NnterhaltungsSlatt des Horwärts Nr. 165. Freitag, den 25. August. 1905 (Nachdruck verboten.) 103 Daniel jfunt. Roman von Hermann Stegemann . ..Jetzt ist wieder die Erdwibele-Zeit," sagte das Kind und drückte sich dichter an den Alten. »Ja. jetzt gehen sie wieder ihre Leinwand an die Bäume hängen. Und dann stiegen die weihen Fäden," erwiderte der Knecht. Sag, verzähl mir, Sepple, ist's wahr, das von dem See?" flattierte Floflo dem Wortkargen und wies mit der Hand in die Ferne, über den Tannengrund und den Kreuzbühl, wo der biantsede m&ts*) auf dem Reisberg schlief. Die Catherine, die weiß alle Altcweibergeschichten, die verzählt Dir vom Weißen See und von dem goldenen Wagen, wo drin liegt und alle Jahr in der Johaunisnacht aufs Land rollt und was das für dumme G'späß sind." Ttunme G'späß?" fragte Florence klagend. Ein goldener Wagen, und wer ihn Johanni in der Geisterstund packt und so weit auf den Berg heraufzieht, daß er Stand hat, eh' es in Orbey eins schlägt, der führt ihn heim! Zwei Brüder aus Paris haben's einmal gewagt. Der See hat sie behalten." Der Knecht bröselte es vor sich hin und schleifte das lahme Bein durchs feuchte Heidekraut. Das Kind schwieg eine Weile. Es war so still, daß das Wasser im Brunnentrog bis zu ihnen herrauschte und gurgelte, als das Haus noch klein und grau über ihnen am Wegrain hockte. Auf einmal tat Floflo einen tiefen Atemzug. Aber der Vater, wenn der will, der führt ihn heim," sagte es, und seine Stimme hatte einen warmen Klang. Der Sepple druckste vor Lachen, aber unwillkürlich machte er den Buckel krumni, als spürte er die Faust des Daniel über sich. So schritten sie selbander zur Höhe. Kühl kam die Lust über den Grat, und als der Knecht mit dem Kinde den Hof erreichte, lag ein feuchter Glanz auf Floflos Haar. Hinter ihnen schritten die Ncbclfrauen. In der Nacht begann es zu regnen. Eintönig rauschte es hernieder, klopfte und polterte in den Dachrinnen, lief tropfend ums Haus und sang im Tannenwalde, wo höhnisch der Kauz schrie. Am Tage darauf blies der Nordwind, große Flocken tanzten leicht zwischen den schweren Tropfen, und eine setzte sich Floflo auf die ausgestreckte Hand. Es hatte lange auf der Schwelle gestanden und schoß nun mit dem Schnee- stern in die Stube. Lug, Nettele, das ist gewiß eine von zu oberst aus dem Himmel, so groß ist sie." Aber als es der Mamsell die Flocke zeigen wollte, war sie verschwunden. Ein Tropfen rann zwischen den Fingern herab und traf den kleinen L6on, der auf Netteles Schoß lag, auf die Nase. Da lachte Floflo und tanzte von einem Bein aufs andere, indem es die Hände zusammenschlug und sang: Tschuk, tscbuk, tschuk, der Wind geht kalt, Maidele, flick di Aerrnclel Nimm doch dir fei' alte Mann, E junger git dir wärmer.. Jesus , nein, was singst Du da. Du wüstes Kind!" rief das Nettele zwischen Lachen und Schelten. Das ist schön, gelt? Das Hab ich vom Melker," erwiderte Floflo und fuhr mit Heller Stimme fort: Lustig, wenn m'r ledig find, Lustig, tvenn m'r latv«, Wenn m'r nit in d'r Himmel kumme, Kumme m'r halt der naive!" Himmlischer Vater!... Halt Deinen Schnabel! Ah, der Taveri, so ein Fink, dem Kind seine Schelmenliedle der- «rbeu!" Das Nettele erhitzte sich ganz. *) Romanisches PatoiS, zu deutsch weißer See. Wart nur, im Frühjahr kommst Du auf Kolmar in die Schul, zu den guten Schwestern, die werden Dir dafür tun." Nanette sah Florence mit bösen Augen an, aber dann zuckte ein trauriges Lächeln um ihren Mund. Floflo war verstummt. Jetzt fragte sie ganz verzagt und piepte wie ein armes Vögelchen: Ist das wirklich wahr, Nvnette, ich komme zu den Schwestern?" Tu weißt's doch, es ist ja alles schon regliert," antwortete daß Nettele. Und der L6on?" Ja, der kann doch nicht zu den Schwestern. Der bleibt hier auf den: Berg." Floflo schwieg. Ihr Herz klopfte wie oft, wenn sie wild tat. Die alte Mamsell wiegte den Knaben und sah mitleidig auf das ernste Kind. Daniel hatte ihnen schon auf Michaeli gesagt, daß das�Maidle nach Kolmar zu den frommen Schwestern in die Schule sollte. Und zwar auf den Frühling. Florence war sehr erstaunt gewesen, als sie davon erfuhr, aber jetzt erst schien dem Kinde klar zu werden, daß es hinab müsse von dem Berg und fort von daheim. Sag, Nettele, hätt' ich auch zu den Schwestern inüsien, wenn's Müetterle noch bei uns war?" So fragte es nach einen? Schweigen. Selbstverständlich, oder meinst,'s Müefterle hätt' können den Schulmeister niachen?" Ja, und der Vater, kann der's auch nicht?" Da strich ihm Nettele über die Backe. Das gäb ein' rauhen Schulmeister." Und dann erzählte sie dem Kinde von den guten Schtvestern, die in dem schönen, großen Haus in der Stadt wohnten, wo so viele kleine Maidele waren und lesen und schreiben lernten und singen und beten. Und am Sonntag gingen sie in die Kirche, eine Kirche, zehnmal so groß wie die zu Trais Epis, wo Floflo auch schon gewesen war, mit Fenstern von farbigem Glas und goldenen Tafeln und Bildern und mächtigen Glocken. Wenn die läuteten, hörten sie es stundenweit. Dorthin kam Floflo am Palmensonntag, und auf Pfingsten durfte es heim xmf den Berg, für zwei Tage. Dann fuhr der Vater mit dein Wägelchen nach La Motte und mit der Post ins Tal und ging es holen. Und jedesmal, wcuri Floflo heimkam, war der Leon einen Schuh gewachsen. Und ich?" fragte das Mädchen. Und Du auch. Du fährst aus den Kleidern wie die Schnecken aus dem HäuSchen, Wenns regnet. Und an einem schönen Morgen ist Floflo ein Fräulein und gelehrt wie ein Abb6." Wirklich?" Zweifelnd sah es zu ihr auf. Nettele blickte in die großen, dunklen Augen und versicherte auf ihre Seligkeit, daß es so geschehen werde. Und nachdem sie einmal von der Uebersiedelung gesprochen hakten, redete sie täglich davon, und Netteles Phantasie er- schöpfte sich bald, aber Floflo wußte sie durch neue Fragen immer wieder anzuregen, bis sich alles so lebendig anhörte, daß das Kind selbst davon zu erzählen begann. Es sprach mit der Catherine darüber und erzählte dem Läon und sogar dem Bello davon, der ihm lange zuhörte und nur dann und wann die gestutzten Ohren bewegte, die kalte schwarze Schnauze auf Floflos Linie legte und mit dem Stummelschwanz die Dielen wischte. Der Winter kam mit Schneestürmen und klarem Frost. Der Hof lag verschneit, und Tatine backte Brot trotz einem Bäcker. Daniel betreute den Joli und die beiden Milchkühe, die in dem Verschlage, dicht an der Küche, standen. Wenn sie mit den Ketten rasselten, hörte man es in dem dunklen Raum, wo Catherine einsam die Kaffeemühle drehte. Zuweilen kam ein Schmuggler und klopfte am späten Abend an die Läden, trank einen Schnaps und huschte wieder ins Dunkel. Dann stapfte ein Zollivächter durch den Schnee und schmetterte einen Bittern, wischte den Bart und ging wieder hinaus in den Wintertag. Alle Mulden und Hänge, alle Schluchten und Wälder lagen voll Schnee, und wenn der Wind sang, glitzert« die Luft von aufgescheuchten Kristallen, die aus den Tannen stoben und in der kalten Sonne tanzten.