Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr: 176.
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Daniel Junt.
Sonntag, den 10. September.
( Nachdrud verboten.)
Roman von Hermann Stegemann . Nun, Floflo, kennst Du Mamsell Berthe nicht mehr?" fragte Daniel brüsk.
Floflos Wangen überzogen sich mit einer flüchtigen Röte. ,, Guten Tag, Fräulein Berthe," sprach sie leise, ohne sie anzublicken.
Berthe wußte nicht, was sie antworten sollte, Daniel aber legte Floflo die Hand auf die Schulter.
" Der Leon geht mit dem Nettele zu Madame Berthe. Und er bleibt bei ihr bis ins Frühjahr. Auf Ostern kommen sie dann heim auf den Berg, alle drei, und Madame Berthe bleibt auf dem Florimont. Verstehst Du?"
Floflos Schultern bebten, sie sah immer geradeaus, ohne es zu wissen. Ihr Herz klopfte ganz schnell, fie mußte immer den Mund aufmachen, wenn sie so geschwind ging wie jetzt. Als das Kind keine Antwort gab, zog Daniel die Brauen zusammen.
Alsdann, Flo, gib jetzt der Madame Berthe die Hand," stieß er heftig hervor.
Florence drückte die rechte Hand tief in die Falten ihres Kleides und ging hastig weiter. Sie war wieder blaß geworden, ihre Nasenflügel zitterten bei jedem Atemzug. Da sagte Berthe leise:
,, Laß das Kind, Daniel, das kommandiert sich nicht." Daniel aber blieb stehen, mitten auf der Straße, vor ihnen Tag der Bahnhof unter dem gelbroten Himmel, an dem die Sonne einen blutigen Brand entzündet hatte, und er faßte Floflos Arm, zog die falten, feuchten Finger aus den Kleiderfalten und fügte sie in die ihm schnell entgegengereichte Hand Berthes.
Bug!"
" So, und jest vorwärts, in drei Minuten kommt der
Er ging voraus, um die Karten zu besorgen. ,, Kennst Du mich denn nicht mehr, Floflo?" fragte Berthe leise und mitleidig.
Florences Lippen zuckten, sie antwortete nicht. Jetzt waren sie auf dem Perron. Auf einer Bank saß das Nettele und hielt den schlafenden Leon auf dem Schoß. Da schoß Floflo auf einmal auf die beiden zu und erstickte sie fast mit Liebfofungen. Der Leon, aus dem Schlaf geschreckt, brüllte aus Leibeskräften, und als gerade der Zug fauchend und spuckend in die Halle donnerte, brüllte er noch lauter.
,, Nanette, laß mir den Leon da," schluchzte Floflo und wollte den Strampeler nicht loslassen.
Daniel machte dem ein Ende. Sie stiegen ein. Schon gellte die Glocke und schmetterten die Schaffner die Coupétüren zu, da sprang Daniel noch auf den Wagentritt: „ Auf Wiedersehen, Berthe! Halt ihn mir gut, den Buben, und Du weißt, im Frühjahr"
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„ Abfahren!" schnarrte der Diensttuende, und die Signalpfeife schrillte. Der Schaffner zerrte Daniel herab. Berthe gab keine Antwort mehr. Der Pfiff der Lokomotive und das Kreisen der Räder erstickten Floflos letzten Schrei nach dem Leon und dem Nettele.
Berthes schwarzer Schleier wehte im Luftzug, und nun flemmte sich noch eine runzelige Hand über ihrer Schulter aus dem Fenster und hielt ein weißes Nastuch straff im Winde.
Als der Zug über die Weichen fuhr und nur noch der lette Wagen fichtbar war, wandte sich Daniel ab:
Komm, Floflo! Jetzt gehen wir zum Doktor, der soll Dir ein Zertifikat geben, daß Du ein paar Wochen heim darfst, und hernach fahren wir auf den Berg."
Florence wischte noch an den Tränen, aber es schmiegte jetzt seine Hand in Daniels Finger und sagte:
Schau, Vatterle, es gibt ein Wetter." Braunrotes Gewölk mit weißglizernden Rändern stieg über den Vogesen empor. Wo der Florimont seinen runden Rücken über die Waldberge in die Höhe krümmte, quollen dick wanstige Untiere über den Saum des Himmels und wälzten fich ins Tal.
1905
,, Heiliger Sankt Florian, heb die Hand auf, das gibt ein Mordswetter, wenn's der Hohnack nicht stellt," antwortete Daniel.
Er hatte den Heiligen gegen Feuersgefahr kaum angerufen, wie er's gewohnt war und ohne weiter nachzudenken, so biß er sich auf die Zunge. Ein Gedanke fraß ihm am Herzen. Wenn einer von den Blizen dort oben zündete! Aber schon packte ihn die Angst um Leut und Vieh, und er trieb zur Eile.
Die Wolfen hockten in einem schwarzen Klumpen auf den Bergen und saugten alle Dünste an sich, so daß die Sonne wieder hervorkam, aber sie war blutig gefärbt. Und als würde fie angezogen von dem Wolkenpfuhl, den gähnenden Rachen und tastend nach ihr langenden Fangarmen, die aus dem Knäuel aufwuchsen, sant sie erst langsam, dann schnell und schneller den Bergen zu.
Die Schwüle brannte auf den Backen, Pflaster, Mauern und Dächer glühten, fein Hauch in der Luft, tot und regungslos alles, nur die nervösen Blätter der Pappeln am schwarzen Kanalwasser flirrten, und aus den Wolfenleibern kam ein unheimliches Grunzen, das lief durch die Täler und verlor sich über der Stadt. Es war, als freuten sich die Untiere dort oben mit den gierig sich blähenden Kröpfen über die feiste Beute, die blutige Sonne, die immer größer und glänzender anschwoll, immer schneller den aufgesperrten Rachen fich näherte.
Als Daniel mit Floflo in der leeren Postkutsche saß, liefen die Gäule mit schaudernden Flanken vor dem gelben Kasten, und der alte Postillon, der sonst schlaftrunken mit dem Kopfe wackelte, hielt sie heute fest in den Zügeln. So ging's zwischen den Reben hin in die Gewitternacht hinein. Gerade waren sie im Trab durch Ingersheim gefahren, da wurde die Sonne von den Wolken verschlungen, und zugleich rissen sich die schwarzen Ungetüme von dem Gipfel des Hohnack los, fielen brüllend übereinander her und wälzten sich über die Berge ins Tal.
Floflo drückte sich an den Vater. Mit glänzenden Augen starrte sie in das Wetter. Hin und her schleuderten die geängstigten Gäule den schweren Wagen.
lang."
Daniel legte den Arm um das Kind.
„ Nur keine Angst, Maidle, strenge Wetter regieren nicht
Er fühlte trotz der Erschütterung der Postkutsche ihr Herz klopfen. Der Doktor hatte ein bedenkliches Gesicht gemacht und wollte wissen, ob er oder seine Frau mit dem Herzen zu schaffen hatten. Da hatte er ihm sagen müssen, daß es ein angenommenes Kind sei.
„ Das ist etwas anderes!" erwiderte der Arzt, und als. ob er nun den Vater weniger schonen müßte, hatte er brutal gesagt:
Wenn Ihr es noch eine Zeitlang behalten wollt, so müßt Ihr Sorg haben zu ihm. Und auf dem Florimont erst recht. Da schafft das Herz noch geschwinder als sonst."
Der Florimont!
Daniel preßte Floflo noch fester an sich und hob es auf den Schoß, als ein greller Blik um die Hügel zischte und ein Krach und ein Schlag in die Reben fuhr, daß die Fenster klirrten. Und dann brauste eine Staubwolfe an ihnen vorüber, wild sich überstürzend auf der weißen, vom schwefligen Licht geisterhaft erhellten Chaussee.
Die Poſtgäule waren in einen Geißengalopp gefallen, der dem alten Männlein auf dem Kutschbock die Zügel fast aus den Händen drehte. Wieder ein Blizz. Purpurblau, kugelig geballt, platte er mit einem Knall links oben im Rebberg, kein Donner danach, nur trockenes Splittern und Brechen der getroffenen Rebpfähle, und mit einem Ruck standen die Gäule wie festgewurzelt. Der Schaum lief ihnen aus dem Maul. Ihre Flanken schlugen, und ein Windwirbel riß sie an den Mähnen, fuhr ins Kabriolett und sprang durch die berftenden Scheiben ins Innere und zu dem Wagenfenster wieder hinaus.
Mit einem leisen Schrei verbarg Floflo den Kopf an Daniels Brust. Es war ganz dunkel geworden, der Himmel versunken, schwarze Wolfenherden jagten stöhnend in die Ebene hinaus. Auf Daniels Stirn stand der helle Schweiß, und erstickend quollen immer neue Ströme backofenheißer Luft in den