Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 187.
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Dienstag, den 26. September.
( Nachdrud verboten.)
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1905
fuchte. Seine Füße in den ungeheueren Galoschen versanken tief in dem dichten, gleichsam aufgehäuften Schmutz und gaben beim Herausziehen einen eigentümlich saugenden, schmazzenden Ton von sich. Bisweilen sog sich eine Galosche so fest, daß der Fuß herausglitt, und dann mußte Romaschow, auf einem Fuß balanzierend, mit dem anderen im Dunkel aufs Geratewohl die verschwundene Galosche suchen.
Einzig autorisierte Uebersetzung von Adolf Heß. Der Brief duftete nach bekanntem Parfüm persische Syringe; Tropfen von diesem Parfüm waren in gelben bellten. Aus den Fenstern der niedrigen weißen Häuser Der kleine Ort war wie ausgestorben; nicht einmal Hunde Flecken auf dem Papier getrocknet, und davon war eine ganze Menge Buchstaben ausgelaufen. Dieser süßliche Geruch samt strömte hier und da in trüben geraden Strahlen Licht und dem faden, albernen Ton des Briefes und dem gleichzeitig legte sich in langen Speichen auf der gelbbraunen, glänzenden in Romaschows Phantasie auftauchenden rothaarigen, fleinen, denen Romaschow sich die ganze Zeit entlang tastete, von der Boden. Aber von den feuchten und schmierigen Zäunen, an falschen Geficht erweckten in dem Offizier einen unbezwinglichen Abscheu. Er riß den Brief mit boshafter Befriedigung feuchten Rinde der Pappeln, von dem Schmutz auf dem Wege mitten durch, legte dann die einzelnen Teile aufeinander, ging etwas Frühlingsmäßiges, Startes, Glückliches, unzerriß fie nochmals und abermals, und als er die Fezen endlich bemerkt Erheiterndes und Erregendes aus. Selbst der heftige nicht mehr halten konnte, warf er sie unter den Tisch, wobei Wind, der schnell auf den Wegen dahineilte, wehte frühlingser die Zähne fest zusammenpreßte und entblößte. Und selbst mäßig, ungleich, stoßweise, gleichsam zitternd, sich verwirrend in diesem Augenblick dachte Romaschow seiner Gewohnheit und Mutwillen treibend. gemäß über sich selbst in der dritten Person:
,, Und er schlug eine bittere, verächtliche Lache auf." Gleichzeitig wußte er, daß er heute sicher zu Nikolajews gehen würde. Aber das war sicher das letzte, allerletzte Mal!" versuchte er sich selbst zu betrügen, und ihm wurde mit einem Male fröhlich und ruhig.
Er wusch sich ungeduldig, zog den neuen Rock an, parfümierte ein reines Taschentuch mit Eau de Cologne . Als er aber fertig angekleidet sich zum Fortgehen anschickte, hielt
" Herr Leutnant!" sagte der Tscheremisse ungewöhnlich weich und bittend und hüpfte plötzlich auf der Stelle hin und her. Er hüpfte immer so, wenn er start erregt oder über etwas verwirrt war, streckte bald das eine, bald das andere Knie vor, bewegte die Schultern, reckte und streckte den Hals und spielte nervös mit den herabhängenden Händen. ,, Was willst Du noch?"
Herr Leutnant, ich will Dich nur um etwas bitten. Schenk' mir den weißen Herrn."
" Was denn? Welchen weißen Herrn?" ,, Den ich wegwerfen soll. Den da..
"
Er deutete auf den Ofen, wo eine Puschkinbüste stand, die Romaschow einst von einem Hausierer erstanden hatte. Die Büste stellte indessen, trotz der Inschrift, nicht den großen russischen Dichter, sondern einen jüdischen Makler dar, war so abscheulich gearbeitet, so durch Fliegen beschmukt und für Romaschow so widerlich anzusehen, daß er wirklich Hainan dieser Tage befohlen hatte, sie wegzuwerfen.
,, Was willst Du damit?" fragte der Leutnant lachend. " Nimm sie meinetwegen. Ich freue mich darüber. Ich brauche sie nicht. Aber, was willst Du damit?"
Hainan schwieg und trat von einem Bein auf das andere. „ Na, also gut. Behüt' Dich Gott," sagte Romaschow. ,, Weißt Du denn auch, wer das ist?"
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Hainan lächelte freundlich befangen und tänzelte noch lebhafter als vorher.
Weiß nicht!..." Und er wischte sich die Lippen mit dem Aermel.
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,, Weißt es nicht? Das ist Puschkin . Alexander Sergejewitsch Puschkin . Verstanden? Wiederhole: Alexander Sergejewitsch
"
Besijew," wiederholte Hainan bestimmt.
Besijem? Nun, meinetwegen Besijew," sagte Romaschow. Ich bin aber ausgegangen; wenn von Petersons jemand kommt, so sagst Du, der Leutnant sei ausgegangen, wohin weißt Du nicht. Verstanden? Wenn aber etwas Dienstliches kommt, so holst Du mich von Leutnant Nikolajew . Adieu, Alter!... Kannst Dir mein Abendessen aus dem Kasino holen und es aufessen."
Er klatschte dem Tscheremissen freundlich auf die Schulter, und dieser lächelte ihm als Antwort breit- fröhlich und vertraulich zu.
4.
Draußen herrschte so schwarze, undurchdringliche Nacht, Saß Romaschow zunächst wie ein Blinder den Weg durch Tasten
Vor dem von Nikolajew bewohnten Hause blieb der Leutnant, von augenblicklicher Schwäche ergriffen, zögernd stehen. Die kleinen Fenster waren mit dichten, zimtfarbenen Vorhängen bedeckt, hinter ihnen aber spürte man gleichmäßiges helles Licht. An einer Stelle hatte sich der Vorhang umgebogen und bildete eine lange, schmale Rize . Romaschow lehnte boll Erregung den Kopf gegen die Scheibe und bemühte sich, möglichst leise zu atmen, als wenn man ihn im Zimmer hören könnte.
trownas, die etwas gebückt, ziemlich tief auf dem bekannten grünen Nipssofa saß. Aus ihrer Haltung und den leichten Bewegungen sowie aus dem gesenkten Kopfe konnte man sehen, daß sie mit einer Handarbeit beschäftigt war.
Er sah das Gesicht und die Schultern Alexandra Pe
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Jetzt richtete sie sich plötzlich auf, erhob den Kopf und feufzte tief... Ihre Lippen bewegten sich... Was sprach sie?" dachte Romaschow; jezt lächelte sie. Wie war das sonderbar- durch die Scheibe einen sprechenden Menschen fehen und ihn nicht hören!
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Das Lächeln verschwand plötzlich von Alexandra Petrownas Gesicht, die Stirn verfinsterte sich. Wieder bewegten sich die Lippen schnell mit demselben hartnäckigen Ausdruck, und plöglich erschien wieder ein mutwilliges, spöttisches Lächeln. Jetzt schüttelte sie langsam den Kopf. Vielleicht gilt mie das?" dachte Romaschow schüchtern. Etwas Leises, Reines, Ruhig- Unbekümmertes wehte ihn von dieser jungen Frau an, die er jegt wie auf einem ausdrucksvollen, lieben, längst befannten Gemälde deutlich vor sich sah. Schurotschka!" flüsterte Romaschow zärtlich.
"
Alexandra Petrowna erhob plötzlich das Gesicht von der Arbeit und wandte es mit unruhigem Ausdruck zum Fenster. Es schien Romaschow, als wenn sie ihm direkt in die Augen fah. Vor Schreck zog sich sein Herz zusammen und erkaltete, und er trat schnell hinter einen Wandvorsprung zurück. Eine Minute schämte er sich. Er war fast schon im Begriff, nach Hause zurückzukehren, bezwang sich dann aber und trat durch das Pförtchen in die Küche.
Während Nikolajews Bursche ihm die schmutzigen Galoschen auszog und die Stiefel mit dem Feudel reinigte, er selbst aber mit dem Taschentuch den in der warmen Luft beschlagenen Kneifer abrieb und ihn dann sehr dicht an die kurzsichtigen Augen fezte, ertönte aus dem Gastzimmer die helle Stimme Alexandra Petrownas:
Stephan, ist ein Regimentsbefehl gekommen?" ,, Das sagt sie absichtlich!" dachte der Unterleutnant, gleichsam um sich selbst zu trösten. Sie weiß doch, daß ich immer um diese Zeit komme."
,, Nein, das bin ich, Alexandra Petrowna," rief er in freundlichem Tone in die Tür.
" Ah! Romotschka! Kommen Sie' rein, kommen Sie ' rein. Was machen Sie da draußen? Wolodja, Romaschow ist da."
Romaschow trat befangen und unwillkürlich in frummer Haltung ein und rieb sich ganz unnötig die Hände.
,, Kann mir denken, wie ich Sie langweile, Alexandra
Petrowna."