Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 146.

1]

Sonntag, den 30. Juli.

( Nachdruck verboten.)

Die beilige Kummernus.

Novelle von Richard Huldschiner.

1.

Es ging schon gegen Abend, aber die Mädchen waren immer noch fleißig bei der Arbeit. Die Nähmaschine surrte. Langsam glitten die großen Stücke Enisternder Leinwand unter der flink auf- und abschnellenden Nadel hin, die ein Ge­räusch machte wie der Schnabel eines Spechtes, der in trockener Baumrinde nach Würmern sucht. War die Nadel dann am Ende des Saumes, dann krachte es letse, das Rad stand still, und der Hebel, der die Nadel gegen die Leinwand gedrückt hatte, hob sich mit einem feufzenden Laut. Und durch den fahlen Raum, dessen Wand mit Oclfarbe getincht war und außer einigen schlechten Heiligenbildern feinen anderen Schmuck aufwies als zwei fleckige Plakate einer Garnfabrik, ging es wie ein Aufatmen nach langem ängstlichem Drud. Die Mädchen hoben die Köpfe und schauten sich lächelnd Toni Mulser reckte sich und gähnte. Anna Duregger fragte sich mit einem Bleistift im Haar. Ida Langebner stand auf und ging zu ihrer Freundin Klara hinüber, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern; aber die lachte nur und machte ein un­gläubiges Gesicht.

an.

Pepi Haußmann aber ließ ihre Arbeit auf den Schoß finken und träumte. Ihre Augen, die schwarzen Augen mit dem lebhaften Blick, der oft flackern konnte wie ein lustiges Feuer im Märzenwind, wanderten zum Fenster und durch das Fenster auf die gegenüberliegenden Häuser hinüber, deren oberstes Stockwerk noch im Sonnenglanze lag. Die Bußen­scheiben der kleinen Dachluken schimmerten in bunten Farben, die das Alter hervorgebracht. Zwischen den dunkelbraunen Dachziegeln hatten sich grüne Gewächse, kleine Kakteen und Steinbrecharten, angesiedelt, die den hohen, steilen Firsten ein freundliches Ansehen gaben. Das große, gemalte Kreuz der offenen Lichthaube auf dem Bergeltschen Hause recte sich gerade empor. Tauben schossen vorüber. Am Himmel segelte eine weiße Wolfe mit goldenem Saum gegen den Turm der Pfarrkirche zu, der sich mit seinen zierlichen Zaden und Bogen scharf vom blauen Hintergrund abhob. Pepi Haußmann träumte. Allerlei Bilder zogen vor ihrem Geiste vorüber, fremde Schatten, die man nicht fassen und halten fann, ein wollüftiges Versinken in seltsamen und schönen Dingen. Und ihre Augen wanderten von den Dächern über die Fenster der alten Häuser langsam abwärts gegen die Straße, die fast verlassen war.

Der Schuster Fiorini stand vor seinem Lädchen und gähnte, zeigte alle seine weißen, gefunden Zähne. Eine Frau schob einen zweirädrigen Karren, der mit Gemüse beladen war, bei ihm vorbei.

Pepis Augen folgten ihr, die Straße entlang, am Brunnen vorüber, bis zur Ecke der Gasse, dort wo sie auf den Obstplatz ausmündet. Aber auf einmal wurden sie starr und groß, fehrten plößlich zurück in das nüchterne Zimmer mit den Heiligenbildern und den Plakaten der Garnfabrik, und Bepi fühlte, wie sie über und über errötete.

Im nächsten Augenblick hatte sie sich schon gefaßt und spähte ängstlich um sich, ob jemand etwas gesehen hätte. Sie begegnete das Augen, die ihr spöttisch zublinzelten. Und Klara sagte in die allgemeine Stille hinein:

Der Herr Pernwerth!... Natürlich. Jetzt schauten alle Mädchen auf, und die, die mehr im Hintergrund des Zimmers saßen, erhoben sich, um auch etwas von dem Manne zu sehen, der nun schon so manchen Abend drüben an der Ede erschienen war und sich dort rauchend und gelangweilt aufzuhalten pflegte, als ob er auf etwas wartete. Bepi allein wagte nicht aufzuschauen. Sie tat, als ob fie an dem Unterrock, an dem sie nähte, plößlich etwas ent­deckt hätte, was sie sehr intereffierte und was auf der Stelle in Ordnung gebracht werden mußte. Aber ihr Herz klopfte stürmisch, und eine Blutwelle nach der anderen schoß ihr über das tief gesenkte Haupt. Sie fühlte aller Blicke auf sich ge­richtet, und es war ihr, als ob sie verzweifeln müßte. Was

1905

wollte man nur von ihr? Ronnte sie etwas dafür, daß der Mensch dort an der Ecke stand? Und sie glaubte, ihn hassen zu müssen, ihn, einen ganz fremden Mann, mit dem sie seit ihrer Kinderzeit kein Wort mehr gesprochen hatte und vo dem sie nur wußte, daß er verheiratet war und eine hübsche Frau und zwei kleine Kinder hatte.

Der Luftikus!" sagte auf einmal Klara recht verächt­lich. Den ganzen geschlagenen Tag tut er nichts als faulenzen. Mich wundert oft, daß sein Geschäft noch geht. Und er fümmert sich nicht so viel drum."

,, Glück muß man halt haben," sagte Ida und lachte, daß es wie ein blödes Meckern flang.

Nun sagten auch die anderen alle etwas über ihn. Jede einzelne fühlte sich verpflichtet, ihm etwas am Zeug zu flicken. Der einen ging er zu wenig in die Kirche, der anderen ver­nachlässigte er seine Familie zu sehr und die dritte wußte sogar, daß er eine Geliebte hatte, droben in der Obergasse. Reine arbeitete mehr; jede suchte die andere in übler Nachrede zu überbieten, und Pepi beugte sich immer tiefer über ihre Arbeit.

Aber da gebot die Nähkathi Ruhe. Was das für eine Wirtschaft sei? Ob sie noch nicht fertig wären? Wenn das so weiter ginge, würde sie die Fenster fortan verhängen. Sie sollten lieber arbeiten. Die Aussteuer müßte bis zum Donnerstag fertig sein.

Uebrigens wolle sie gern wieder etwas vorlesen lassen, wenn die Mädchen versprächen, fleißig weiter zu nähen.

Klara machte ein enttäuschtes Gesicht. Puh, diese Heiligenlegenden! Die hatte sie satt! Aber man braucht ja schließlich nicht aufzupassen.

Nur Pepi hatte von alledem gar nichts gehört. Ihre Gedanken waren ganz wo anders. Aber sie schaute nicht auf. und erst, als Gretel Krämer schon eine ganze Weile mit ihrer eintönigen, blechernen Stimme gelesen hatte, merkte sie, daß alle ruhig geworden und fleißig bei ihrer Arbeit waren.

Gretel las die Geschichte von der heiligen Kummernus. und es geschah in diesem Jahre, daß Kummer­nus bei einem Bauern in Dienst getreten war, der einen großen Hof und Vieh und viele Knechte hatte. Und es war große leppigkeit in diesem Hause, und die Pfannen kamen nicht vom Herde. Gebetet wurde hingegen nicht. Statt dessen hallten die Stuben von wüsten Flüchen wieder, und wer am schlimmsten fluchen konnte und Gott und seine Heiligen am ärgsten lästern, der war obenauf und durfte sich beim Bauern alles herausnehmen. Denn diejen freute das wüste Treiben, und mit Gelächter, Holla und Hussa, mit Kartenspielen, Trinken und unkeuschen Worten gedachte er sein unchristliches Leben bis zu einem sanften Tode fortzusetzen.

Nur Kummernus allein brachte es nicht über das Herz, zu tun wie jene. Fleißig ging sie ihrer Arbeit nach. Schon wenn der Morgen dämmerte, erhob sie sich von ihrem harten Lager, ging zur Meffe in die kleine Dorfkirche und kehrte dann ins Haus zurück, um zu sein eine fleißige Magd, die da auf­geht in der Liebe zu Gott und zur Arbeit, die er eingesetzt als einen Hort der Starken und einen Trost der Schwachen. ,, Und Gott   segnete sichtbarlich ihrer Hände Werk.

,, Er ließ aber auch sie selber erblühen wie eine holde Blume im Tau des frischen Morgens. Ihr Antlitz strahlte rein und hell, und immer ähnlicher wurden seine Züge dem Madonnenbild, das ein alter, frommer Maler vor langen Jahren für die Kirche des kleinen Dorfes in gottgefälliger Einfallt gemalt und errichtet hatte..

Und Pepi träumte. Sie versuchte sich ein Bild zu machen von einer kleinen, dämmrigen Kirche, durch deren bunte Glas­fenster ein schräger Sonnenstrahl auf den goldenen Altar und das Antlig der Mutter Gottes fällt. Und vor dem Altar, auf der untersten Stufe kniet eine reine Magd, die die Züge der Jungfrau Maria trägt. Der Sonnenstrahl aber wandert und wandert, verläßt den Altar, steigt gleichsam die Stufen hinab und verklärt nun mit seinem Lichte das Antlitz des knieenden Mädchens, bleibt in ihren blonden Locken haften, spielt mit den krausen Härchen ihres Nackens und verlöscht wie mit einem Schlage. Und nun wird es dunkel. Seltsame Ge­stalten wirbeln durcheinander, Teufelsfraßen tauchen auf und berschwinden wieder, von irgendwoher ertönt ein Schrei, der ängstlich verklingt, der Sturmwind braust... und ein tiefer