— 655 tblüft doch die Frau Massong besuchen und sehen, wie eS den lieben Kinderchen geht." Christine wischte eifrig mit der Schürze über einen Stuhl. «Trinken Sie eine Tasse Kaffee?" „Ja. Warum nicht, wenn man's haben kann. Wie groß die Käthe wird! Komm, gib mir ein Händchen!" Die Kleine versteckte sich scheu hinter Mutterns Schürze. „Magst Du denn die Tante nicht?" frug Frau Massong. „Nein," flüsterte Käthe und sah die Mutter ängstlich dabei an. Christine wußte gar nicht, was sie in ihrer Verlegenheit sagen sollte. „Entschuldigen Sie, Frau Schmitz. Kinder sind so unberecheM bar. Immer vor Fremden zeigen sie sich von der schlechtesten Seite. Käthe weiß gar nicht mehr, wer Sie sind. Sie waren auch so lange nicht hier!" „Ja, ja. Man merkt's," sagte Frau Schmitz mit einer unver- kennbarcn Schadenfreude in der harten Stimme.„Also schon wieder was? Wohl das siebente. Halten Sie das denn aus?" „Ich weiß nicht," machte Christine mechanisch.„Aber trinken Sie doch, Sie haben ja noch gar nicht getrunken." „Gleich, gleich!" „Und was gibt's denn sonst neues?" „Neues? Nichts. Nein, wahrhaftig, gar nicht». Ach so. Der alten Müller ihre Tochter ist mit'nem Schreiber durchgegangen... ja, und denken Sie nur, der Franz Lenzen, der das schöne Spezerei- geschäft hatte,— der macht Bankrott— den haben auch die Frauen- zimmer auf dem Gewissen. Bei denen kann man sein Geld los werden. Ach, was ich noch sagen wollte: was macht Ihr Mann nur immer in dem„Grünen Zweig"? Na, na.. Ich sage bloß, dem besten Mann ist nicht zu trauen, wenn so ein Weibsbild im Spiel ist wie die Dora— die macht sie alle verrückt." „Mein Mann?! Ich weiß nichts davon. Im„Grünen Zweig?" „Aber Mutti," fiel die kleine Käthe altklug ein,„da waren wir doch neulich— neulich Sonntags. Weißt Du's denn nicht mehr?" „Na ja. Also, ich will ja bei Gott nichts gesagt haben— aber wie gesagt: passen Sie auf. Die Leute munkeln so allerlei. Na, aber wie gesagt, ich habe nichts gesagt. Ach, ja.— Gott — da sitze ich hier und schwatze und muß doch nach Hause. Sonst hat mein Mann ja heute Mittag nichts zu essen." Als Krau Schmitz gegangen war, ließ Christine sich ganz er- schöpft auf einen Stuhl vor dem Küchentische fallen. Also das war's! Das! Daher die Liebenswürdigkeit! Daher die zärtliche Besorgnis! Damit sie nicht mißtrauisch werden sollte! „Mutti, hast Du wieder Kopfschmerzen?" „Laß mich, laß mich in Ruh!" schrie die Mutter gequält, und Käthe verkroch sich furchtsam neben den: Ofen. Das mußte ein Ende nehmen— so— oder so— Als Massong abends nach dem Essen noch ausgehen wollte, frug Christine anscheinend ruhig: „Wohin willst Du denn jetzt noch? Die ganze Woche über warft Du Abend für Abend aus. Und keine Nacht kommst Du vor zwei Uhr nach Haus. Bleib' doch einmal hier. Ich sitze immer so allein!" „Nein, Christine, ich kann heute nicht. Ich habe es versprochen und muß noch raus." „Wohin denn?" „Frag' doch nicht." Es war ihm sichtlich unangenehm. „Ich will Dir's sagen. Ich weiß es ja doch Mich betrügen willst Du mit der Dirne aus dem„Grünen Zweig". Mich hinter- gehen mit solchen Frauenzimmern. Wenn ich sie erwische— dann gnade ihr der Himmel— dann soll sie mich kennen lernen. Hier meine zehn Nägel will ich in ihr Gesicht einbrennen. Damit Du's nur weißt."/ Christine zitterte und schwankte, day sie sich an den Küchen- schrank festhalten mußte. „Weib! Hält's Maul! Oder ich schlage drein!" überschrie sich Massong schuldbeivußt. „Schlag doch! Schlag doch! Ich schreie es dennoch in alle Welt. Du Ehebrecher! Du! Du!--" Halb sinnlos vor Wut gab Miassong dem stöhnenden Weib einen Faustschlag vor die Brust und lief hinaus. Tie Kinder waren von dem Lärmen wach geworden und riefen: „Mutter! Mutter!" Die aber lag vor Schmerzen jammernd neben den: Tisch und umklammerte verzweifelt die hölzernen Beine. Gegen 12 Uhr zog sie sich an und ging an den„Grünen Zweig". Die Straße war fast gar nicht beleuchtet, man unterschied kaum Fahrlveg und Trottoir. Gegenüber der Wirtschaft verkroch sie sich auf der obersten Stufe einer dunklen Treppennische, in der die Dunkelheit mit ihrer Gestalt zusammenwuchs. Von da aus beobachtete sie jeden Gast, der aus der Schenke heraustrat. Sie fror vor innerem Fieber. Glühende Schauer liefen ihr über den Rücken. Kein Gedanke als: ich muß sie erwischen— büßen soll sie... büße»! Gegen%1 Uhr kam Massong die Türe heraus. Er ging ein Paar Minuten unsicher stolpernd auf und ab. Christine krümmte sich ganz in die Dunkelheit hinein. Er flötete.... Und dann kam ein Mädchen, etwas kleiner als er, kräftig und voll gebaut mit einem hellen Tuch um die Schultern.„Dora!" riek Masiona„Wo bleibü Du so lang?" „Was willst Du noch? Habe ich Dir nicht drirmen schon ge- sagt, daß ich nicht mehr will? Du bist lästig. Ich mag nicht mehr. Ich bin's satt. Hörst Du? Geh zu Demer Frau. Ich bin es satt ein für allemal!" „Dora! Dora! Sei doch vernünftig!" „Nein!" Wütend stampfte sie mit den: Fuße. „Aber ich will. Hörst Du? Ich will!" Nun standen sie vor Christine, die sich krampfhaft gestreckt hielt und nicht zu atmen wagte. „Ich will!" Dabei packte er das sich sträubende Mädchen um die Taille und riß es an sich.„Wie, kratzen willst Du? Kätzchen will kratzen?— Du— Du—, ich bin ja doch stärker." Er zog sie auf die Treppe. Christine wollte schreien, aber ihre Kehle war ausgedörrt— sie wollte auf die beiden losstürzen— aber ihre Füße wurden starr und steif und wollten sich nicht von der Stelle bewegen... „Hubert!" Dann fiel sie wimmernd zusammen. Massong fuhr auf.„Was war das?" Er lief die paar Treppenstufen hinauf und tastete mit der Hand durch die Dunkelheit, aus der sich zerrende Nägel in seine Haut hineinrissen. „Du! Anspucken will ich Dich!— Hierbleiben!" überschrie sie sich plötzlich.„Du sollst mir doch nicht entgehen!" Im Nu raste sie die Treppe hinunter und hinter der fliehenden Dora her. Die Verztveiflung lieh ihr dreifache Kräfte. Nach wenigen Sekunden schon hatte sie das Minbcheu eingeholt und an dem wehenden Ende des über der Brust festgesteckten Tuches erfaßt. Dora stieß sie zurück, trat mit den Füßen und wehrte sich aus Leibeskräften. Vergebens wollte Hubert seine Frau zurückreißen. „Hab ich Dich endlich— Deine schöne Fratze." Wahnsinnig kratzte sie ihr mit den Nägeln durch das Gesicht, bis Hubert endlich mit Anspannung aller Kraft sie zurückzerrte und ihr einen Stoß gab, der sie in weitem Bogen in den Fahrweg trieb. „Dora— Lieb— was hat sie Dir getan?" „Weg! Sag ich! Oder ich schlage Dir ins Gesicht." Als er nicht nachließ in sie zu drängen, stieß sie ihn wie einen lästigen Hund von sich, daß er taumelnd gegen die Mauer fiel. Dann lief sie fort. Hubert machte erst ein paar Laufschritte hinter ihr her. Tann blieb er stehen. Es hatte ja doch keinen Zweck. Christine saß wie betäubt auf einer Treppe und starrte in die Dunkelheit. Nun war alles aus. Als Hubert an ihr vorüberkam, herrschte er sie barsch an: „Steh auf! Mach, daß Du nach Hause kommst!" Wie er das Weib haßte, ihren schleppenden, watschelnden Gang, ihre ganze unglückselige Figur! An der nächsten Wirtschaft ließ er sie allein. Christine Ivankte nacki Hause ohne irgend ein Gefühl als daS einer grenzenlosen' Beschämung. In der Küche war es dunkel. Alles dunkel. Die Kinder aber waren wach und weinten laut. „Mütter! Mutter! Wo bist Du denn?" Da stürzte Christine an ihr Bett und weinte träncnlos. Im Dunkeln legte sie sich in das breite Ehebett. So sollte das Leben also weiter gehen. So. Immer schlimmer würde es sich gestalten, je weiter ihr Zustand voranschritt. Er würde zu anderen gehen. Zu der Dora... Nie war er so zärtlich zu ihr gewesen, nie— nie. Wie er sie beschimpft hatte vor der — vor so einer. Mitten in der Nacht stand sie auf. Schlich durch das dunkle Zimmer. Tastete sich bis ans Fenster. Alles ruhig. Ein Hund im Hofe begann zu heulen— langgezogene, klagende Laute-- Sie ritz das Fenster auf. „Mutti— Mutti—" sagte eine träumende, unklare Mädchen- stimme,„hast Du wieder Kopfschmerzen? Wein doch nicht. Ich Hab Dich so lieb— Mutti— liebe Mutti— Du sollst nicht fortgehen — Bleib doch hier— Ich furcht mich ja so..." Da sank Christine auf die Kniee. Heiße Tränen brannten über ihr Gesicht. Nein, nein...DaS nicht. Niemals I Was sollte denn aus ihren Kindern werden? AuS ihren armen Kinderchen?... �„ Und langsam tastete sie sich in das breite Bett zurück.— kleines feiriUeton. cK. Trübe Zeiten für die Sarbinenfifcher in der Bretagne . Aus Paris wird berichtet: Die Ergebnisse der Sardinenfischerei in Douarnenez sind sehr schlecht, und die Fischer denken mit Schrecken an das Elend, das sie vor drei Jahren zu ertragen hatten. So berichtet der Korrespondent des„Matin" aus dem Mittelpunkt der Sardinenindustrie, von der die Küstcnbcvölkerung dreier Departements lebt. Mit jedem Jahre werden die bretonischen Fischereien weniger ertragreich. Die Lage wird dadurch noch ver» schlimmcrt, daß die als Köder gebrauchte» gesalzenen Eier de»
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22 (24.8.1905) 164
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