sondern in den Begebenheiten, in der Art der Milieuschilderungund der Charakteristik sich vielgestaltig oft mit spannendemReize entfaltet. Nichts mehr von den gespreizten, selbstgefälligenHeullletonsentenzen, durch die der selige Graf Trost in der„Ehre"brillierte, keine Pose, keine Koketterie mit Gedanken. Man spurteeS, diesmal war es dem Dichter ernst mit der Idee; er wollte Mit-gefühl erwecken, das er selbst im Herzen empfunden. Und so gelangeS ihm in den entscheidenden, das heißt den für den Ausdruck derdee entscheidenden Mischen Szenen. Das ist der Kern, und darinegt trotz allem der Wert des Stuckes.Die Rückkehr eines aus dem Zuchthause entlassenen Verbrechers indie Gesellschaft ist Gegenstand des Dramas. Mit gutem Vorbedacht hatSudermann darauf verzichtet, aus dem Geächteten eine irgendwie hervor-stechende Persönlichkeit, etwa einen Verbrecher aus verlorener Ehre,«wen Rächer der Unbill, mit dessen Tat wir sympathisieren könnten,zu machen. Das Typische des Falles wäre dadurch getrübt. DerSteinmetzgeselle Jakob Biegler ist nicht besser, aber auch nichtschlechter als irgend einer der Dutzendmenschen, die sich vor ihmbekreuzigen. Nicht ohne Verfehlung leidet er, aber was ihn insZuchthaus geführt hat, ist nicht die Verfehlung selbst, sondern einunseliger Zufall. Als Schlafbursche bei einem Schuster eingemietet,hat er sich von den dreisten Lockungen des WeibeS seines Quartier-gebers leicht fangen lassen. Der Ehemann überraschte die beidenund zückte das Messer, um Biegler niederzustechen. Da griff derBedrohte zu dem schweren Schusterstein und schleuderte ihn be-finnungslos im blinden Instinkt der Selbsterhaltung gegen den An-greiser, der tot zusammenbrach. Irgend eine kleine unbewußte Ab-weichung in der blitzschnellen Muskelbewegung des Armes,und das Furchtbare, das er nicht gewollt, für das ihn aber dasGericht die volle Verantwortung zuwälzt, lväre ungeschehen geblieben.So wandert er, durch den Spruch der Geschworenen, die den mildern-den Umstand der Notwehr ihm nicht zuerkennen, als Mörder gebrand-markt, ins Zuchthaus. Und die Gesellschaft tut alles, um den endlichEntlassenen, der irgendwo in ehrlicher Arbei sein Stückchen Brotverdienen will, durch Demütigungen und Hungerpein dervölligen Verzweiflung, dem Selbstmord oder dem Ver-brecherünn der Straße zuzutreiben. Wenn man ihn aufeiner Arbeitsstelle annimmt, sofort erscheint die Polizei,seine Zuchthausstrafe wird ruchbar, und man hetzt ihn weiter wieein räudiges Tier. Stein unter Steinen fühlt er sich. Doch in derhöchsten Not, als er an die Türe des Steinsetzmeisters Zarnke klopft,streckt sich ihm rettend eine Hand entgegen. Dieser Alte mit seinermilden alles verstehenden Menschlichkeit, mit dem warmen nach so vielüblen Erfahrungen doch immer wieder hülssbereitcn Herzen, das erhinter einem kaustisch trockenen Humor verbirgt, ist, wie Sauer ihnspielte, eine der besten Gestalten Sudermanns: Organder humanen Tendenz, die der Dichter verkündet, aberzugleich durchaus in jeder Wendung individuelle Persönlichkeit.Wie das scheue, mißtrauisch verstockte Wesen des ehemaligen Straf-lings, der die dargebotene Speise mit tierischem Hunger, zur Wandgewendet, verschlingt, unter dem ruhig fteundlichen Zuipruch desAlten sich allmählich löst, wie die Bewegung den Armen übermanntund Zarnke dann mit väterlichem Du den Schluchzenden aufrichtet,das wirkte in seiner schlichten Einfachheit, getragen von dervollendeten Darstellung Sauers und Bassermans, erschütternd.Nicht als Steinmetz, als Wcrkplatzwächter und einfacher Arbeitertritt Biegler in den neuen Dienst. Vorzüglich sind die wechselvollenSzenen auf dem Arbeitshof. Neben Biegler und Zarnke tritt daeine dritte Figur, der Hülfsarbeitcr Struwe, ein verichmitzter Spitz-bube. au-Z dem Rittner ein wahres Kabinettsstück drastischer Charakter-komik schuf, in den Vordergrund. Während Biegler verstört undmenschenscheu immer in der Angst, die anderen könnten seineSchande erraten, einherschleicht, tut sich Struwe in derFrühstückspause vor den Kameraden voll guter Laune mit seineabsolvierten Gefängnisstrafen groß. Kriminalisten würdendem unverbesserlichen Taugenichts bielleicht unter die gc-borencn Verbrecher klassifizieren; und dennoch kann man dem lustigenBurschen mit der unbezwinglichen Diebslust nicht gram sein.Man hat, lvie sein Beschützer Zarnke, dessen Magaziuräumen er einennächtlichen Einbruchsbesuch gewidmet hat, eine Art ästhetischerFreude an ihm. Die Kontrastierung dieses sorglosenLumpazius, in dem bei aller Gutmütigkeit dennoch durchkein moralisches Mittel, keine Wohltat und kein Ver-trauen ein Funke Ehrgefühl zu wecken ist, mit dem schwerblütigen unverdorbenen Biegler ist sicher konsequent, doch ohneAufdringlichkeit im Stücke durchgeführt. Schon scheint es, alswollten die Hülfsarbeiter, arme Teufel, die beim Essen nicht mitden Steinmctzgescllen, den Aristokraten der Werkstatt, zusammen-sitzen dürfen, sich mit dem seltsamen Neuling, der für jedes kleinsteZeichen menschlicher Teilnahme so dankbar ist, anfteunden, da er-scheint an Zarnkes Seite der Kriminalkommissar, um Struwe überden Einbruch zu vernehmen. Und dieser feudal-joviale Vertreterder Gerechtigkeit, dem Struwe, von Zarnke wohlwollend assistiert,eine Nase dreht, gratuliert dem Prinzipal mit boshafter Schaden-ftcude laut, so daß es alle hören müssen, zu der Acquifition einesleibhaftigen Mörders. Biegler ist von neuem geächtet, die Genossen wendenihm voll Abscheu den Rücken.— Nach einem mißratenen Intermezzo,das mit der farblosen verworrenen Liebesgeschichte der Wirtstochterin der Fabrikkantine zusammenhängt, hebt sich das Drama noch ein-mal zu starker Theaterwirluug. Biegler, der dem mitleidigenMädchen die Geschichte seines Verbrechens erzählt, will,ehe die Arbeiter zur Feierstunde in die Wirtsstub'strömen, auf und davon. Auf ihre Bitte bleibt er undläßt stumm die Hohnworte der Konimenden über sich ergehen. Aberwie der freche Verführer deS Mädchens, eine grundbrutale, IvirtticheBerbrcchernatur— Herr Marr brachte die Rolle sehr gut zurGeltung— sie in ausgesucht gemeiner Bosheit beleidigt, da springtder Zitternde auf, die Empörung gibt ihm Kraft, er ruft ihm Schuftzu. Der Raufbold zieht sein Sttlet und Biegler faßt mit beidenHänden, wie damals in der Stunde des Unglücks, einen mächtigenStein und, ihn drohend über dem Haupte schwingend,jagt er den Elenden hinaus.— Der Schluß fällt, wie gesagt, ganzaus dem Rahmen. Der rachsüchtige Besiegte und der ewig betrunkeneKantinenwirt(Herr Reicher) lösen einen am Krahn befestigtenSteinblock, der Biegler, wenn er beim Wachdienst die Treppe emporsteigt, niederstürzend zerschmettern soll. Damit ist für Spannunggesorgt I Nichtig poltert denn auch der Block herunter, aber ohneden Mann zu treffen. Alles schlägt plötzlich zu Nutz und Frommendes ungerecht Verfolgten aus. Die Arbeiter, denen BieglerS Mut-probe imponiert hat, wollen ihn aufnehmen in ihren Kreis, und dasdankbare Kantinenfräulein reicht ihm die Hand zum Ehebunde.Conrad Schmidt.kleines feuilleton.Kl. Englisches Scemannsleben vor hundert Jahren schilderrJohn Masefield in einem soeben in London erschienenen Buche. Eskann nicht nachdrücklich genug betont werden, erklärt der Verfasser»wie brutal, grausam und entsetzlich das Leben auf See am Endedes 18. Jahrhunderts war, eine Form des Lebens, die nun wohlglücklich für immer verschwunden ist; ein Leben, wie es heutzutageniemand auch für den schwersten Verbrecher gut genug finden würde.Da herrschte eine barbarische Manneszucht, schlechte Bezahlung undschlechtes Essen gab es, die Stunden verflossen in harter Arbeit, manbefand sich unter dem Auswurf der Menschheit und hatte keineHoffnung auf bessere Tage. An Land zu gehen ward nicht gestattet,bis das Schiff außer Dienst gestellt wurde oder bis der Frieden er-klärt war. Die Löhnung war in den besten Zeiten gering, abermeistens war sie, wenn sie den Matrosen ausgezahlt wurde, bis aufein Drittel oder die Hälfte des wirklichen Betrages zusammen-geschrumpft. Wohl konnte man sich damals wundern, weshalb dieLeute aufs Schiff gingen, da es doch Kerker auch auf dem Laude gäbe.Aber die Mehrzahl der Matrosen verpflichtete sich nicht freiwilligzum Seedicnst. Eine gewisse Anzahl kam schon in früher Jugendaufs Schiff und verblieb während des ganzen Lebens in der Marine,einmal weil es sehr schwer war, vom Schiffsdicnst wieder loszu-kommen, dann weil einer, der erst einmal Seemann ist, es auchimmer bleibt; das Leben machte sie zu jedem anderen Berufe un-geschickt. Eine große Menge kam wohl auch zur Marine, weiljugendliche Begeisterung sie trieb; aber wie bitter bereuten sie ihreNarrheit schon nach einer Woche. Einige kamen von Kauffahrtei-schiffen, durch die hohen Belohnungen und Prämien gelockt, die Frei-willigen in Aussicht gestellt wurden; andere wieder wurden durchdie Plakate in den Hafenplätzcn angezogen, auf denen Leuten, dieDienst in der Marine nehmen wollten, große Geldsummen und Grogin- Hülle und Fülle versprochen wurden. � Der größte Teil allerMatrosen aber wurde gezwungen in die Schiffsjacke gesteckt, durchdie Annahme von Handgeld überlistet oder sonst mit Gewalt fort-geschleppt. Verbrecher, die von dem Gerichtshof verurteilt waren,wurde der Seedienst als einzige Rettung hingestellt, und infolge-dessen wurde das Kanoncndeck der Kriegsschiffe zum Sammelplatzdes gemeinsten Gesindels. Es war festgesetzt worden, daß ein Drittelder Mannschaft auf jedem Schiff aus angeworbenen Landratten bc-stehen dürfte und daß ein Achtel unter allen Leuten in der MarineAusländer sein durften. Man suchte also zunächst, seetüchtige Leutezu erlangen; wenn aber eine bestimmte Anzahl von diesem für denDienst verpflichtet waren, so nahm man dann, wen man cinfa.ngcnkonnte. Schneider, kleine Krämer, Landstreicher und Müssiggänger,das war alles ein guter Fang. Einmal an Bord, waren die Leuteeiner ganzen Schar von Tyrannen unterworfen; nicht nur dieOffiziere, sondern auch die Bootsleute und selbst die Kadetten ließensie ihre Macht fühlen. Sie lebten in einer verpesteten Atmosphäre.Trotz aller Räucherungen wichen schlechte Gerüche nicht ans deinSchiff. Der dumpfige Gestank der Trockenfäule, die faulig« Luftdes Kielwassers vermischten sich mit den Ausdünstungen schlechtgewordener Waren und in Verwesung übergegangener Ratten.Ventilation konnte nur bei gutem Wetter stattfinden; meistenswaren die Lucken fest verschallt, so daß die Leute kaum atmenkonnten. Die Nahrung war fast immer schlecht und manchmalmenschenunwürdig. Die Speisen waren so hart wie Stein, faserig,zusammengeschrumpft, vertrocknet, knorpelig oder mit Salz zuKlumpen zusammengefrorcn; ein Stück Salzfleisch sah ans undfühlte sich an lvie ein Stück Mahagoniholz. Das einzige, was reich-lich und gut war, waren die Spirituosen; aber was nützte es demarmen Teufel, der Grog im Ucbermaß erhielt, wenn jede Spur vonTrunkenheit auf das grausamste bestraft wurde. Die gewöhnlicheForm der Strafe war die Züchtigung mit der Peitsche, die einzigeArt,„wie man mit solchen Leuten, wie sie die Mannschaften derköniglichen Marine bildeten, fertig werden konnte". Schon bei dengeringsten Anlässen wurden Züchtigungsstrafen verhängt SechsSchläge hinterließen bereits auf dem Rücken deutliche Spuren« bei