Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 163.

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Daniel Junt.

Mittwoch, den 23. August.

( Nachdrud verboten.)

Roman von Hermann Stegemann  . Kaum waren sie die paar hundert Schritte aufwärts ge­stiegen zum Berggrat, wo die Steine wie dunkle Untiere in der Sonne lagen, da wandte sich der Toni um und fuchtelte mit dem Piston in der Luft, daß es helle Blize warf. Aber der Wind fing ihm die Worte vom Mund und trug sie davon. Dann wieder ein paar wilde Bewegungen, und der Bergwirt sah, wie sie die Instrumente ansetten, und auf einmal jauchzte die Marseillaise   mit ihren gellenden, triumphierenden Zönen über die Alpweide.

Daniel fühlte das Herz hart an den Rippen. Es brannte ihm etwas unter den Lidern, aber jäh drehte er sich mit einem Ruck auf dem Absatz und ging ins Haus. Kindereien, was tat ihm das, wenn ein paar Musikanten die Marseillaise  bliesen! Ihm zum Troß und als ob er von gestern auf heute vergessen hätte, daß dort oben die neue Grenze lief! Er war nicht mit Sack und Pack zu den Preußen desertiert, aber tot­stechen ließ er feinen von ihnen unter seinem Dach. Und wenn sie ihm den roten Hahn darauf setten! Den roten Gockel! Nur zu, dann mußten sie bauen, die von La Motte, und was die Brunst fraß, war zu seinem und ihrem Besten.

1905

Und der graubärtige Herr rieb sich den Mund mit der Serviette, als hätte ihm der Anblick des Amtssiegels den Ge­schmack verdorben.

,, Nein, Herr Jaeklé, sie fragen mich nur, was ich kosten gehabt hab' mit dem Blessierten. Ich soll Rechnung aufstellen." Das gab eine eifrige Unterhaltung an dem Tische, wo Herr Jaeklé und seine Frau, Madame Ostermeyer und ihre Tochter und der Abbé Wezel mit dem Wirte zu Nacht aken. " Heischt fünfhundert Franken," schnaubte Herr Jaeklé und schwenkte die Gabel, daß die Salatblätter wild über den Tisch flogen. ,, Gebt's der Kirche, lasset Messen lesen dafür," rief der Abbé, während er einen frischen Fettfleck von der Soutane wischte.

" Ja, macht Eure Rechnung," sprach Frau Ostermeher mit ihrer tiefen Stimme, und macht sie auf der Stell'. Preußen, die bezahlen wollen, es ist unglaulich! Ich habe noch keinen von dieser Sorte gesehen."

Fräulein Noémie Ostermeyer aber legte ihre weiße, kind­lich hagere Hand auf Daniels Arm und bat:

Schenkt mir die Enveloppe mit den schönen, roten Siegeln, Monsieur Daniel."

Daniel sah finster auf den Briefumschlag, auf dem die Adlersiegel brannten. Doch als Jaeklé wieder anhub und ihn drängte, sich die Pflege des Verwundeten reichlich vergüten zu lassen, zudte er die Achseln und schob dem jungen Mädchen das Kuvert in die Hand.

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Hier," Mademoiseille Noémie"-- und dann auf ein­mal laut und schroff über den Tisch hin keinen Sou nehm ich dafür. Man soll mir nicht nachsagen, der Daniel Junt läßt sich ein gutes Werk bezahlen. Er geht hin an dem Messer­stich, der arme Teufel. Ich mäst mich nicht an dem blutigen

Er biß die Zähne zusammen, und als ihm im Halb­dunkel die Sommermagd mit einem Beden voll Wasser be­gegnete, sperrte er der Ueberraschten den Weg, faßte über die Schüssel weg ihren rotblonden Kopf mit nervigen Händen und füßte sie jäh auf den frischen Mund. Ihr leiser Schrei wurde von seinen Lippen erstickt, und ein Schwall Wasser sprang aus dem Becken und netzte beiden die Füße. Dann ging er weiter, und das Mädchen stieg, schwer atmend, mit einem Gefühl plöß- Geld." licher Mattigkeit in den Knien, die Treppe hinauf. Die

Schüssel schwankte in seinen unsicher gewordenen Händen. Drei Wochen lag der Grenzaufseher in der Kammer des Bergwirtshauses. Der Vorsommer würzte die Luft, die zu dem Kammerfenster hereinstrich, mit frischen Düften, und die Herdenglocken läuteten Tag und Nacht auf den Weiden  . Als die ersten Sommergäste einzogen, war der Mann so weit ge­heilt, daß man ihn zu Tal bringen konnte. Aus Colmar  waren Soldaten heraufgekommen, die trugen ihn auf einer Krankenbahre nach La Motte hinab.

Daniel Junt hatte ihm mitleidig in das magere Gesicht geschaut, der blonde Schnurrbart lag über dem blassen Mund und kraufte sich gewaltig über den hohlen Backen. Die Augen hatten einen trockenen Glanz.

Der geht uns doch noch vor die Hunde," sagte der junge Militärarzt, der den Transport leitete, zu dem Grenzkontrolleur an seiner Seite.

N' ja, so sieht es aus. Feldzug mitgemacht, kein Härchen gekrümmt, und nun zerfetzt ihm so' ne Bagage den Blasebalg! Armes Luder!"

Der Kontrolleur fuhr sich mit dem Zeigefinger in die enge Halsbinde, in der sein speckiger Hals sich mühsam drehte, und begleitete die letzten Worte mit einem pustenden Seufzer.

Darauf gingen sie hinter der Tragbahre her bergab. Daniel hatte ihre Worte verstanden. Unwillkürlich war ihm ein Widerspruch auf die Zunge getreten, aber er bezwang fich. Bagage, ja, er selbst hatte die Burschen nicht anders genannt, aber als die da das Wort gebrauchten, stach es ihn, und er fühlte sich mitgetroffen.

Am anderen Tage kam ein amtliches Schreiben aus der Stadt. Er wog es ärgerlich auf der Hand. Er hatte genug Aerger und Schaden mit dem Handel gehabt, und Laufereien, Beugenaussagen: er hatte es satt. Unwirsch warf er den Brief auf den nächsten Tisch und ging seinem Tagwerke nach. Das war schwer genug, seit in der Ferme gefäst wurde, die Boten­fuhren und Chaisen über den Berg kamen, und im Oberstocke die Sommergäste logierten.

warf es zerknittert und zerpflückt zum offenen Fenster auf den Hof hinaus. Und als acht Tage später ein zweites Schreiben kam, diesmal brachte es der Gendarm aus den Tal herauf, da ging er in sein Bureau und schrieb auf einen Bogen:

Er stand auf, raffte das Schreiben vom Tischtuch und

Ich hab' nichts zu fordern von der deutschen Regierung. Der Blessierte kann's besser brauchen."

Dafür wurde er um zehn Mark gebüßt. Wegen un gebührlichen Benehmens.

Die Kurgäste lachten und schimpften in einem Atem, als sie es erfuhren, und tranken an diesem Tage noch ein paar Liter Riesling, damit dem Daniel die zehn Mark nicht vom Zins abgingen.

,, Auch gut, jezt lassen Sie mich doch in Ruh," sagte er und warf damit die Geschichte hinter sich.

Das Nettele aber sagte zu der Catherine in der Küche: ,, So ist er, der Daniel. Man weiß nie, wo man dran ist mit ihm."

Die Catherine antwortete:

Das weiß manches nicht," und sah dabei herausfordernd auf das Mariele, das mit zerzaustem blonden Schopf und einem weichen Lächeln in dem zarten, blassen Gesicht in die Küche geschossen kam, um das Nettele nach der Zimmerwäsche zu fragen.

Die alte Mamsell tat, als hätte sie die anzügliche Rede nicht gehört. Aber als sie mit dem Mariele ins Staſtenzimmer ging, murmelte sie unterwegs:

,, Man muß ihn verheiraten und bald, auf den Tag nach dem Leidjahr."

So eifrig sich das Nettele aber Mühe gab, so große Hülfe es auch fand bei den alten Kurgästen und in den Fermen und Nestern ringsum, Daniel war taub und blind für alle ver­steckten Anpreisungen. Von Gerardmer   kam im September der Wirt zum Canon d'or" auf die Höhe und brachte seine Nichte in die Kur, eine Tante aus Labaroche ging als Garde­dame mit. Das Mädchen war stark und hübsch, mit einem Bölflein goldglänzender Sommersprossen auf der feinen Nase, braunen Augen und einem zierlichen Leib.

Am Abend fand der Wirt den Brief neben seinem Teller. Da schnitt er ihn auf, las und zuckte geringschäßig die Achseln. ,, Was ist denn das, Monsieur Daniel?" fragte einer der Gäste, mit denen er am Tische saß. Das sind ja die Siegel war. bom Gouvernement. Das riecht nach Preußen und Schikane!" I neues

"

Daniel wurde bald gewahr, daß der Angel ausgeworfen Aber er zuckte die Achseln. Heiraten, wenn einmal ein Haus stand und eins allein nicht mehr nachkam, wenn