Mnterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 180. Freitag, den 15. September. 1905 25] Daniel?unt. (Nachdruck verboten.) Roman von Hermann Stegemann . Daniel kam zu spät, der Arzt war schon wieder gegangen. Eulalie zog ihn beiseite unter den Schopf, wo das Brennholz lag, und flüsterte: „Daniel, ich kann's Dir nicht versparen, es steht schlecht um Florence." „Schlecht?" Daniel krampfte die Fäuste um den kalten Flintenlauf. „Es Hab' ein schwaches Herz." „Ein schwaches Herz, ja, das hat schon einer gesagt," murmelte er und starrte blicklos über die Matte. Wüst war ihm im Kopf, ein Zucken hob seinen Schnurrbart, daß die Zähne hervorblitzten. „Schau, Daniel"— sie atmete schneller, und ihre Augen hatten wieder den verlangenden Blick—„es ist wegen Dir ins Feuer gerannt, das Kind, komm zu ihm. Wegen Dir ins Feuer, Daniel!" Ihre Lippen brannten, sie tastete nach seinem Arm. Seine Augen hatten den Blick wiedergefunden. Er ließ den Gewehr- kolben auf den Boden gleiten und streckte die Hand aus. „Da, lug hin, da kommen die La Motter!" Drüben auf dem Sträßlein kam ein Trupp Männer und Weiber. Ein paar halbwüchsige Buben rannten vor ihnen her auf die Brandstätte zu. Ein wilder Triumph klang aus Daniels Worten. In seinem fahlen Geficht flammten die düstern Augen, er atmete stark und lüftete unwillkürlich die Jacke über dem ver- sengten Hemd. Ihre heiße Hand, die leise auf seine Finger herab ge- glitten war, weckte ihn. „Ich geh zum Kind," sagte er rauh und ging vor ihr her, ohne sich um sie zu kümmern, ins Haus und in ihre Kammer. Er kannte den Weg. Floflo schien zu schlafen. Leise stellte er die Flinte in eine Ecke und trat zu ihr an das breite Bett, in dem sie fast verschwand. Ihre Wimpern malten breite, schwarze Schatten auf die blassen Backen, durch den geöffneten Mund schlürfte sie hastig, wie ein verängstigtes Vögelchen, den Atem, der das Leintuch über der Brust in Bewegung setzte. »Flo, Floflo, Grashupferle," flüsterte Daniel, und seine Stimme hatte einen zärtlichen Klang. Er bückte sich tief auf das kranke Kind. Da schlug Floflo die schwarzen Augen auf und lächelte, versuchte zu lächeln. Auf einmal aber lief ein wilder Ausdruck des Schreckens über ihr Gesicht. Er hörte ihr Herz klopften, schnelle, krampfhafte Schläge, die durch den Ver- band drangen. „Vatterle, wenn sie Dich plagen! Vatterle, bleib da, Batterie!" Ihre verbundenen Hände tappten über die Decke, sie wollte sich aufrichten. „Lieg still, Floflo," beruhigte er sie, aber dann fragte er leise: „Wer soll mich Plagen, Du Närrle?" „Die Erdwibele, die Schratzen, sie hocken einem auf die Bmst. Sie haben mich auch geplagt. Bleib bei mir, fort, jag sie fort." Erschöpft brach sie ab. Aber ihre Augen hingen flehend an seinem Gesicht. „Das sind Dummheiten, Floflo, sie tun Dir nichts und mir nichts." Das Kind schwieg eine Weile. Plötzlich verlangte es nach seinem Ohr. Er merkte, wie es um sich blickte, ob niemand da sei, und dann sein Ohr näher, ganz nahe an feinem Gesicht haben wollte. Er tat ihm den Willen. Da flüsterte Floflo ihm zu: '„Vater, wo bist Du gewesen in der Nacht, weißt, wo Du die Stiege hinunter bist auf den Strümpfen?" Ein Schlag fuhr durch seinen Leib, das Blut schoß ihm in die Schläfen. „Wer? Ich? Was rodest Du da?" „Ich Hab als nicht schlafen können. And da Hab ich gemeint. Du tätest noch einmal zu mir kommen. Und wo ich gehört Hab, daß Du in der Kammer bist, bin ich aus dem Bett geschlüpft und an die Tür. Aber Du bist schon die Stiege ab, mit der Kerze in der Hand." Er hatte sich gefaßt. „Warum hätt ich noch einmal sollen zu Dir kommen?" fragte er, um ihre Aufmerkfamkeit abzulenken. Da seufzte Floflo, hob den Kopf, daß ihre Gesichter sich berührten und stammelte: „Weil— weil Du so bös mit mir gewesen bist, wegen dem, daß ich Madame Berthe nicht mag." Der Arm, den er auf den Bettrand gestützt hatte, zitterte heftig. „Bös? Ich bin wegen dem nicht bös auf Dich, Floflo, gewiß nicht." Nun lächelte Florence wirklich, aber dann wurde sie wieder ernst, und über ihr Gesicht wischte ein unsichtbarer Finger, daß die Nase spitz aus bläulichen Schatten stach. Sie wollte noch etwas fagen, fragen, so schien es Daniel. Draußen wurden Stimmen laut, schwere Tritte, ein Knöchel schlug an die Tür. Das Kind zuckte zusammen und begann zu wiinmern. „Vatterle, tun sie Dir ebbes?" stieß es hervor, Todesangst in den feuchten großen Augen. Er sah sein Gesicht in den dunkeln Sternen und preßte die Lippen auf ihren heißen Mund. „Mir tut niemand nichts zu leid, dumme Krott, schweig nur und schlaf," antwortete er ruhig, und ein trotziges Lächeln lief über sein Gesicht. Eulalia steckte den Kopf herein. „Daniel, der Maire verlangt nach Dir." Noch einmal strich er dem Kind über das schweißfeuchte Haar, dann ging er hinaus. Floflos Augen hafteten an ihm, bis die Tür zufiel. Als die Fermidre ans Bett trat, begann es sich zu werfen vor Atemnot , und die Lider flirrten wie Schmetterlingsflügel auf und nieder. In der Kässtube wartete der Bürgermeister, aber rings war Schüren und Schaffen, und die Männer sahen, daß sie nicht zum Reden kommen konnten. Sie gingen hinaus und schlugen den Weg zur Brandstätte ein. Nach einem kargen„Guten Tag!" waren sie schweigsam nebeneinander her geschritten. Der Wiesbauer zerbiß einen Grasstengel zwischen den Zähnen. In seinen hellen, blauen Augen, die in dem silbernen Zwielicht blinzelten, war ein heim- liches Forschen. Daniel ging kalten Blutes neben ihm her. Auf der Brandstätt standen die andern in Gruppen, und die Catherine hatte Mühe, den Weibern und Kindern zu wehren, die nach Fundstiicken umherstrichen. Als der Maire mit dem Daniel auf den Hof kam, steckten sie die Köpfe zusammen. Der Maire blieb stehen und lüftete den runden Filzhut, kratzte sich in dem ge- schorenen, graugesprenkelten Haar und sah sich suchend um. Er war schon oben gewesen und war überall herumgekrochen. An seinen Schuhen schleifte er Asche und verkohltes Holz mit, Daniel war es nicht entgangen. „Die Hütte steht noch," sagte Daniel und schritt voraus. Die Catherine hatte Zieger geprügelt in einer alten Pfanne über dem offenen Herd, der in der Ecke aufgemauert war. Jetzt sang der Kaffeehafen in der heißen Asche. Ilm Tisch, wo sonst die Melker den Käs wuschen, rückte Daniel die Bank zum sitzen. Der Maire blieb stehen. „Der Beisitzer ist um den Weg. Warten wir noch," sagte er und sah an Daniel vorüber, als wollte er ihm sein Äuge nicht zeigen. „Der Storkenhans? Braucht's den auch dazu?" fragte Daniel.„Deklariert ist's geschwind, was die Brunst gerichtet hat. Es greift's ein Blinder." „Der Beisitzer soll dabei sein. So ist das Reglement. Und die Deklaratimi gehört zur Kanzlei." Jetzt blickten sie sich an. Der Maire stand vor- geneigt, den Kopf zwischen die breiten Schultern zurückgezogen, die Hände auf dem Rücken. Daniel hatte die Fäuste in den Taschen der Jacke vergraben. „Gut, so warten wir halt," sagte Junt. Einen Augenblick standen sie sich noch gegenüber, dann ging der Bürgermeister an den Tisch und setzte sich,
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22 (15.9.1905) 180
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