Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 200.
18]
Das Duell.
Freitag, den 13. Oktober.
( Nachdruck verboten.)
Einzig autorisierte Uebersetzung von Adolf He ß.
10.
Es war ein goldiger, aber falter richtiger Frühlingsmorgen. Die Traubenkirschen blühten.
Romaschow, der bis jetzt nicht gelernt hatte, mit seinem jungen Schlaf auszukommen, kam wie gewöhnlich zu spät zum Dienst und ging mit dem unangenehmen Gefühl von Scham und Unruhe zum Exerzierplatz, auf dem seine Notte übte. In diesem ihm bereits vertrauten Gefühle lag stets viel Erniedrigendes für den jungen Offizier, und der Rottenfommandeur, Hauptmann Sliwa, verstand jene Empfindung noch schärfer und kränkender zu machen.
1905
Plaz nicht finden konnte. Bisweilen fragte er mit grimmiger Höflichkeit, ohne auf die Anwesenheit der Gemeinen Rücksicht zu nehmen:„ Ich de- denke, Herr Leutnant, Sie haben nichts dagegen, wenn wir fortfahren?" Das nächste Mal erkundigte er sich mit größter Zuvorkommenheit, aber abfichtlich laut, wie der Herr Leutnant geschlafen und wie er geträumt hätte. Und erst nachdem einer dieser Scherze vom Stapel gelassen war, führte er Romaschow beiseite und erteilte ihm, während seine runden Fischaugen ihn fast berührten, einen groben Verweis.
,, Ach, mir ist alles egal!" dachte Romaschow verzweifelt, während er an seine Rotte herantrat.„ Hier geht's schlecht und dort geht's schlecht ist alles eins. Mein Leben ist verpfuscht!"
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Der Rottenkommandeur, Leutnant Wetkin, Lbow und der Feldwebel standen mitten auf dem Play, und alle wandten sich gleichzeitig nach dem herankommenden Romaschow um. Die Soldaten drehten ebenfalls die Köpfe nach ihm herum. In diesem Augenblick sah Nomaschow sich selbst, wie er verwirrt und ungeschickt unter den auf ihn gerichteten Blicken dahinging, und ihm wurde noch unangenehmer zumute.
,, Aber vielleicht ist das gar nicht so schimpflich?" versuchte er sich nach Art vieler in Verlegenheit geratener Leute in Gedanken zu trösten. Vielleicht scheint mir das nur so schlimm, ist anderen aber ganz egal. Nun, ich stelle mir einfach vor, daß ich nicht zu spät gekommen bin, sondern bow, und daß ich auf dem Plate stehe und zusehe, wie er Lbow herankommt. Dabei ist gar nichts Besonderes: geht wie immer... alles Unsinn," schloß er endlich in Gedanken und wurde mit einemmal ruhig.„ Angenommen, ich schäme mich Aber das dauert feinen Monat, feine, Woche, keinen Tag. Auch ist das ganze Leben ja jo kurz, daß man alles in ihm vergißt."
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Dieser Mann bildete ein rohes und schweres Ueberbleibsel einer in das Reich der Ueberlieferung entrüdten Zeit grausamer Disziplin mit ewigem Geschimpfe, fleinlichem Formelkram, Marschieren in drei Tempi und Faustschlägen. Selbst in unserem Regiment, das sich infolge des wüsten Provinzlebens nicht gerade durch besondere Humanität auszeichnete, erschien Sliwa als ein rarer Repräsentant jenes grimmigen militärischen Zeitalters, und man erzählte sich von ihm eine ganze Menge furiose, fast unglaubliche Geschichten. Was über Frontdienst, Dienstreglement und seine Rotte hinausging, existierte einfach nicht für ihn und wurde als Blödsinn und Schwindel bezeichnet. Er, der durch das ganze Leben die schweren Dienstpflichten mit sich herumschleppte, las kein Buch und feine Zeitung außer dem offiziellen Teil der militärischen Zeitschrift:" Der Invalide". Alle Zerstreuungen, alles Tanzen, Liebhaberaufführungen und so weiter verachtete er im tiefsten Grunde seiner verhärteten Gegen seine Gewohnheit verwandte Sliwa fast gar keine Seele, und es gab keinen noch so schmutzigen und gemeinen Aufmerksam eit auf ihn und ließ nicht einen seiner Scherze Ausdruck, den er nicht aus seinem soldatischen Schimpfwörter- los. Erst als Romaschow einen Schritt von ihm entfernt buch gelegentlich angewandt hätte. Man erzählte von ihm und die Geschichte konnte wahr sein, daß einst, als er in einer herrlichen Frühlingsnacht am offenen Fenster gesessen und militärische Rechnungen durchgesehen hatte, in einem Gebüsch vor ihm eine Nachtigall sang. Sliwa hörte und hörte hin und rief plöglich seinem Burschen zu: Sachartschuk, jag mal den Vogel mit einem Stein weg. Er stört mich
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Dieser welfe, verkommene Mensch war mit den Soldaten schrecklich strenge und erlaubte nicht nur den Unteroffizieren zu schlagen, sondern schlug auch selbst grausam bis aufs Blut, bis der Betreffende unter seinen Hieben zu Boden stürzte. Dafür war er den Bedürfnissen der Soldaten gegenüber peinlich aufmerksam: Geld behielt er niemals zurück und probierte persönlich jeden Tag das Soldatenessen. Nur in einer Rotte, in der fünften, sahen die Leute wohlgenährter und vergnügter aus als in seiner.
Aber die jungen Offiziere schalt und zwiebelte Sliwa nach Noten und wandte dabei ganz ungeniert die einfachste Methode an, der sein angeborener fleinrussischer Humor noch eine ganz besondere Schärfe verlieh. Wenn zum Beispiel beim Ererzieren ein Subalternoffizier aus dem Tritt kam, schrie er, leicht mit der Zunge anstoßend, gewöhnlich:
,, Nu sag' einer! Die ga- ganze Rotte, soll sie der Deubel holen, ma- marschiert nicht im Tritt. Nur der Herr Leutnant ge- geht im Tritt."
Bisweilen, wenn er die ganze Rotte mit den gemeinsten Schimpfworten schmähte, fügte er schnell mit beißendem Spott hinzu:
Mi- mit Ausnahme de- der Herren Offiziere und de- des Fähnrichs."
Besonders grausam und geradezu vernichtend war er in Fällen, wo ein jüngerer Offizier zu spät zum Dienst kam, und das hatte am häufigsten Romaschow an sich erfahren. Sliwa, der den Leutnant schon von weitem bemerkt hatte, kommandierte:" Stillgestanden!" gleichsam als bereitete er dem Zuspätkommenden ironischerweise einen ehrenvollen Empfang; er selbst aber beobachtete unbeweglich, mit der Uhr in der Hand, wie Romaschow, vor Scham in Schweiß gebadet, sich in der Säbelkoppel verwickelte und lange seinen
stehen blieb, ehrerbietig die Hand an die Müze legte und die Hacken zusammenschloß, sagte er, ihm gleichzeitig seine schlappen fünf falten, zieschenähnlichen Finger hinstreckend:
Bitte, merken Sie sich, Herr Leutnant, daß Sie fünf Minuten vor Erscheinen des ältesten Subalternoffiziers und zehn vor dem Rottenkommandeur zugegen sein müssen." „ Entschuldigen Herr Hauptmann," erwiderte Romaschow mit hölzerner Stimme.
,, Entschuldigen!... Sie schlafen immer. Im Schlaf tönnen Sie nicht ererzieren. Bitte die Herren Offiziere, zu Ihren Zügen zu treten."
Die ganze Rotte war in Abteilungen über den Plaz zerstreut. Es wurden zugweise Freiübungen gemacht. Die Soldaten standen in Reihen mit einem Schritt Abstand voneinander und hatten, um die Bewegungen zu erleichtern, die Uniform aufgeknöpft. Der gewandte Unteroffizier Bobylew aus Romaschows Halbrotte schielte ehrerbietig nach dem fommandierte lautherankommenden Offizier hin und schallend, wobei er den Unterkiefer vorschob und schiefe Augen machte:
„ Auf die Fußspißen und langsame Kniebeuge. Hände auf Hüftenstützt!"
Dann zog er singend in tiefen Tönen in die Länge: nie beugt!"
„ Eins!" sangen die Soldaten gleichzeitig und hockten nieder; Bobylew aber, der ebenfalls in Kniebeuge dasaß, überflog die Reihen mit einem strengen, forschen Blick.
Nebenan schrie der kleine, quecksilbrige Gefreite Sjeroschtan mit dünner, scharfer, abgerissener Stimme wie ein junger Hahn:
„ Ausfall rechts und links seitwärts, mit gleichzeitigem Seitwärtsstoßen der entsprechenden Hand. Fertig! Los! Ateins, at zwei." Und ein Dußend junger, gesunder Stimmen schrien abgerissen und krampfhaft:„ Hau. hau, hau, hau!"
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,, Halt!" schrie Sieroschtan durchdringend.„ Lapschin! Was haust Du denn da immer, Du Schafskopf? Stößt mit den Fäusten wie ein altes Weib: Chau, chau!... Mach mir die Bewegung sauber, verdammtes Aas!"