NnterhaltungMatl des Vorwärts Nr. 167. Dienstag, den 29. August. 1905 (Nachdruck verboten.) 12] Daniel Junt. Roman von Hermann Stegemann  . Am Todestage der Frau gingen alle nach La Motte hinab zur Messe; der März war lind, und acht Tage darauf trieb der Sepple das Vieh auf den Hof. Tie Fermen standen noch leer. die Weide gab noch kein Gras, aber die Kühe rannten, daß der Knecht mit seinem krummen Fuß ihnen kaum folgen konnte. Ungern traten sie in den niedrigen, alten Stall, wo die beiden Winterlinge unruhig mit den Ketten klirrten, als die Stände sich stillten und die Eimer klapperten. Acht Tage später kam der Melker cms Labaroche, und die Sommermagd stellte sich ein. Daniel hatte in Türkheim  zwei Maurer gedungen, die begannen die schadhafte Hauswand zu flicken, und Floslo half ihnen den Brei rühren. Tie Weide sproßte, in hellen Nächten tönte die Luft von Vogelrufen, und als Palmsonntag kam, war auch Floslo bereit zur Reise. Das Nettele fuhr aufgeregt und verstohlen sich die Augen wischend im Hause umher, als gälte es einen ewigen Abschied. Der Katherine hatte in der Nacht auf den Sonntag von Hühnern geträumt, das bedeutete Glück, und das erzählte sie dem Kind am Morgen der Fahrt. Als Daniel dazukam, wurde sie still und blickte nur scheu, mit einem einfältig glücklichen Gesicht nach ihm hin. Er hatte sich städtisch angekleidet und sah aus wie ein nobler Herr. Vorwärts, Floslo," sagte er und hieß sie vorausgehen. Nettele brachte den L6on noch einmal herbei, der frisch und rosig auf dem Arme der Alten saß und ihr mit den Beinen gegen den mageren Leib trommelte. Er hatte blaue Augen wie seine Mutter und lachte wie ein Schelm. Da fing Floflo an zu weinen. Ohne zu wollen, ohne eine Miene zu verziehen, die Tränen liefen in hellen Kiigelchen über ihre Backen. Aber, Florence, so ein großes Maidle und greinen," sagte Nanette, und dabei wischte sie ihr schnell über das Ge­sicht mit dem Schürzenzipfel, der noch von ihren eigenen Tränen feucht war. Floslo erwiderte nichts, sondern wühlte den Kopf in L6ons Schoß. Der fuhr ihr mit den Fäusten in die lockigen, schwarzen Haare, die sich nur ungern in einen Zopf hatten siechten lassen, und als Nanette eine halbe Stunde später allein war mit ihm, zog sie ihm noch ein Dutzend feiner Haare aus den Fingern, die er der Schwester ausgerupft hatte. Schau mal her, Katherine, der Bub hat dem Kind aus Liebe die Haar ausgerissen," rief sie zwischen Rührung und Aerger schwankend. Und als sie die Härchen in ein Strähnchen gefaßt fallen lassen wollte, griff die Magd hastig danach und sagte: Gebt acht, Mamsell Nanette, daß sie an einen rechten Ort kommen. Nicht ins Futter, sonst kranket das Vieh, nicht ins Feuer, sonst kranket der Mensch, nicht ins Wasser, sonst gespenstet's des Nachts." So eine Albernheit!" antwortete das Nettele.Wohin muß man denn mit den ausgestrählten Haaren?" Ausgestrählt ist nicht ausgerupft, und wenn man die in ein Vogelnest legt, hernach, hernach" Sie brach plötzlich ab und rieb sich verlegen den nackten, roten Ellbogen. Was denn?" Hernach bekommt man den, wo man gern hat," voll­endete sie endlich. Da lachte Nanette. Katherine. jetzt bist Du bald fünf Jahr auf dem Hof, aber man lernt bei Dir nicht aus, das Kind hat noch weit bis zur Liebe." Ja, so mein' ich's nicht. Von den eigenen muß man in ein brütig's Nest tun, dann hilft's gewiß. Und das Maidle. daß Jhr's nur wißt, das ist geschwinder zeitig, als ich und Jhr's gewesen sind." Das Nettele war wieder ernst geworden. Sell ist nicht so lätz, Katherine, das Kind ist voran wie die Wälschen, wo als von der Schlucht heraufgekommm sind, beim Straßenbau die Jtalienermaidle, weiß Du noch? Aber sonst ist's noch ein rechtes, ein ärgeres Kind als die im Dorf. Das macht der Berg. Jetzt wird's das g'schwind aus- wachsen." Und mit einem Seufzer blickte sie durch die Scheiben in das Gewirr der Täler, die inchläulichen Schatten lagen. Floflo war schon auf der �zfahrt durch den Tannenwald, in dem das frische Harz duftete und die Anemonen in weißen Büscheln blühten. 5. Als Daniel in dem Pensionat der Schwestern vom guten Hirten Flo zum letztenmal mahnte, recht zu tun und couragiert zu sein, wenn das Heimweh an ihm zupfe, da empfand er eine starke, väterliche Zuneigung zu dem blassen Kind, das ihn mit fremden Augen ansah und vor Herzweh nicht antworten konnte. Er war schon cm der Tür, da rief es ihm nach. Vatterle, Batterie," klang's dünn und schluchzend, und Schwester Amalie, die es beschwichstgt hatte, ließ es gewähren und dem Vater nachschießen. Wie der Wind war es hinter ihm her und warf sich wild gegen ihn, strebte an ihm empor und küßte ihn. Daniel hatte ein Zucken in den Armen verspürt, als die geschmeidigen, jungen Glieder sich gegen ihn drängten, und er, der dem Maidle nie zärtlich begegnet war, küßte es wie ein rechter Vater auf die Backen, drückte es fest an sich und stellte es dann vorsichtig auf den Boden. Da, nehmt es, Schwester, und haltet es gut." Er rückte den Hut in die Stirn, ging den hallenden Flur hinab in den Garten, den Hof und durch das Tor auf die Gasse. Die lag einsam, das buckelige Pflaster schimmerte� grün- lich in der Frühlingssonne. Und straßenweit kein Mensch, die Verlassenheit einer Totenstadt. Er kam am Gymnasium vorüber, wo er sechs Jahre die Bänke gedrückt hatte. Seine Mutter hätte gern einen Priester aus ihm gemacht, aber ihn kratzte die Kutte, noch ehe er sie auf dem Leib hatte, und als er eines Tages mit dem Professor Dubail, einem spitzfindigen Burgunder, der die Elsässer nicht leiden konnte, grob zusammenstieß, da fuhr er des Nachts wie ein Fuchs aus dem Bau, stahl sich aus dem Schlafsaal, kletterte über die Mauer und rannte den Bergen zu. Erst durch die dunklen Straßen, an einem Brigadier der Gendarmen vorüber, der mit seinem Zweispitz daherkam, anzusehen wie der gehörnte Leibhaftige im grauen Dämmerlicht, dann am Logelbach hin, das Münstertal   hinauf. Und endlich lief er durch die Rebgärten die Berge hinan, den Wäldern, den Matten zu. Stundenlang, höher hinauf, immer weiter in den Tag hinein, bis die dunklen Tannenwälder hinter ihm� zurück­blieben, die Rebhügel, die Waldberge unter ihm grün und schwarz dahockten, klein und kümmerlich, und vor ihm die Weiden sich dehnten, die roten Kühe, die gefleckten Rinder nach ihm glotzten und der junge Muni, den sie dem Vater in Straß- bürg auf der Ackerbau-Ausstellung prämiiert hatten, schnaubend und röchelnd auf ihn zukam. Er hatte dem Stier eins auf die feuchte Nase versetzt und ihn angeschrien: He, Coco, kennst Du mich nicht mehr?" Dann war er an dem blöd stehenbleibenden Vieh vorbei- gerannt, über die Kälbermatte durch den Kiefernbusch, auf die Höhe, wo der Wind wehte, wo er zu oberst stand zwischen den Steinen, und er war den Mönchsfelsen hinaufgestiegen. dort reckte er sich hoch über den Bergen, den buckligen, die im Tal hockten, den klumpigen, die dalagen wie hingeworfen von einer Riesenhand, hoch über dem stolzen Grat, der das ganze Gebirge entlanglies, ein himmelhoher Rücken zwischm dem Frankreich   und dem Elsaß  . Und weit unten in der Tiefe, da hatte er die Stadt gi> sehen, ein Haufen von Dächern, ein paar Türme, ein Dreck das Ganze. Du bekommst den Dani nimmer," hatte jw hinunter­geschrien und sich mit der flachen Hand auf das Hinterteil ga» patscht, als müßte er der Stadt, dem Gymnasium, dem Pro- fessor Dubail und allem seine Verachtung bezeigen auf der Kuppe des Mönchsfelsen hoch oben auf dem Florimont, WS sie daheim waren und Herren und Meister, die Junt,