Zlnterhaltungsblatl des VorwärtsNr. 178.Mittwoch, den 13. September.1905(Nachdruck verboten.)23]Daniel Junt.Roman von Hermann Stegemann.Es ging auf den Abend. Die Ferme legte sich langsamdie Schatten um, die von der Nacht aus dem Tal herauf-gebracht wurden. Graue Flöre hiitgeu in den Schluchten, dieDämmerung lief über die Weiden. Das Vieh war gemolkenund wieder hinausgetrieben worden. In der Küche war ab-gegessen, der Melker schlurfte in die Kammer, der Schple hocktenoch eine Weile auf dem Hackblock im Hof und rieb sich denBuckel an der Stallwand. Drinnen schnaubte der Joli.Floflo huschte die Treppe hinauf, und als die Magd ihmnachrief, antwortete das Kind:„Warte, Catherine, ich muß dem Vater noch Gut Nachtsagen." Und es flog unhörbar, wie eine Fledermaus, durchden dunklen, winkligen Gang und klinkte die Tür auf.„Wer ist da?"Daniel warf die Lade zu und steckte die Patrone in denSack der Jacke. Vor ihm lag das„Journal de Colmar", dasder Bote im Sommer alle zwei Tage auf den Berg brachte.„Ich bin's, Vatterle."Sie schmiegte sich an ihn, hüpfte auf einmal zu ihm aufund preßte ihm die Lippen auf den Schnurrbart.„Du Grashüpfer," murmelte er halb spöttisch, halb zärt-lich. Die Berührung ihrer weichen Lippen war ihm ins Blutgegangen.Als sie schon wieder an der Tür war, rief er sie zurück.„Denkst Du noch an den L6on?"Sie nickte und drückte ihre Backe an die seine.„Und Madame Berthe?"Da antwortete das Kind mit leiser Stimme:„Die Catherine, die hat's mir gesagt, das ist jetzt unsere"— Sie brachte das Wort nicht über die Lippen. Er hörte ihrHerz hämmern.„Eure Mutter," sprach er statt ihrer, kurz und bestimmt.Flo zuckte zusammen und wich von ihm zurück.„Halt, Florence," er faßte sie am Arm,„sie ersetzt Deineerste Mutter. Verstehst Du?"„Ich will keine andere," preßte das Kind noch leise hervor.„Du willst nicht! Langsam, langsam, aber ich will, undwenn ich will, mutzt Du auch wollen."Er faßte ihren Arm fester, als er wußte.Floflo stieß einen einzigen kleinen Schrei aus, einenheiseren, klagenden Ton, wie damals, als die Louise Prajö inNöten lag und das Kind dem Schlitten in die Quere lief.„Geh schlafen," sagte Daniel rauh und ließ sie los.Aber sie blieb stehen, zitternd, blaß, rote Striemen liefenum ihr Handgelenk.„Marsch, ins Bett," wiederholte er. Das Blut brausteihm in den Ohren, er fegte mit der Hand über das Journal,als könnte er etwas vom Papier wischen, das ihm in die Augenbrannte.Endlich gehorchten Florence die Füße. An der Türzauderte sie, schluckte und sagte dann mit einem um Verzeihungbittenden Stimnichen, als wäre es ihr furchtbar leid, daß sienicht anders konnte, daß sie keine zweite Mutter wollte:„Gut Nacht, Vatterle."Daniel bewegte sich nicht, ein Luftzug, die Tür klappte,er war allein.Er hörte die Magd mit dem Kinde reden und wie sie ihn?das Bett zurecht klopfte! dann klapperte sie noch eine Stundein der Küche. Jetzt stand er auf und ging hinunter.„Mach, daß Du ins Nest kommst," sagte er im Vorbei-gehen und trat unter die Tür.Die Nacht war dunstig, ein warmer Wind kam in Stößenüber die Berge, am Himmel war ein Laufen von hellenWolken, durch die der Mond seine volle Scheibe trieb.Die Catherine blieb mit dem Kerzenstock in der Handauf der Treppe stehen. Sie wäre gern noch um den Danielgewesen. Sie hatte ihn allein, seit die anderen alle fort waren.Sie schaffte jetzt allein für ihn, und wenn sie kochte und wischteund bettete und melkte� immer gingen ihre Augen nach ihm.Er achtete nicht darauf.„Gut Nacht, Herr Daniel," sagte die Catherine.Er kehrte sich nicht um.„Gut Nacht."Sie tappte die Stiege hinauf. So hatte sie ihn schon oftstehen sehen, wenn sie schlafen ging. Er ließ dann den Bellain den Hof, schloß die Türe, und alles war still. Das warder Lauf auf dem Florimont.Nun war ihr Tritt oben verhallt.Daniel stand und sah immer noch unverwandt in die Nacht.In der Ferme Hirth erlosch das Licht, das Brausen des Wassersklang lauter aus dem Schlatten, der Laufbrunnen gurgelteam Straßenbord, eine Kuhglocke schlug an, ein einzelner Tonirrte klagend über die Bergweide. In der Wirtsstube hobrasselird die Gewichtuhr aus und schlug elf. Daniel zählte dieSchläge, sie tropften, der letzte schwirrte langsam imch, die Gewichte hingen auf die Dielen. Er hatte die Hände m denHosentaschen vergraben und stand unbeweglich, fest auf beidenBeinen ruhend. Sein Hals war trocken, sonst war er wieimmer.Als es auf Mitternacht ging, wandte er sich und zog dieSchuhe von den Füßen. Ein warmer Wind hauchte ihm mden Nacken und ging hinter ihm drein die Stiege hinauf. Unddoch hatte er die Türe ins Schloß gedrückt.Im Bureau zündete er eine Kerze an und setzte sich anden Schreibtisch. Den Kopf in die Hände gestützt, starrte erauf die Zeitung. Da stand von dem Stauweiher zu lesen.Der Bau war beschlossen. Im Frühjahr begannen die Erd-arbeiten, und da unten war eine Notiz, die meldete, daß dieGemeinde La Motte die sogenannte Kälbermatte, ein StückWeidland am Herrenwald, verkaufen wolle. Man sage, essei eine Sozietät Liebhaber für den Grund, die ein Hotel darauferrichten wolle.Die Kerze tropfte im Wind, der vom Fenster herkam.Daniel erhob sich.Er nahm eine Patrone aus dem Sack, riß sie ans undstreute das Pulver über die Zeitung. Die Hülse steckte erwieder ein, die Kugel flog zum Fenster hinaus. Dann ballteer das Journal zusammen, nahm es und stieg mit der Kerzedie Treppe hinab. Alles war still, nur die Dieleu knarrten.Er ging so sicher und unbewegten Gesichts wie ein Nacht-Wandler.Als er den' schmalen Gang zur Küche durchschritt, knackteiin Oberstock eine Türe. Der trockene Ton drang an sein Ohr.Einen Augenblick zögerte er, dann krampfte sich seine Faustnoch fester um den kupfernen Lichtstock, und er ging weiter.In der Küche hüpften gelbe Lichter und schwarze Schattenvor ihm her. Der Zug im Kamin war offen. Die Kerzen-flamme wies mit spitzer Zunge darauf hin. Daniel schob daszerknüllte Papier in den Sack, nahm die Petrolkanne vomKüchenherd und stieß die niedere Tür zum Verschlag auf, wodie Erdäpfel lagen. Da war auch das Reisig, waren Scheit-holz, gelbe Hobelspäne und braune Lohkäse geschichtet, Zwiebel-kränze und alte Körbe hingen an den Wänden des engen, wieein Kamin in den Oberstock ziehenden Gelasses. Daniel ließdas Petrol über die Späne und die dürre, gepreßte Eichen-rinde laufen. Dann steckte er das mit Pulver gefüllte Zeitungs»Papier mitten hinein.Nun war er fertig.Sein Schatten fegte an den Wänden hin im Schein desgaukelnden Lichtes. Er hielt den Leuchter in die Höhe undsah sich uin.„Mein Sach ist's, die ich verbrenn," murmelte er undstieß die Kerze heftig in die Späne. Mit einem PuffendenGeräusch fing das Papier Feuer.Er lehnte die Tür locker auf die Falle und verließ dieKüche. Hinter ihni zischte es, ein Knistern und Flimmern riefihm nach, aber bald erreichte ihn nichts mehr von dem ge-schäftigen Wesen.Ans der Stiege blies er das Licht aus. Er stieg schwer-fällig hinauf, die Füße waren ihm wie Blei, schwer und gefiihl-los. In seiner Schlafkammer warf er Jacke und Weste abund setzte sich auf das Bett. Er war im Dunkeln. Nur derfliehende Mond geisterte zuweilen durch die Wolken herunter.Nebenan schlief Florence. Ueber ihm in der DachkammerCatherine, im Schopf über dem angebauten Stall der Sepple