Anterhaltungsblatt des DorwärtsNr. 164.Donnerstag, den 24. August.1906(Nachdruck verboten.)VIDaniel Innt.Roman von Hermann Stegemann...Und Euer Sohn, wenn er zu den Soldaten muß, zu denPreußen?"„Der L�on kann noch auf keinem Bein stehen. Ihrsagt ja selbst, in drei Jahren ist der Schuß draußen und derPreuß' aus dem Land. Warum echauffiert Ihr Euch, MonsieurSchuffenecker? Macht Euch kein böses Blut, das verschlägtEuch den Wein."„Daniel, ich versteh' Euch nicht," schrie Schuffenecker er-regt und stieß den Stuhl zurück.„Böses Blut, Himmel-donnerwetter, Ihr habt doch sonst auch kein Wasser in denAdern und fahrt auf wie Pulver, wenn's Funken gibt. Freund-chen, Ihr verschimmelt noch in der alten Barackel"„Baracke?"Daniel Junt stand plötzlich aufrecht. Seine Brauendrohten, die Zornader lief auf, und er ballte die Faust.Mit tonloser Stimme fuhr er fort:„Ihr habt recht, esist eine Baracke."Und mit schweren Schritten durchmaß er die Stube, hörtenicht mehr auf das, was der Klavierstimmer nochjprach undtrat endlich ans Fenster, lehnte die Stirn an die Scheibe undstarrte in den Tag hinaus. Der Vogelbeerbaum an der Straßeglänzte von roten Früchten. Eine Amsel schluckte gierig diemehligen Beeren, die Herbstzeitlosen wucherten auf den Matten,und in der Ferne, auf dem ersten Stein, gaukelte eine schlankeGestalt, Floflo, die auf den breiten Rücken des Gramtbrockenshinaufgeklettert war und sich singend im Kreise drehte.Die Sonne glänzte am wolkenlosen Himmel, klar wardie Ferne, man sah in jede Talschlucht, über Wälder undWiesen ins Weite. Ties unten schiinmertc zwischen zweidunklen Bergnasen ein Stück Ebene mit weißen Häusern undeinem blitzenden Fluß. Eine weiße Wolke stieg, geballt wieeine Kugel, in mächtigem Drang aus der Tiefe und verschwandplötzlich in der leeren Luft. Es war der Dampf einer Loko-motive gewesen, die den Bahnzug auf der Talbahn auf-wärts zog.Der Klavierstimmer saß wieder an dem Instrument undspannte eine zerrissene Saite, das Mariele hatte schon langeden Tisch abgeräumt, Daniel stand noch am Fenster und starrteblicklos in die Ferne. Floflo tanzte noch als Erdwibele aufdem schwarzen Stein und sang ein eigenes Lied, und seine helleStimme klang weit über die einsame Höhe.Dem Mann fuhr ein Schauer über die breiten Schultern.So lange die Frau lebte, hatte er die Einsamkeit nicht so starkempfunden. Er hatte den Drang zu schaffen nicht so heftig ge-spürt wie jetzt. An fünfundzwanzig Jahre saß er auf derHöhe, zwölf davon als eigener Haushalter, und immer mehrwar das Bedürfnis nach stärkerer Tätigkeit, nach Schaffenund Werken in ihm gewachsen. Und seit die Louise unter demBoden, das Kind aber im Korb lag, seit diesen, Augenblickewürgte ihn die tatenlose Ruhe, das stumpfe Jn-den-Tag-lebenund kümmerliche Sorgen zum Ersticken. Da unten in La Mottewar seit Jahren kein neues Dach aufgerichtet, und seit derSeuche, die im Kriegsjahr das Vieh heimgesucht hatte, warkeine einzige Kuh mehr eingestellt worden. Sie hausten vonheute auf morgen, vom Sommer auf den Winter und dachtennicht über ihre Nase hinaus. Ihn machte das nicht heiß undnicht kalt, aber daß sie ihm auch den Atem verhielten und aufseinen Plänen hockten wie die Schratzen, bis sie darunter er-stickten, das fraß an ihm. Sollte der Bub auch in der altenHütte hausen, auf die er neue Ziegel und Schindeln kleben,die er mühsam zusammenhalten mußte, wie die Weiber ihreZuber, wenn der Ostwind bläst, daß sie nicht aus den Reifenfallen I Das war ja kein Leben wert. Besser gleich dieFüße von sich strecken und zu Grab fahren!Als am anderen Tage der Klavierstimmer über den Bergweiterzog, in anderen Vogesengasthäusern seine Kunst auszu-üben, fragte Daniel ihn noch um die Adresse eines Advokatenin Kolmar.„Oho, Monsieur Daniel, wollt Ihr prozessieren?" neckteihn Schuffenecker erstaunt«„Mein Sach," antwortete er kurz.Er notierte sich die Adresse und fuhr in der nächsten Wochehinab nach La Motte.Der Maire saß daheim über einem Schnaps, als er kam.„Schau, der Dani! Ist Euch eine Kuh umgestanden, oderfahrt Ihr mit den Melkern ins Tal, noch vor Michaelitag?"„Das Vieh steht auf den Füßen, und wenn's mich Annoinundsiebzig oben gelitten hat, wo einem der Schnee am Dachstand, danach bringt's einen in keinem anderen Winter insTal. Die Sonne hitzt, die alten Weiber wollen auch nochihren Sommer haben."Daniel setzte sich auf die Bank hinter dem Schiefertischund wischte mit dem Handrücken die Schweißtropfen von derStirn.„Ein Kirsch zum Verkühlen," sagte der Bauer, und seineTochter füllte dem Gaste das Glas.Durch die kleinen blinden Fenster der Stube brannte derTag. Dichte Fliegenschwärme fuhren umher und erfüllten denniedrigen Raum mit einem geisterhaften Summen. Diealte Stockuhr auf der Kommode hinkte wie seit Jahren. Danielkannte ihren knackenden Pendelgang.Eine Weile hockten sie stumm hinter den Gläsern, dannsagte der Maire, indem er seinem Gesicht einen gleichgültigenAusdruck gab:„Alsdann, was gibts auf dem Hof neues?"Daniel antwortete mit dem gleichen verschlossenenGesicht:„Er hält noch zusammen."„Wohl, wohl."„Bis die Gemeind baut," fuhr Daniel ruhig fort.Der Wiesbauer zuckte die Achseln, als wollte er sagen:da sind wir wieder so weit.Daniel tat, als sähe er die Bewegung nicht.„Zwei Winter mag's noch angehen, ini Frühjahr danachmuß es sein. Die Gemeind baut, ich zins' mit fünf vomHundert."„Die Gemeind hat keinen Sou zum Verspekulieren. Allesgeht hinter sich, seit der Preuß im Land ist. Die Frankenwachsen nicht im Hag."Jetzt zuckte Daniel die Achseln.„Ich diskütier nicht mit Euch. Der Gemeinderat spricht.Fünf vom Hundert und Fünfhundert Franken mehr für diePacht. In der. nächsten Sitzung bring ich's vor. Ihr seidavisiert."Er stand auf und streckte dem Maire die Hand hin. Dannmit einer Bewegung nach dem Glase:„Schön' Dank und macht mir Bericht, wenn's so weit ist."„Ihr beißet darauf, wie die Mucken auf d' Roß," erwiderteder Bauer, und ihre Hände lagen kalt ineinander.Der Bürgermeister blieb auf der Schwelle stehen, bisDaniel aufgestiegen war. Als der Bergwirt den Gaul wandteund die Gasse hinunterfuhr, rief er ihm nach:„He, hinterwärts geht's heimzu!"Da deutete Daniel mit der Peitsche ins Tal, wo dieSchwüle des heißen Spätherbsttages als rötlicher Dunst überder Ebene hing, und entgegnete:„Und da geht's zum Notaril"Und talab trabte der Joli.4.Acht Tage nach dem Engelfest wurden die Fermen der-lassen. Da trieb auch der Daniel Junt sein Vieh bis auf zweiMilchkühe zu Tal. Der Melker ging mit der Sommermagdjauchzend hinterdrein, und dem Mariele war das Herz schwer,als Ueße es seine Heimat zurück auf dem Berg.Daniel sah sich nicht nach ihm um. Finster blickte er aufdie breiten glänzenden Rücken des absteigenden Viehs. Wennder Sepp mit der Geißel klöpfte, zogen sie die Füße schnellerdurch den weichen Grund. Der Nebel hing als Tau anGräsern und Bäumen, und weiß stach die Sonne durch dieDünste. �Am Mariabaum scheuerte sich die Leitkuh das Fell, warfden Kopf in die Höhe und brüllte laut. Ihre Glocke klanghell, und ans der Ferne kam ein Echo. Talab drängte daSAlmvieh. Die Fermen standen leer vom Tännchel bis zumKahlen Wasen. Nach Osten und Westen, inS Elsaß und auf di«