arteUet schon an ihm und der letzte Schlucfauf sitzt ihm schonin der Kehle."Ms ich das Zimmer des Sterbenden betrat, kniete ervor dem Kamin, in dem zwar kein Feuer brannte, aber einungeheurer Haufen Asche lag. Gobseck hatte sich von seinemBette dorthin geschleppt. Jetzt aber fehlte ihm die Kraft seinLager wieder aufzusuchen« wie auch die Stimme zu einemHülferufe ihm versagte.Ich hob ihn auf und half ihm in sein Bett zurück.„Ihnen ist kalt, lieber, alter Freund," sagte ich,„warumlassen Sie hier kein Feuer anzünden?"„Mir ist nicht kalt," entgegnete er lebhaft„nur keinFeuer, nur kein Feuer. Ich gehe fort von hier, mein Junge,"setzte er hinzu, ind�n er mir einen Blick zuwarf,„ich gehefort— ich weiß nicht, wohin—, aber ich gehe. Ich habe michneuerdings mit Karpologie beschäftigt," meinte er mit einemFachausdruck, aus dem die volle Klarheit und Schärfe seinerVerstandcskräfte bis zum letzten Augenblick hervorging.„Ichglaubte, mein ganzes Zimmer stände voll von lebendem,blühendem Golde, und ich bin aufgestanden, um davon zupflücken. Wohin wird all mein Hab' und Gut gehen? DerNegierung will ich es nicht überlassen. Ich habe ein Testamentgemacht: Suche es mein Grotius. Tie schöne Holländerinhatte eine Tochter, die ich irgendwo einmal gesehen habe—eines Abends—, in der Rue Vivienne. Ich glaube, mannennt sie die Zitterroche. Sie ist schön wie die Liebe selbst;suche sie, mein Grotius. Du bist ohnedies mein Testaments-Vollstrecker, nimm Dir, was Du willst— iß so viel Du magst.Hier gibt es Gänseleberpasteten, Ballen mit Kaffee, Säcke vollZucker und goldene Löffel ohne Zahl. Das schöne Serviceschenke Deiner Frau. Wer aber soll die Diamanten be-kommen? Schnupfst Du Tabak, mein Junge? Ich habeTabak die Hülle und Fülle. Verkaufe ihn nach Hamburg.Du kannst viel daran verdienen. Mit einem Worte— ichhabe alles, was man sich denken kann— und ich muß es dochzurücklassen."Er setzte sich in seinem Bett auf. Sein Gesicht zeichnetesich deutlich auf dem Kopfkissen ab, als ob es aus hartem,schwerem Erz gewesen wäre. Er streckte seine mageren Armeund knochigen Hände auf der Bettdecke vor und ergriff sie,als ob er sich daran festhalten wollte. Er sah hinüber zu demKamin, der gerade so kalt war wie sein metallisches Auge,und er starb im Vollbesitze seiner Verstandeskräfte, /ndem eruns dreien— dem alten Invaliden, dessen Frau und mir—wie einer jener bedachtsamen, gemessenen Römer erschien, dieLcthiäre auf seinem Bilde„Der Tod der Kinder des Brutus"dargestellt hat.„Der hat, weiß Gott, eine Unverfrorenheit am Leibe,wie ein alter Infanterist, der alle Dienstkniffe kennt l" meinteder Invalide in seiner Soldatensprache.Mir aber klang noch immer die phantastische Aufzählungaller Reichtümer im Ohre, die der Sterbende mir kundgetanhatte. Meine Blicke, die den seinigen unwillkürlich gefolgtwaren, hafteten an dem Aschenstoß, dessen übermäßige Größemich neuerdings in Staunen versetzte. Ich nahm die Feuer-Zange und stieß hinein. Sie schlug auf einen Haufen Goldund Silber; offenbar die Summe seiner Eingänge, die ihmwährend der Krankheit zugeflossen waren und die er infolgeseines Schwächezustandes nicht hatte verbergen oder aus Miß-trauen nicht auf die Bank schicken können.„Laufen Sie zum Richter!" rief ich dem alten InvalidenZU,„Die Siegel müfsen hier eilig aufgelegt werden!"Plötzlich kamen mir Gobsecks letzte Worte wieder ins Ge-dächtnis; ich dachte auch an manches, was die Portierfrau mirin letzter Zeit gesagt hatte, und so nahm ich die Schlüssel zuden im ersten und zweiten Stock gelegenen Zimmern, um einenprüfenden Blick auf diese zu werfen. In dem ersten Räume,den ich öffnete, fand ich die Erklärung für die Redensartenmeines verstorbenen Freundes, die ich für völlig sinnlos ge-halten hatte. Hier sah ich die letzten Folgeerscheinungen elßerHabsucht, der schließlich nichts mehr geblieben war, als eineArt gänzlich unlogischen Instinktes, für dessen Existenz somancher Geizhals der Provinz ein beweisendes Beispiel ge-boten hat. Neben dem Zimmer, in dem Gobseck verschiedenwar, standen allerhand verfaulte Pasteten, eine MengeLebensmittel aller denkbaren Sorten, ja sogar Muscheln,Schaltiere und Fische mit langen Flossen und Kiemen, derenverschiedene Verwesungsgerüche mich fast zum Erstickenbrachten. Ueberall trieben Würmer und Insekten ihr Wesen.Zwischen diesen Geschenken, die erst kürzlich eingetroffen seintonntem lagen Schachteln aller Formen und Größen, Teekisten und Kaffeeballen. Aus dem Kaminsims m einersilbernen Suppenschüssel befanden sich Ladescheine und An-kunftsbescheinigungen von Waren, die unter seinem Namennach Havre konsigniert worden waren: Baumwollenballen,Zuckerfässer. Tönnchen mit Rum, Kaffee, Indigo, Tabak—ein ganzer Bazar kolonialer Erzeugnisse. Eine Unzahl vonMöbelstücken stand in diesem Raum aufgehäuft, dazu Silber-zeug, Lampen, Bilder, Vasen, Bücher, schöne, noch aufgerollteun neueingerahmte Stiche— ein vollständiges Raritäten-kabinett. Vielleicht auch, daß diese unermeßliche Menge vonWertgegenständen sich nicht nur aus Geschenken herleitete,sondern auch aus Pfändern bestand, die ihm mangels Zahlungverblieben waren. Ich sah wappengeschmückte oder mit Mono-gramms versehene Schmucketuis, schönes Tischzeug, kostbareWaffen, alles aber ohne Etiketten- oder Namensbezeichnungen.Als ich ein Buch öffnete, das hierher verlegt worden zu seinschien, fand ich mehrere Tausendfrankscheine. Ich nahm mirvor, jeden Gegenstand eingehend zu prüfen, den Fußboden, dieDecke, die Mauerecken genau zu untersuchen, um womöglichalls das Gold ausfindig zu machen, an dem der alte Holländer,der Rembrandts Pinsel würdig gewesen wäre, mit so leiden-schaftlicher Liebe hing. Ich habe niemals— so lange meingerichtlicher Beruf gedauert hat— in ähnlicher Form dieFolgen des Geizes und der Absonderlichkeit zu sehen be-kommen.Unter einem Briefbeschwerer lag eine vollständige Korre-spondenz zwischen Gobseck und jenen Händlern, denen er offen-bar seine Geschenke zu verkaufen pflegte. Sei es nun, daßdiese Leute Gobsecks Geschicklichkeit zum Opfer gefallen waren,sei es, daß er zu hohe Preise für die Lebensmittel oder Wert-gegenstände gefordert habe— jedes Geschäft war noch in derSchwebe. Seine Eßwaren konnte er nicht an Cheves los-schlagen, weil Cheves sie nur mit 30 Prozent Verlust nehmenwollte. Gobseck feilschte wegen einer Differenz von wenigenFranken, und während des Hin und Her gingen die Warenverloren. Für das Silberzeug weigerte er sich die Lieferungs-kosten zu übernehmen. Beim Kaffee wollte er für möglicheDefekte keine Garantie leisten. Kurz und gut— jeder Gegenstand gab Anlaß zu endlosen Auseinandersetzungen, aus denendie ersten Symptome seiner kindischen Greisenhaftigkeit undjenes unbegreiflichen Starrsinns hervortraten, zu der alle altenLeute, bei denen eine starke Leidenschaft die Verstandskräfteüberdauert, schließlich gelangen.Ich mußte mir dieselbe Frage vorlegen, die er sich selbstgestellt hatte:„Was sollte aus all diesen Reichtümern werden?"— iNach Maßgabe der seltsamen Anhaltspunkte, die er mirüber seine einzige Erbin hat zukommen lassen, bin ich jetztgezwungen, sämtliche fragwürdigen Häuser in ganz Paris zrxdurchsuchen, um schließlich einem minderwertigen weiblichenWesen ein unermeßliches Vermögen in den Schoß werfen zukönnen.Vor allem aber, Vicomtesse, sollen Sie erfahren, daß derjunge Graf Ernest de Restaud in Uebercinstimmung mit einergesetzlich unantastbaren Urkunde in wenigen Tagen in denBesitz eines Vermögens gelangen wird, das ihn in die Lageversetzt, Mademoiselle Camilla zu heiraten und gleichzeitigder Gräfin Restaud, seiner Mutter, seinem Bruder und seinerSchwester eine ausreichende Summe zu überlassen,„Mein lieber Derville," entgegnete die Dame des Hauses«„ich werde mir die Sache durch den Kopf gehen lassen. Derjunge Ernest muß schon gewaltig reich sein, um seine Mutterfür eine Familie wie die unsrige genießbar zu machen. Be-denken Sie, daß mein Sohn eines Tages Herzog von Grand-lieu sein und den Besitz der beiden Grandlieuschcn Linien insich vereinigen wird. Ich möchte ihm einen Schwager nachseinem Geschmacke wünschen."„Ich bitte sehr," mischte sich Graf du Borne ein,„Restaudhak doch ein rotes Feld mit silbernen Qucrstreifen und viergoldenen Schildern mit je einem Schwertknauf darüber-mdas ist ein sehr altes Wappen!"'„Das mag schon sein," gab die Gräfin zu,„Camillabraucht ja auch mit ihrer Schwiegermutter nicht zu verkehren."„Frau von Beauseant hat die Gräfin Restaud bei sßSempfangen," beschwichtigte der gute, alte Onkel,„O ja!" meinte die Vicomtesse,„Aber doch nur auf ihrenRoutsl"—.