ich Ihnen einmal erzählt habe. Ich höre einen leichten, aristokratischen Schritt auf dem Gange." Und wirklich! Der junge Mann trat jetzt ein und führte eine Dame an der Hand, die ich als die Gräfin erkannte, die mir Gobseck im Zusammenhange mit jener morgendlichen Szene in ihrem Schlafzimmer seinerzeit geschildert hatte. Sie war eine von den Töchtern des biederen alten Goriot. Die Gräfin sah mich anfänglich nicht. Ich stand in der Fensternische mit dem Gesicht auf die Scheiben. Als sie das düstere, feuchte Zimmer des Wucherers betrat, warf sie Maxime einen Blick ängstlichen Mißtrauens zu. Sic war so schön, daß ich sie trotz aller ihrer Untaten be- dauern mußte. Eine furchtbare Angst wühlte offenbar in ihrem Innern: ihre edlen, stolzen Züge hatten etwas kon- vulsivisch Verzerrtes an sich, das zu verbergen ihr nicht ge- lang. Der junge Mann war zu ihrem bösen Genius geworden. Ich bewunderte Gobseck, der auf einen einzigen Wechsel hin das Schicksal dieser beiden Geschöpfe schon vor vier Jahren erkannt und vorausgesagt hatte. Vielleicht, daß dies Ungeheuer in der Gestalt eines Halb- gottes eine unheilvolle Macht über sie besitzt," dachte ich bei mir.Vielleicht, daß er sie mit allen Triebfedern menschlicher! Veranlagung willenlos leitet: durch Eitelkeit, Eifersucht, Genuß und alle berauschenden Verführungen der großen Welt?" Ich weiß es," unterbrach die Vicomtesse.Selbst aus! den Tugenden dieser Frau hat er sich Waffen gegen sie zu schmieden gewußt. Er hat sie Tränen verzweiflungsvoller Ergebenheit vergießen machen: er hat den unserem Geschlechte angeborenen Edelmut bis zum äußersten zu treiben und ihre Liebe zu mißbrauchen und betrügen gewußt, um ihr einen verbrecherischen Freudentaumel teuer genug zu verkaufen!'' Ich will es Ihnen gern zugeben," fuhr Derville fort, der die Zeichen und Geberden der Vicomtesse nicht verstand,ich betrauerte das Schicksal dieses unglücklichen Geschöpfes nicht, das so herrlich und glänzend vor den Augen der Welt einher- wandelte und das so furchtbar und abstoßend für die war, die in seinem Herzen zu lesen wußten. Nein ich schauderte nur, als ich den Mörder der bejammernswerten Frau be- trachtete, diesen jungen Menschen, dessen Stirn so rein und ehrlich schien, dessen Mund so frisch war, dessen Lächeln so be- strickend." In jenem Augenblicke aber standen die zwei vor ihrem Richter, der sie jetzt prüfte und betrachtete, wie wohl ein alter Dominikaner des sechzehnten Jahrhunderts den Folterqualen folgte, die zwei unglückliche Menschen in den Gewölben der Inquisition erdulden mußten. Ist es angängig, mein Herr," fragte sie mit zitternder Stimme, indem sie Gobseck ein Etui hinhielt,den Gegen- wert für diese Diamanten zu erhalten mit der Möglichkeit, sie später wieder zu erwerben?" Gewiß, Frau Gräfin, " entgegnete ich, indem ich mich einmischte und mich ihr voll zuwandte. Sie sah mich, sie er- kannte mich und erbebte. Dann warf sie mir einen Blick zu, der allerorten dasselbe bedeutet: Bewahren Sie Still- schweigen! Was Sie beabsichtigen," fuhr ich fort,stellt eine Rechtshandlung dar, die wir mit dem AusdruckeVerkauf mit Nückkaufsrecht" bezeichnen eine Vereinbarung, kraft deren ein Bcsitztitel auf ein bewegliches oder unbewegliches Gut für die Dauer einer bestimmten Zeit auf einen anderen über- tragen wird. Nach Ablauf dieses Termins kann man durch Erlegung einer festgesetzten Summe das Recht auf das strittige Objekt wieder antreten." Sie atniete erleichtert auf. Graf Maxime aber runzelte die Stirn: er fürchtete, der Wucherer würde im Falle eines solchen Abschlusses eine ver- hältnismäßig geringere Summe für die Diamanten hergeben, insofern sie einen mannigfachen Preisschwankungen aus- gesetzten Gegenstand darstellten. Gobseck bewahrte seine Ruhe: er hatte seine Lupe er- griffen und betrachtete schweigend den Inhalt des Etuis. Wenn ich hundert Jahre leben sollte ich werde den Ausdruck seines Gesichtes nie vergessen! Seine bleichen Wangen hatten sich gerötet: seine Augen, in denen die Steine sich spiegelten, schienen ihren Glanz zu verdoppeln und leuchteten in einem übernatürlichen Feuer. Er erhob sich, trat ans Fenster und hielt die Juwelen an seinen zahnlosen Mund, als ob er sie hätte verschlingen wollen. Er murmelte unzusammen- hängende Worte vor sich hin, nahm abwechselnd die Arm- bänder, die Ohrgehänge, die Colliers, die Diademe in die Hand und hielt sie gegen das Licht, um das Wasser, die Weiße und den Schliff der Steine zu prüfen: er holte sie ans dem Schmuckkästchen, tat sie zurück, suchte sie wieder hervor, ließ das Licht auf ihnen spielen und ihr Feuer erstrahlen. Er war mehr Kind als Greis: oder eigentlich gleichzeitig Kind und Greis. Schöne Diamanten! Vor der Revolution wäre das Zeug dreihundcrttausend Franken wert gewesen. Welch reines Wasser. Echte asiatische Diamanten von Golkonda oder Visayoor. Kennen Sie den Wert? Nein, nein Gobseck