Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 186.
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Sonntag, den 24. September.
( Nachdrud verboten.)
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1905
ohne Energie. Kann doch nicht jeden Tag die Leute langweilen und... Man scheint dort von mir gar nicht erbaut zu sein."
Und so lange er nach Hause ging, sich ins Bett legte und einschlief, glaubte er, daß es ihm feine Schwierigkeit machen würde, sein Wort zu halten. Aber die Nacht verging, langsam und verdrießlich schleppte sich der Tag hin, der Abend brach an, und wiederum zog es ihn krankhaft und unwiderstehlich diesen ruhigen und fröhlichen Leuten und namentlich zu dem in jenes reine, helle Haus, in jene gemütlichen Zimmer, zu füßen Bauber der Schönheit, des Liebreizes und der Koketterie des Weibes.
In seinem Verstande erschien ihm dieser Entschluß fest, aber irgendwo, tief verborgen in seiner Seele, regte sich, allerEinzig autorisierte Uebersetzung von Adolf Heẞ. dings fast ohne in sein Bewußtsein zu dringen, die UeberHainan war von Herkunft ein Tscheremisse, der Religion während der letzte drei Monate dennoch zu Nikolajews gehen zeugung, daß er heute wie gestern und wie fast jeden Tag nach ein Gözenanbeter. Dieser letzte Umstand schmeichelte würde. Jeden Tag, wenn er um zwölf Uhr nachts von ihnen aus irgendeinem Grunde Romafchow. Im Regiment war ging, gab er sich voll Scham und Erregung über seine Charakterunter den jungen Offizieren die ziemlich naive, findliche, losigkeit das Ehrenwort, eine oder zwei Wochen verstreichen lächerliche Gewohnheit verbreitet, den Burschen allerhand zu lassen, oder seine Besuche bei ihnen gänzlich einzustellen. wüste, ungewöhnliche Dinge beizubringen. Wetkin zum Beispiel fragte, wenn seine Kameraden bei ihm zum Besuch kamen, gewöhnlich seinen Burschen, einen Moldauer:„ Na, Buseskul, haben wir noch Champagner im Keller?" Buseskul antwortete darauf vollständig ernst: Nein, Herr Leutnant haben gestern das letzte Dußend ausgetrunken." Ein anderer Offizier, Unterleutnant Epifanow, liebte es, seinem Burschen sehr weise, ihm selbst schwerlich verständliche Fragen vorzulegen. Wie ist Deine Meinung, mein Lieber," fragte er, über die er ,,, über Wiederherstellung des monarchischen Prinzips im gegenwärtigen Frankreich ?" Und der Bursche erwiderte ohne zu er sah noch gut sein ganzes Zimmer. Ach! Wie langweilig Romaschow saß auf dem Bette. Es wurde dunkel, aber blinzeln: Sehr wohl, Herr Leutnant, das geht sehr gut."- Leutnant Bobetinski hatte seinem Burschen den Katechismus stände seiner„ Einrichtung" zu betrachten. Die Lampe mit war es doch, jeden Tag dieselben wenigen, dürftigen Gegenbeigebracht, und nun antwortete der Bursche auf die sonder- rosa Schirm auf dem Schreibtisch neben der runden, schnell barsten, zusammenhanglosesten Fragen stets:" Was gibt oder tidenden Weckuhr und dem Tintenfaß in Mopsgestalt; an nüzet dieses?"" Dieses gibt oder nützet nichts," oder: der Wand beim Bette eine Filzdecke mit einem Tiger und Welche Meinung heget hierüber die heilige Kirche?" ,, Die heilige Kirche heget hierüber keine Meinung." Derselbe Bursche deklamierte auch mit abgeschmact tragischen Gesten Bursche deklamierte auch mit abgeschmackt tragischen Gesten den Monolog des Pimen aus Boris Godunow. Ferner war die Sitte verbreitet, die Burschen französisch sprechen zu lassen: Bonschur, Mussjeh, bonne Nuit , Mussieh, wuleh wu dü Tee, Mussieh" und alle diese Albernheiten waren die Folgen der Langeweile, der Beschränktheit eines vollständig abgeschlossenen Lebens und des Fehlens jeglicher anderer Interessen außer den dienstlichen.
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einem reitenden Neger mit einer Lanze; eine gebrechliche Etagere mit Büchern in der einen Ecke; in der anderen der sonderbare Umriß eines Violoncellfutterals; über dem einzigen. Fenster ein aufgerollter Strohvorhang. Neben der Tür ein Bettuch, daß das Kleidergestell bedeckte. Jeder ledige Offizier, jeder Fähnrich besaß unausbleiblich ebendiese Gegenstände, mit Ausnahme des Violoncells; Romaschow hatte es dem Regimentsorchester entnommen, wo es gar nicht gebraucht wurde, hatte dann aber nicht einmal die Tonleiter gelernt und die Musik vor einem Jahr wieder aufgegeben.
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fümmerlichen Dinge faufte!
Romaschow fragte Hainan oft nach seinen Göttern, von denen der Tscheremisse selbst eine ziemlich dunkle und kümmerVor etwas über einem Jahr hatte Romaschow, der eben liche Vorstellung hatte, und fragte ihn besonders, wie er den erst die Kriegsschule verlassen, sich mit Genuß und Stolz diese Treueid für Thron und Vaterland geleistet hätte. Diese Eides- alten Dinge angeschafft und fich eingerichtet. Eine eigene leistung war wirklich in sehr origineller Weise vor sich ge- Wohnung, eigene Sachen, die Möglichkeit, sich etwas zu kaufen, gangen. Während die Eides formel für die rechtgläubigen nach eigener Wahl auszusuchen, sich nach seinem Geschmack alles das erfüllte den zwanzigjährigen Russen der Pope vorsprach, für die Katholiken ein römisch- einzurichten katholischer Geistlicher, für die Juden ein Rabbiner, für Jungen, der gestern noch auf der Schulbant gesessen hatte die Protestanten in Vertretung eines Pastors Stabs- und mit den Kameraden in Kolonne zum Tee und Frühstück hauptmann Diez und für die Mohammedaner Beutnant gegangen war, mit selbstsüchtigem Entzücken. Welche HoffBek- Agamalow- wurde mit Hainan ganz anders verfahren. nungen und Entwürfe hatten ihn erfüllt, als er sich diese Der Regimentsadjutant reichte ihm und zwei Landsleuten und Glaubensgenossen der Reihe nach ein Stück Brot mit Salz auf der Säbelklinge; dann nahmen die Leute das Brot, ohne es mit den Händen anzufassen, in den Mund und aßen es sofort auf. Die symbolische Bedeutung dieser Zeremonie war wohl folgende: Ich habe Brot und Salz im Dienste des neuen Herrn gegessen nun soll mich das Eisen strafen, wenn ich untreu bin. Hainan war augenscheinlich auf diese ganz besondere Zeremonie sehr stolz und erinnerte sich ihrer mit Vorliebe. Und da er bei jedem Mal seiner Erzählung immer neue und wieder neue Einzelheiten hinzufügte, so tam schließ lich eine ganz phantastische, unglaublich abgeschmackte und in der Tat lächerliche Geschichte heraus, die Romaschow und den Offizieren, die ihn besuchten, viel Ergözzen bereitete.
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Hainan glaubte auch jetzt, der Leutnant würde alsbald die übliche Unterhaltung über seine Götter und seinen Eid mit ihm beginnen, und blieb deshalb mit schlauem Lächeln erwartungsvoll stehen. Nomaschow aber sagte träge: Nun gut... Geh..
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Soll ich Dir den neuen Rock hinlegen, Herr Leutnant?" fragte Hainan bekümmert.
Romaschow schwieg und zauderte. Er wollte sagen- ja, dann nein, dann wieder ja. Er seufzte tief nach Kinderart in Abfäßen und erwiderte verdrießlich:
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Nein, laß das, Hainàn... Wozu denn. Laß sie Laufen.. Bring' den Samowar, Freund, und dann lauf ins Kasino und hol das Abendessen.
Seut geh ich sicher nicht hin," dachte er hartnäckig, aber
Welch strengen Lebensplan hatte er sich vorgezeichnet. Die ersten zwei Jahre- gründ liche Bekanntschaft mit den Klassikern, systematische Erlernung der französischen und deutschen Sprache, Beschäftigung mit Musik. Im letzten Jahre Vorbereitung zur Akademie. Es war auch unbedingt nötig, das öffentliche Leben, Literatur und Wissenschaft zu verfolgen; deswegen abonnierte Romaschot auf eine Zeitung und auf ein monatlich erscheinendes Journal. Zum Selbststudium schaffte er sich die Psychologie von Wundt , die Physiologie von Lewis und die Self- help " von Smiles an.
Und nun lagen die Bücher schon dreiviertel Jahr auf dem Bort, und Heinàn vergaß den Staub abzuwischen; die Zeitungen trieben sich noch im Streifband unter dem Schreib tisch herum, das Journal wurde nicht mehr gesandt, weil der Abonnementspreis nicht bezahlt war; Unterleutnant Roma schon selbst aber trank im Kasino viel Wodka, hatte schon lange ein schmußiges, langweiliges Verhältnis mit einer Regimentsdame, mit der er den schwindsüchtigen und eifersüchtigen Gatten betrog, spielte Stoß" und fühlte sich immer mehr bedrückt, sowohl durch den Dienst wie durch die Kameraden und fein eigenes Leben.
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,, Entschuldigen, Herr Leutnant!" schrie der plöglich ge räuschvoll vom Flur hereinstürmende Bursche; dann begann er aber sofort in ganz anderem, einfachem, gutmütigem Tone: „ Hab' vergessen zu sagen. Ist ein Brief von Frau Peterson gekommen. Der Bursche hat ihn gebracht; foll Antwort schicken."