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in den Vordergrund tritt, was in furzem der Fall sein wird. So zeigt sich Böcklin als ein Uebergangstypus von bleibendem Wert. Er stellt eine Vereinigung der malerischen Bestrebungen unseres Jahrhunderts dar, die er in Selbständigkeit weiterbildet. Von teiner Moderichtung sich fangen lassend, deutet er in die Zukunft. Gerade in diesem Uebergang, in diesem Moment des Werdens und der Entwickelung liegt seine Bedeutung. Seine Komposition ist andererseits nicht starr und schematisch. Er folgt dabei ganz neuen Gesetzen, die unseren Anschauungen entsprechen. In seinen Bildern ist die Unendlichkeit der weiten Natur, jenes immerwährende Werden und Vergehen, Aufhören und Beginnen. Wer malt eine Wiese so wie Böcklin ? So lachend und voller Farben, die in ent­zückender Leichtigkeit hierhin und dahin getupft sind. Er ist damit schon durch die impressionistische Schulung hindurchgegangen. Er löst alle festen Konturen malerisch auf, und dennoch gibt er ein ganzes Bild, einen fertigen Eindrud.

Am höchsten stehen daher die beiden Bilder Die Geburt der Venus " und Liebesfrühling". Dort das Meer in lichten, hellen, blauen Farben, aus dem sich leicht die Gestalt der Venus erhebt, umwallt von weißen Schleiern, das Ganze wie eine Vision, eine sonnige Frühlingsstimmung über den Wassern wirkend. In dem Liebesfrühling" fällt besonders der blühende Strauch im Vorder­grunde auf, der so duftig und leicht wirkt. Die beiden Gestalten born sind wieder bewußt als kompofitorische Werte verwendet, zwei Körper in freier Natur, lauschend und sich suchend, das Ganze ein­gehüllt in weiche, zerfließende Luftstimmung, wie sie im Frühling über den Wiesen webt. Die besten Franzosen malen Luft und Licht nicht zarter.

Die erste Ausstellung des neu eröffneten Salons Gurlitt bringt neben Bildern von Böcklin und Feuerbach eine Kollektiv­ausstellung von Werken Thomas, die den Oberlichtsaal einnehmen. 50 Bilder, von 1860-1905 reichend.

Die malerische Entwickelung Thomas zeigt mannigfache Etappen. Von 1868 sehen wir da ein Bild, eine Näherin", am Tisch sizend. Die Farben sind vielleicht zu schwer und dunkel, aber im ganzen ist für damalige Zeit die Natürlichkeit, mit der der Ein­druck wiedergegeben ist, die Feinheit, mit der alle Erscheinungen, der Tisch, das Fenster, der Blumenstrauß, die Gerätschaften auf dem Tisch berücksichtigt sind, des Bewunderns wert. Auch hier ist schon die Ruhe der Gestaltung auffallend, die dem Thomaschen Schaffen eigen ist, jenes gelassene Anschauen der Dinge, das tiefer sieht, als das momentane, schnelle Hinblicken. Dann fallen die fleinen Landschaften von 1870 auf, die vielleicht uns ein wenig zu glatt im Ton erscheinen. Man merkt hier holländischen Einfluß. So penibel, wie die Holländer ihre Interieurs, ihre Landschaften malen, hat Thoma Gegenden vom Rhein gesehen. Auch hier be­hauptet sich jenes reife, ruhige Sehen, und gerade in dem farbigen Verhältnis wie das Wasser des grauen Flusses zu den alten Häusern, diese zu dem grauen Weg und zum lichten Simmel paffen liegt ein feiner Reiz. Ganz anders erscheint ein Bild bon 1873, das zwei Kinder in einem ärmlichen Milieu zeigt. Da ist alles ganz anders gemalt, jede Glätte ist vermieden, alles ist locker und aufgelöst. Die Konturen gehen in einander über, and doch dominieren im ganzen Eindruck die großen Flächen. Namentlich das Grau und Gelb der Kleidung steht gut zu der gelblichen Wand des Hintergrundes.

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Neuerdings strebt Thoma dann wieder dahin, diefe Land­schaften mit romantisch- phantastischen Gestalten zu belen. Ea reizt ihn da, eine größere Farbigkeit zu erreichen. Er bevorzugt tiefe, fatte Farben. Etwa: Der Hüter des Liebesgartens", der nackte Körper des Jünglings neben der dunklen Rüstung des Hüters, hinten ein lichter Raum mit Gestalten in freier Bewegung. Auch hier ist nicht der Inhalt" des Bildes die Hauptsache, sondern die malerische Verwendung, um derentwillen Thoma das Figürliche mit hineinzieht in die Landschaft, da es ihm, durch die Ge­wandung, durch die Stellung, Gelegenheit gibt, farbig zu vertiefen und zu konzentrieren.

So sind uns die beiden, Thoma und Böcklin , wieder von neuent lieb geworden. Wir achten ihr Können, wenn auch die gegenwärtige Kunst nach anderen Zielen strebt und streben muß, da jede Zeit ihre Aufgaben hat. Nur böswillige oder unfähige, vielleicht auch leichtfertige Kritik kann übersehen wollen, daß ein gut Stück Ent­widelung sich in ihnen konzentriert.- Ernst Schur.

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Kleines feuilleton.

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cn. Pietät. Ich für mein Teil," sagte Bruder August, indem er ein Stäubchen von seinem tadellos schwarzen Rock schnippte, ,, ich für mein Teil habe den Sarg gekauft." Er zuckte die Achseln und sah aus dem Fenster des vom Kirchhof zurück­fehrenden Coupees. " Ja, das hast Du, August." Frau Plettkow, seine Schwester, nahm einen Augenblick das weiße Taschentuch von den Augen und Der Sarg war ja man schneuzte sich." Es war nobel von Dir. einfach, aber unsere Blumen haben ihn zugedeckt. Die gelbe Farbe ist nicht aufgefallen. Meine Marie hatte' nen Kranz für fünf Mark, Paul einen, ich einen, das Trinkgeld für die Träger hab ich auch wenn man rechnen wollte bezahlt,

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Wenn man rechnen wollte", mischte sich nun Bruder Theodor hinein, dann könnt ich Euch' ne Rechnung aufmachen!" Er griff in die Brusttasche. Hier die Nota vom Fuhrherrn: Ein Leichenwagen zweiter Klasse- dritte, das ging doch nicht, zwei Stutschen, Träger und so weiter. Summa Bruder August winkte: Kinder, wir woll'n uns doch hier nicht unsere Auslagen vorschmeißen. Ueberhaupt, wo das Grab noch nicht mal zu ist. Franz ist tot, laßt' n schlafen.' n armes Luder war's. Sanft ruhe seine Asche. Gib mir mal Feuer, Theo; ich hab' so'n Gieper auf'n Tobad.' s sieht ja woll feiner."

Theodor inippste sich selber eine Bigarre ab, nahm und gab Fener:"' n armes Luder, sagst Du. Gewiß. Aber er hätte anders dastehen können. War denn etwas mit ihm anzufangen?"

"' n Geschäftsmann war Franz nicht", bestätigte Frau Plettkow. August blies einen feinen Rauchstreifen gegen die Decke des Wagens:" Dazu war Franz nicht zu gebrauchen. Das ist richtig. Das Ausgeben verstand er besser."

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Na!" Bruder Theodor lachte vielsagend. Hab' ich Geld, hat's die ganze Welt! Das war ja sein Motto. Damit kommt keiner weit. Kinder!" Theodor Stann er nicht! Jst ja auch jeden seine Sache. hob plötzlich beide Hände und ließ sie klatschend auf die Knie fallen, unser ich will ja gar nichts gegen unseren Bruder Franz sagen Bruder war er doch nu mal!, aber wenn ich mir sollt mein Begräbnis von meinen Verwandten bezahlen lassen' rumdrehn vor Scham tät' ich mich im Sarge!"

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Mit besonderer Hingabe widmete sich Thoma in den folgenden Jahren der Landschaft; ohne Staffage, ohne Gruppierung suchte er einen still bellauschten Winkel zu beobachten und wiederzugeben. Frau Plettkow nickte und sah beide mit vielsagendem Blick an: Es ist immer etwas von der Intimität der alten deutschen Land- Theodor sagt's, gedacht hab' ich's auch schon! Ein Mensch na, über' n Toten redet man nicht." schafter darin, etwas von Altdorfer, Elsheimer . Wie fein sind die von Ehrgefühl Wasserfälle von Tivoli" von 83, die so silbergrau im Ton sind, zu " Tja!" Bruder August schnippte ein Aschenstäubchen vom Rock dem das matte Grün der Wiese und der hellere Ton des grauen und lächelte kritisch:" Am besten ist: Schwamm drüber! So billig Himmels schön paßt und ein Bild von reifer Harmonie schafft. war der Sarg übrigens nicht, Therese. Na, schad't nichts. Ich bin Ueberhaupt wie Thoma den Himmel malt! Entweder leuchtet schon zufrieden, daß er mich nicht noch angepumpt hat vorher." er in tiefer Bläue, oder noch lieber belebt er ihn mit Wolfen." Du!" Bruder Theodor zog die Augen hoch und trommelte darauf hab' ich gewartet! Weißt Und darin ist er Meister, in der Wiedergabe der Wolfen. Da leise an der Fensterscheibe merkt man in jedem Strich die sichere, lange, freudevolle Beob- Du: ich hatt'' ne hübsche Rede auf der Pfanne. Damit hätt er achtung an diesen Erscheinungen der Natur. Wie sie leicht hin- mir kommen sollen! Die Wahrheit hätt' ich ihm so geblasen, daß hüt er sich! dachte schweben im Raum, wie sie sich düster ballen und finster über er seinen Geburtsort vergessen hätte! Aber der Landschaft ruhen, das versteht Thoma malerisch zu verwerten. mein Franz! Und blieb weg. Bei mir ist er ja überhaupt kein­Eine Landschaft am Gardasee " von 97 mutet an wie eine mal gewesen." deutsche Gegend. Bezeichnend, wie Thoma seine Motive sucht." Du brauchst mich gar nicht so von der Seite anzusehen", be­Diese Landschaft am Gardasee ist nicht prunkend. Vom See ist merkte Frau Therese und wurde blutrot. Ich hab'n auch bloß nichts zu sehen. Ein Teil Wiesengelände und Garten, im Hinter- einmal besucht und wollt'n zu meinem Geburtstag einladen. Ja, grunde Häuschen, das ist alles, Dunkeltönig, braunrot ist die Ihr habt ja doch nie Zeit für sowas. Na, also wißt Ihr, was Es wird Dir zu Färbung der Häuser, die Wiesen sattgrün, der Himmel tiefblau. er mir antwortet: Nee, Reschen , laß man. Als ob ich auf die Vorne blüht ein Obstbaum in weißer Pracht. teuer. Und ich hab' auch keinen Frack." Kosten gesehen hätte! Daß ich geizig bin, fann mir doch keiner nachsagen." Er hätte ja auch' n Geschenk mitbringen müssen." Das war's!" Frau Plettkows Augen leuchteten auf. Gleich darauf sagte sie sanft und malitiös: Aber wer glaubt denn so was von seinen Brüdern!"

Am liebsten malt Thoma seine Umgebung, sein Rheinland mit all den Seitentälern, die voller Reichtum und Charakter in den Farben sind. Wie malerisch stimmt die bläuliche, wasserge­tränkte Luft der dortigen Gegend alle Farben, weich und doch plastisch. Hell und licht ist die Landschaft von 1901, ein Tal zwischen schön geschwungenen Höhen, deren lichten Liniencharakter Thoma sicher wiedergibt. Wie diese Flächen alle zu einander stehen, wie die Höhe sich zum Tal absenkt, wie das Tal wieder ansteigt, und immerfort diese Abwechselung ruhig und doch lebendig ist, das zeigt sicheres Beherrschen der Mittel. Das ganze Bild ist in hellste Farben getaucht, hellgrün und weiß. Es hat eine außer ordentliche Tiefe. Der Bauer, der hinten im Tal pflügt, erscheint ganz flein. Um so mächtiger wirkt der Raum im ganzen.

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Bruder Theodor blickte aus dem Fenster; August hüllte sich in eine Rauchwolfe.

Gehaßt hab' ich ihn von da an!" gestand Therese. So'nen Bettelstolz, wie der Mann gehabt hat!"

,, Aeh," Bruder August tauchte aus seiner Wolfe hervor. Seid doch zufrieden, Kinder. Staat war mit Franzen nicht zu machen." Nee. Behn Schritt vom Leibe!" lachte Theodor. Hab' ich