Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 179.

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Daniel Junt.

Donnerstag, den 14. September.

( Nachdruck verboten.)

Roman von Hermann Stegemann  . Der rechte Flügel des Bergwirtshauses brannte lichterloh, und ein Wirbel glühenden Rauchs drehte sich über dem grünen Dach. Die Fenster des Tanzfaales lagen noch dunkel, nur der Widerschein spiegelte sich in den Scheiben, daß sie aufglänzten, wie verstört blickende Augen.

Aus der Ferme Hirth, der Ferme Kalblin und der großen Käserei Hüß kam die erste Hülfe. Vom Laufbrunnen bildeten fie eine Stette und schwenkten die Melkeimer, aber die Glut fraß das Wasser und spie es als Dampf wieder aus.

Jetzt sprang die Flamme auf den Stall. Schreiend stoben die Hühner aus den Luken, eines flatterte blind mitten in die Brunst.

Da warf Daniel plötzlich den Eimer beiseite. Seine Schriften! Seine Papiere, Geld und Wertpapiere! Er hatte sie vergessen. Und mit einem Sak sprang er über die Schwelle und hinein in den Funkenregen. Sein weißes Hemd glänzte einen Augenblick im roten Qualm, dann war er hinweg. Daniel!"

Ein Weib schrie den Namen gellend in das Gebrause der Brunst und das Lärmen der Helfer und rannte auf die Tür zu, aus der der braune Schwaden quoll.

He, Madame Hirth, Ihr wollt doch nicht!" Sie rissen sie zurück. Totenblaß und stumm starrte die schöne Lalie auf die Feuerstätte und zu den Saalfenstern hin­auf. Da huschte eine schmächtige, weiße Gestalt zwischen den Männern hindurch und verschwand im Flur.

" Haltet sie, haltet fie," jammerte die Catherine und taumelte dem Kind nach, brach in die Kniee und schrie und schluchzte zum Erbarmen. Wirr rannten die Männer durch

einander.

Im selben Augenblick splittert oben ein Fenster und Daniel Junt gleitet an den Jalousieläden herab, ein Sprung, er strauchelt, fällt und schnellt wieder in die Höhe.

Da schreit ihm die Magd entgegen:

" Ich kann nichts dafür, es ist mir aus den Händen ge­schlüpft, sie ist drin, sie ist Euch nach."

Er ahnte mehr, als er verstand, ließ Schriften und Geld­fasten fallen:

" Da, heb's auf," riß sich los von der Fermière, die sich an ihn hing, schleuderte die anderen beiseite und sprang mit angehaltenem tem zurück ins Haus. Dicht hinter der Tür, am Fuß der Treppe stolperte er über etwas Weiches. Er griff danach. Er wollte sie aufheben, da fühlte er. wie ihm die Kraft aus den Armen schwand und ein glühender Hauch das Haar sträubte.

,, Gib mir das Kind, Daniel!" Eine bebende Frauenstimme. Nein!"

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,, Daniel, jetzt ist schon alles andere eins. Gib's mir. Es vergeht Dir in den Armen."

Da gab er der Eulalie Hirth das schmächtige Kind, und sie schlug ihren Oberrock um die nackten Glieder und trug es im Schoße davon wie eine Katze.

,, Und jetzt ist's an uns, Buben! Wer tanzt mit mir im Daniel seinem Saal heut nacht die Pfingsttilbe?"

Das war der Xavier von der Ferme Kalblin, dem er da­mals die Flinte auf die Rippen gesetzt hatte. Sie hatten Leitern herbeigeschafft und rannten jauchzend die Sprossen hin­an. Die Scheiben krachten und klirrten, in den dunklen, nur vom Fladerschein der nebenan wütenden Brunst erfüllten Saat sprangen sie, und die Eimer flogen in die Glut, die den rechten Flügel des Hauses ausgezehrt hatte.

Und da klang in der Ferne eine helle Glocke, schrill und laut, ein Fackellicht wehte durch die Nacht, tutende Hörner und stampfende Hufe, die Feuersprige von der großen welschen Marcarie de la Belbrioche jagte über den Berg und die neue Grenze und raffelte vor das brennende Haus.

Die Trompete schmetterte und im Hui waren die Gäule abgesträngt, die Schläuche gelegt bis zum Quellbach im Grund, und gurgelnd, zischend, knatternd sprang der Strahl aus dem gelben Rohr.

Und all das brach so auf eins herein, daß von dem Augen­blick an, da Daniel zum ersten Mal ins brennende Haus gestürzt war, noch keine Minute vergangen schien.

,, Herr Daniel, jetzt ist alles gut," schluchzte die Catherine an seiner Seite.

Es war ein Augenblick der Erstarrung gewesen, er stand noch dort, wo ihm die Lalie das Kind abgenommen hatte. Seine Zähne waren aufeinandergeschmiedet, ein Krampf saß in seinen Kiefern, mit starren Augen blickte er in die wilde Glut, die schwelend zusammenfant, vom Wind nach Osten ge weht, daß die Käshütte verschont blieb.

Auf einmal löfte sich der Krampf, er stöhnte wild, wandte sich und schaute hinunter, über den massigen Wald hinweg, der schwarz aus der Nacht stach in der zuckenden Brunst, hob lang­jam die geballte Faust und schüttelte sie in der Richtung, wo in der Senkung vergraben La Motte schlief, und röchelte: Die sind's schuld, und' s hat müssen sein. Und wenn ich dran krepier!"

Jezt wußte er auf einmal wieder, daß der Brand gelegt war, daß er ihn gelegt hatte. Laßt brennen, wollte er den Nachbarn zurufen, aber er brachte nichts mehr über die Lippen, sein Hirn war wie ausgeräumt, als hätte ihm das Feuer alles ausgefressen da drinnen, als wäre das der letzte Funken ge­wesen, den er nach La Motte hinabgeschleudert hatte. ,, Und wenn ich dran krepier!"

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Ein Funkenschwarm um ihn her, die Flammen schossen die Stiege herab. Glocken. donnernde Glocken läuteten in In der Ferme Hirth war Florence mit Oel   gesalbt und seinem Hirn, die Beine schmolzen unter ihm weg. Aber noch ins Bett der Fermière gelegt worden. An den Beinen und einmal zwang er den Leib zu einem letzten Dienst und troch an der Brust hatte das Kind schwere Brandwunden. Der Arzt wie ein Tier, das Kind, das die Arme krampfhaft um seinen fam am andern Morgen von Kaysersberg   herauf und sagte zur Hals geschlagen hatte, mit sich schleppend, zur Türe. Hinter Lalie: ihnen stürzte die Treppe, das Dach des Stalles krachte zu- ,, Wüst sieht's aus, aber zum Sterben ist das nicht. Wenn sammen, ein wilder Schwarm feurigen Hafers stieg singend in nur mehr Leben in dem Kind wäre!" die Luft. Daniel fühlte die steinerne Schwelle unter den Er horchte an ihm herum und rieb sich immer wieder das Händen, ein Atemzug drang in die versengte Qunge." Nun- stachliche Rinn. dedie" röchelte er trokig, warf Arme und Beine um den nackten, im zerfetzten Hemd an ihm hangenden Kinderleib und wälzte fich über die Vortreppe hinab, hinaus ins Freie.

Ein Jauchzer aus rauhen Kehlen übertönte die Feuers­brunst. Und ehe die Melfer noch bei ihm waren, raffte sich der Daniel in die Höhe. Das Hemd hing ihm brandig zerfetzt um die Schultern, das Haar war versengt, ein blutiger Schmarren lief über die weiße Schulter und färbte die behaarte Bruft.

" Floflo!"

Herr Doftor, sagen Sie mir die Wahrheit," bat die Lalie. Da stieß er mit den Fingern die Brille fester auf die Nase und antwortete:

,, Die Erschütterung war zu groß. Es hat ein heillos aber laßt den schwaches Herz. Man tut, was man fann- Bater holen."

" Jesus Maria," hauchte die Frau und sandte einen mif­leidigen angstvollen Blick zu dem teilnahmlos daliegenden Kind.

Sie flüsterten an der Türe, nebenan im großen Käsraum

Er wühlte das Gesicht in das lockige Haar und taumelte wurde gefäst, der scharfe Geruch drang durch alle Rizen. weiter über das Sträßlein zum Brunnen hin.

,, Vatterle, liebs Batterle!"

Es war ein Hauch gewesen, er hatte ihn mehr geträumt

als gehört.

,, Das entscheidet sich bald, man muß das Herz anblasen wie ein Feuer, versteht Ihr, Madame Hirth?"

Er fah mit Wohlgefallen auf das stattliche Weib, dessen volle Bruft sich fessellos hob und senkte.