Anlerhaltungsvlatt des Horwärts Nr. 158. Mittwoch, den 16. August. 1905 (Nachdruck verboten.) 0] Daniel Junt. Roman von Hermann Stegemantt. Lieget still, Madame Luise," flüsterte das Nettele in das undeutliche Gestammel. Und es brach ab, um nach einer Weile wieder zu be- ginnen. Nanette, ich Hab keine Fuß mehr," klagte sie einmal. Das Nettele rückte ihr die Krüge. Gleich kommt er heim mit der Mutter Loriot." Wenn er nicht ankehrt bei der Lalie imNebstock" zu La Motte," antwortete die Kindbetterin, und als hätte ihr der eifersüchtige Gedanke neue Kraft gegeben, preßte sie die Hände der Nähterin und warf sich wild in den letzten Wehen  . Aber, Ihr macht Euch ja tot! Laßt sie doch, die Eulalie Hirth, das ist eine, von der der Daniel nichts nimmt, als was ein Mannsbild zum Bettgehen braucht." Grimmig stieß das Nettele die böse Rede hervor und sein dürftiges Gesicht überlief heiße Röte. Und ich! Was nimmt er von mir?" Sie bäumte sich, aber schon fiel sie wieder in sich zu� sammen. Da schluchzte das Nettele: Das 5lind, Madame Luise, das nimmt er, das ist sein und Euer." Ein Kind von mir nach dem, wo die wilden Vögel ge- bracht haben, es ist wie ein Mirakel, Nettele," flüsterte sie und lächelte noch einmal. Aber das Lächeln gefror auf dem wächsernen Gesicht. Mitten in der Nacht, sie war schon so schwach, daß sie die Hand nicht mehr heben konnte, und sie rieben ihr die Herz- grübe mit heißen Tüchern, flüsterte sie noch einmal: Ein eigenes Kind, und sie wird's schon auch lieb haben. Arme Kleine, jetzt ist sie nimmer allein." Der Sepple war schon zweimal mit der Laterne bis ans letzte Wegkreuz im Tannenwalde gewesen, aber Daniel Junt kam immer noch nicht. Als er um ein Uhr zum drittenmal ins Freie trat, hauchte ihn ein warmer Atem an; der Mond war zwischen schwarze Wolkenbänke getreten, die in Scharen über die Bergkämme herüberkamen, und in den Talschluchten kochte und brodelte der Nebel und stieß ganze Fetzen von sich. Der Wind war umgesprungen, es taute. Da tat der Sepple einen Fluch und schaute bekümmert zu den Fenstern im oberen Stock empor, und als sich ein Flügel öffnete und die Katherine herausblickte, rief er mit gedämpfter Stimme: Das Wetter hat sich gekehrt, jetzt stellt's den Schlitten zehnmal für eins im nassen Schnee." Dann stampfte er wieder das Sträßlein hinab und juchzte mit seiner rostigen Stimme, so laut er konnte. Aber kein Peitschenknall gab ihm Antwort. Die Katherine hatte das Kind in Schlaf gebracht und fuhr leise heulend durch das Haus auf den wollenen Schuhen. Im Flur traf sie den Alten. Nimm dem Herrn seine Flinte, Sepple, und brenn sie los, daß er sich beeilt." Er hat's Pulver verwahrt, und der pressiert auch ohne einen Schuß. Wenn's einer schafft bei dem Wetter, so ist's der Junt," erwiderte der Knecht, und sie hockten selbander auf der Schwelle in der hellen Nacht und lauerten und lauschten. Das Nettele war allein geblieben mit der Meisterin. Floflo schlief in Nanetteles Bett. Die Wildgänse, die in Geschwadern nach Norden ruderten, schrien im Morgen- grauen noch einmal über dem Dach, aber es hörte sie nicht. Auch die Frau in Nöten hörte die hellen Stimmen nicht mehr. Um sechs Uhr schlich der Schlitten aus dem Tannwald. Der Tauwind warf ihm warmen Sprühregen entgegen, und das Wasser quoll aus den Gleisen. Ter-Daniel führte den Joli und dampfte von Schweiß. Der Gaul stolperte keuchend die Halde hinan. Als die Hebamme ins Haus trat, fand sie die Magd weinend auf der obersten Treppenstufe hocken. Der Bergwirt schleuderte die nasse Kappe weg und fragte mit heiserer, erschöpfter Stimme: Katherine, was ist?" Da öfftrete Nanette die Tür, und im trüben Licht des Flurlämpchens erblickten sie ihr spitzes Gesicht mit den ge» röteten Augen. Für eins kommt Ihr zu spät," sprach sie leise. Und ehe sie noch ausgesprochen hatte, erhob sich in der Stube ein krähendes, unartikuliertes'Geschrei. Die Hebamme trat rasch hinein. Daniel aber stand einen Augenblick reglos und hielt mit den Fäusten das eichene Treppengeländer um- klammert. Und schon erschien die Mutter Loriot wieder auf der Schwelle und winkte ihm. Kommt, Herr Daniel. Küßt Euren Sohn." Da griff er so fest in das Geländer, daß die Stäbe knackten, dann tat er die Holzschuhe von den Füßen und trat in die Stube, wo sein Weib still, mit einem unendlich müden Zug in dem kleingewordenen wächsernen Gesicht in den Kissen lag. Mit gefalteten Händen, tot. Lange stand er am Fußende des Bettes und sah in das stille Gesicht, die breiten Schultern wie unter einer Last ge- bogen, dann richtete er sich auf und suchte das Kind mit den Blicken. Aus dem Nebenzimmer klang sein krähendes Stimmchen. Er zögerte noch einen Augenblick, legte seine braune Hand auf die blutleeren Finger der Toten, murmelte ein Paar Worte und ging dann zu dem Kinde hinüber. Die Tote blieb allein. Im Stall aber schüttelte der Sepple die Ketten, hieß die Tiere aufstehen, die sich niedergetan hatten, und verkündete ihnen mit wunderlich verschnuppter Stimme: Horchet, Kühe und Kalber  , eure Meisterin ist gestorben und ihre See! auf der Fahrt. Walt Gott, der heilig Sant Antoni, Walt Gott, die heilige Sant Anna Und die Jungfrau Maria, Amcnl" 2. Das Grab auf dem kleinen Gottesacker in La Motte war schon mit einem Stein geschmückt, auf dem stand zu lesen; Marie Luise Junt geb. Pray6. 17. Mai 183820. März 1874. Und auch die Bergveilchen, die das Nettele im Gärtlein des Bergwirtshauses ausgehoben und nach La Motte hinab- getragen hatte, waren schon angewachsen. Der gelbe Jmmortellcnkranz aber lag entfärbt und verwahrlost im frischen Griin. Daniel Junt zögerte einen Augenblick, dann ergriff er das modrige, aufgequollene Gebinde und warf es auf den Schutthaufen an der Mauer. Die PraySs von Sulzern hatten es geschickt, und er sah mit einem abschätzigen Blick auf den auseinandergefallenen Kranz. Mit dem Batzenzeug hatten sie sich losgekauft, die Sulzener. Durch weichen Schnee und im ärgsten Sturm und Regen waren die anderen von La Motte und Hachimette, von Labaroche und aus dem deutschen Tal heraufgekommen zur Leich, aber die Sulzener, die Freundschaft der Frau, die waren in ihren Stuben geblieben und hatten ihm mit dem Boten von Labaroche   die gelbe Wurst geschickt. Ordentlich schämen hatte man sich müssen! Sie hatten ihr im Leben nichts gegönnt und im Tod nichts gegeben, der Luise. Er lachte grimmig auf. Das Erb', das hatte er ihnen freilich aus den Zähnen ge- rissen vor zwei Jahren, als der Vater Prays sich auf die andere Sefte kehrte und sie den Dani Junt dort oben auf seinem Berg übervorteln wollten. Der Augenblick war ihnen günstig ge- wesen, denn der Krieg hatte die Mairie.und den Notari ge- schüttelt wie Spreu im Sieb und alles Unterste zu oberst ge- kehrt. Bis er die Faust drauf legte und ihnen den Falscheid in die Zähne zurückschlug. Und darum jetzt das Dreckkränzle. Bande!" Er wird Dich ausziehen bis aufs Hemd," hatte Tante Torine ihrer Nichte geschrieben. Luise war mit dem Brief vor ilm getreten. Sie war blaß und hielt ihm das Papier hin, ohne ein Wort zu sagen. Da!" Mit dem einen Wort, das all seine Verachtung