Mcfe Weise in ihre Gewalt zu bekommen. Es mißlang ihr. Als ich mich von ihr verabschiedete, erhaschte ich in ihren Augen einen Ausdruck des Hasses und der Wut, vor dem ich mich fast hätte fürchten können. Wir trennten uns als un- erbittliche Feinde. Sie hätte mich in diesem Augenblick am liebsten vernichtet und ich empfand für sie eigentlich nur ein grobes Mitleid— ein Gefühl, das für manche Charakter- Veranlagung der grausamsten Beleidigung gleichkommt Meine Gedanken kamen in den letzten Erwägungen zum Vorschein, die ich ihr nahezulegen versuchte. Ich erweckte � wie ich glaube— bei ihr eine unbezähmbare Angst vor der Zukunft, indem ich ihr erklärte, daß sie, wie sie sich auch zu den Er- eignissen stellen wollte, unter allen Umständen dem Elend und Ruin entgegenginge. „Wenn ich den Herrn Grafen sprechen könnte, so wäre wenigstens das Schicksal Ihrer Kinder..." „Dann wäre ich Ihnen auf Gnade oder Ungnade über- lassen," unterbrach sie mich mit einer Geberde mißachtenden Ekels. Da die Frage nun einmal offenkundig zwischen uns beiden aufgeworfen war, so entschloß ich mich, die Familie vor dem Unheil, das ihrer wartete, zu bewahren. Ich war sogar bereit, juristische Ungesetzlichkeiten durck)gehen zu lassen, wenn solche sich zur Erreichung meines Zieles als notwendig erweisen sollten. Ich traf daher folgende Vorsichtsmaßregel: Ich ließ den Grafen Restaud für eine fingierte Schuld an Gobseck ge- richtlich verfolgen und erlangte ein Urteil. Die Gräfin vcr- suchte dies Vorgehen natürlicherweise geheim zu halten: ich aber hatte meinen Zweck erreicht, insofern ich in der Lage war, beim Tode des Grafen sofort die Siegel auflegen zu lassen. Ich bestach einen der Angestellten des Hauses und erhielt von ihm das Versprechen, daß er, sobald der Todeskanipf seines Herrn begönne, mich hiervon sofort benachrichtigen sollte— selbst mitten in der Nacht. Auf diese Weise konnte ich äugen- dlicklich einschreitenn, indem ich die Gräfin mit einer sofortigen Siegelauflegung einschüchterte und so den Gcgenrevers vor Vernichtung bewahrte. Später erfuhr ich, daß diese Frau, während sie im Neben- zimmer die Klageseufzer ihres sterbenden Gatten vernahm, eifrig den Inhalt des Gesetzbuches studierte. Welch schreckenerregendes Bild müßte sich uns eröffnen, wenn wir in den Seelen der Menschen zu lesen vermöchten, die ein Totenbett umstehen! Immer wieder ist Geld und Besitz die treibende Gewalt für alle geheimen Pläne, die ge- schmiedet werden, für die Jntriguen, die man mühevoll aus- denkt, für alle Ränke und Schliche, die die Habsucht spinnt. Lassen wir jetzt diese ihrer Natur nach recht häßlichen Einzelheiten beiseite. Immerhin sind Sie auf diese Weise in die Lage versetzt worden, die Schmerzen und Leiden dieser Frau und die ihres Gatten zu begreifen und zu ermessen und sie werden vielleicht auch dazu angetan sein, Ihnen die Ge- Heimnisse manchen Familienlebens zu entschleiern, das ihnen mehr oder minder gleicht. Seit zwei Monaten litt Graf Restaud, der sich mit seinem Schicksal abgefunden hatte, einsam auf seinem Schmerzens- lager. Eine todbringende Krankheit hatte seinen Körper und seinen Geist langsam und sicher untergraben und geschwächt. Nach und nach war er jenen Launen der Kranken verfallen, deren Absonderlichkeit oft unerklärlich erscheint: er widersetzte sich, wenn sein Zimmer geordnet und gereinigt werden sollte, er wies jede Art von Pflege zurück und gestattete nicht einmal. sein Bett zu berühren. Dieser höchste Grad seelischer Apathie hatte sich auch auf die Dinge um ihn her übertragen: die Möbel seines Zimmers verblieben in ihrer Unordnung: Staub und Spinnengewebe bedeckten die zierlichsten und wertvollsten Gegenstände. Er, der früher einen so feinen und auserlesenen Geschmack an den Tag gelegt hatte, fand jetzt Gefallen an dem traurigen Bilde der Verwüstung, das sein Zimmer ihm darbot. Der Kaminsims, der Schreibtisch, die Stühle— alles war mit den verschiedenartigen Gegenständen angefüllt, die durch eine Krankheit notwendig werden: leere und volle Phiol-m und Fläschchen, alle mit einer Schicht von Schmutz überzogen, umhcrgeworfenes Leinenzcug, zerbrochenes Geschirr, ein offener Bettwärmer vor dem Kamin, eine Badewanne, die noch mit Mineralwasser angefüllt war: das Zerstörungswerk kam in jeder Einzelheit dieses abstoßenden Chaos zutage. Der Tod streckte sein grinsendes Gesicht aus den Gegen- ständen hervor, ehe er sich des Menschen bemächtigte. Der Gras verabscheute das Tageslicht: die Vorhänge der Fenster wgrM zugezogen mi> bie Dunkelheit, die auf allem lastete. erhöhte noch das düstere Aussehelt dieser trübseligen Stätte menschlichen Unterganges. Er war furchtbar abgemagert, nur seine Augen, in die sich alles Leben geflüchtet zu haben schien, leuchteten in fieber- haftem Glänze. Die durchsichtige Blässe seines Gesichtes hatte etwas geradezu Entsetzenerregendes, das durch die ungewöhn- liche Länge seiner Haare noch erhöht wurde, die in langen flachen Strähnen über seine hohlen Backen herniederhingen. Er glich jenen Fanatikern, die in der Wüste ein einsames Dasein fristen. Der Gram hatte jegliches menschliche Empfin» dungsleben in ihm getötet, in ihm, der kaum fünfzig Jahre zählte und den ganz Paris als so glücklich und so lebensfroh gekannt hatte. Eines Morgens zu Anfang des Monats Dezember, im Jahre 1824, richtete er seine Augen mit einem besonderen Ausdruck auf seinen Sohn Ernest, der, am Fußende des Bettes sitzend, ihn kunimervoll betrachtete. „Leiden Sie sehr, mein Vater?" hatte der junge Vicomte gefragt. „Nein," entgegnete er mit einem schreckenerregenden. grinsenden Lachen.„Alles ist da, hier— in der Gegend des Herzens." Er hob den Kopf etwas in die Höhe und preßte seine fleischlosen Finger mit einer Leidenschaftlichkeit auf die hohle Brust, die dem jungen Ernest die Tränen in die Augen trieb. „Warun? kommt denn Herr Derville nicht zu mir?" fragte er seinen Kammerdiener, den er treu ergeben glaubte, der aber ganz unter dem Banne der Gräfin stand.„Wie kommt es, Maurice," rief plötzlich der Sterbende, der sich jetzt in seinem Bette aufrichtete und unvermittelt seine ganze Geistesgegen- wart wiedergefunden zu haben schien,„ich habe Dich doch schon sieben oder achtmal in den letzten vierzehn Tagon zu meinem Advokaten geschickt— und er kommt nicht. Glaubst Du, daß man nnch hintergeht? Gehe sofort zu ihm— rufe ihn augenblicklich oder bringe ihn selbst hierher. Wenn Du meinem Befehle nicht nachkommst, so werde ich aufstehen und selbst hingehen." Der Kammerdiener begab sich eilig zur Gräfin.� „Madame. Sie haben den Grafen gehört," sagte'er,„was habe ich jetzt zu tun?" „Sie werden vorgeben, beim Advokaten gewesen zu sein und Sic werden dem Herrn Grafen den Bescheid überbringen, daß Herr Derville wegen eines sehr wichtigen Prozesses hat verreisen müssen. Setzen Sie hinzu, daß er erst gegen Ende der Woche zurückerwartet wird." Die Kranken täuschen sich immer über ihr Schicksal und sie treiben damit Mißbrauch, dachte sich die Gräfin. Er wird sicherlich die Rückkehr seines Vertrauensmannes abwarten. Der Arzt hatte ihr am Vorabend eröffnet, daß der Graf schwerlich den Tag überleben würde. � � (Fortsetzung folgt.) (Nochdrnck verboten.) Merkwürdiges Geld. (Schluß.) So haben Nahrungs- und Genußmittel ihren Platz in der langen Reihe der Geldsorten. Man findet berichtet, daß früher in Paraguay der Paroguaytee das Geld ersetzte. Vor der Entdeckung Amerikas verwandten die Zentralamerikancr Kakaobohnen als Geld: in Ostindien komnien Betelnnsse, im Sudan Kolanüsse vor. auch der Reisbranntweiu soll früher in Japan als Geld gebraucht worden sein: an der Loangoküste in Afrika gilt Branntwein neben Baumwollstoffen als Zahlungsmittel. Der Tabak ist das beliebteste Kleingeld zahlreicher Volker, so der Stangentabak vielfach in der Südsee, Tabakbrote kursieren als Geld auf Rias. Tabakblätter im Hinterlande von Liberia . Tabakgeld kam auch in den Vereinigten Staaten von Ainerika vor. In Persien und im Somalilande traf man ferner Datteln als„Scheidemünze", in Tibet Wallnüsse. Maiskörner liefen in Mexiko als Geld um, das gleiche wird von Hirse und Sago festgestellt. In Island fand man Stockfische , in Lappland Käse und Hühnereier als Geldformen. An der afrikanischen Küste traf man auf ein Salzgeld, das selbst» verständlich als fester Wertmesser nicht betrachtet werden kann. Wenn die Salzgewinnung wenig Ertrag abwars, stieg sein Wert, ja er verdoppelte sich sogar. Dieses Salzgeld fand man sonst viel» fach in Aftika, so vor allem in wetzsteinförmigen Stücken ,n Abbessinien, ein umgelegter Baststreifcn vertritt gewissermaßen die Prägung. Je weiter man vom Produktionsorte kam, umso höheren Wert gewann das Salzgeld. Salzzicgel bilden auch im westlichen Sudan und in der Sahara ein beliebtes Geld; in Sambapikila konnte man für 30 Stück einen Sklaven kaufen. Der Reisende Marco Polo fand»m
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22 (26.7.1905) 143
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