Ihretwegen lud man ihn meistens ein— das verlangten die eigenartigen Gebote der Höflichkeit und Aufmerksamkeit, wie sie im Regiment üblich waren. „Das freut mich sehr, freut mich sehr," sagte Nikolajew Romaschow entgegengehend.„Warum sind Sie heute morgen nicht zum Geburtstagskuchen gekommen?" Er sagte das vergnügt mit freundlichem Lächeln, aber in seiner Stimme und in seinem Blick nahm Romaschow deutlich wieder denselben entfremdenden, gemachten und kalten Ausdruck wahr, den er die ganze letzte Zeit bei jedem Zu- sammentreffen mit Nikolajew fast unbewußt empfunden hatte. „Er mag mich nicht," entschied Romaschow schnell für sich.„Was hat er, ist er böse? Eifersüchtig? Langweile ich ihn?" „Wissen Sie... Wir haben in der Rotte Gewehr- besichtigung," log Romaschow dreist.„Außerdem rüsten wir uns zur Parade: da gibt es nicht mal feiertags Ruhe... Aber ich bin ganz konfus... Ich habe nicht gewußt, daß Sie ein Picknick unternehmen, und nun kommt es so daß ich mich aufdränge. Wirklich, ich geniere mich..." Nikolajew lachte breit und klopfte Romaschow mit be- leidigender Vertraulichkeit auf die Schulter. „O nein, was reden Sie da, mein Lieber... Je mehr Leute— um so interessanter wird es! Was sind das für chinesische Zeremonien!... Nur weiß ich nicht, wie es mit den Wagenplätzen wird. Nun, ich werde schon irgendwie Platz finden." „Ich habe einen Wagen," beruhigte Romaschow ihn und wich mit der Schulter ganz unmerklich von Nikolajews Hand zurück.„Im Gegenteil, ich stelle Ihnen den Wagen mit Ver- gnügen zur Verfügung." Er sah sich um und begegnete Schurotschkas Blicken. „Dank, Lieber!" sagte ihr warmer, wie vorhin sonderbarer, aufmerksamer Blick.—„Wie ist sie heute wunderbar!" dachte Romaschow. „Nun, das ist famos." Nikolajew sah nach der Uhr. „Wie ist's, meine Herren," sagte er fragend,„kann man jetzt wohl fahren?" „Laß fahren, laß fahren! sagte der Papagei, als der Kater Waska ihn am Schwänze aus dem Käfig zog," rief Olisar scherzend. Alle erhoben sich unter Ausrufen und Gelächter: die Damen suchten ihre Hüte und Sonnenschirme und zogen die Handschuhe an: Talmann, der an Bronchitis litt, schrie durchs ganze Zimmer, daß man warme Tücher nicht vergessen sollte; so entstand ein bunter Wirrwarr. Der kleine Michin führte Romaschow auf die Seite. „Jurij Alexejitsch. ich habe eine Bitte an Sie," sagte er. „Ich bitte Sie dringend, fahren Sie doch mit meinen Schwestern, sonst sitzt Diez bei ihnen, und das ist mir außer- ordentlich unangenehm. Der sagt den Mädchen stets solche Gemeinheiten, daß sie direkt weinen müssen. Ich bin wirklich kein Freund von Gewalttätigkeiten, aber dem haue ich bei Gott noch eins über die Schnauze!..." Romaschow wollte gern mit Schurotschka fahren, aber da Michin ihm stets angenehm war, und die reinen, klaren Augen dieses prächtigen jungen Mannes mit flehendem Ausdruck dreinblickten, und auch, weil Romaschows Herz in diesem Augenblick von einer großen Freude ganz und gar erfüllt war, konnte er nicht nein sagen und willigte ein. Das Einsteigen an der Treppe dauerte geraume Zeit und ging unter vielem Lärm vor sich. Romaschow nahm bei den beiden Fräulein Michin Platz. Zwischen den Wagen schritt mit dem gewöhnlichen betrübten, hoffnungslos-verzweifelten Gesicht Stabshauptmann Leschtschenko, den Romaschow früher nicht bemerkt hatte und den niemand zu sich in den Wagen nehmen wollte, auf und ab. Romaschow rief ihn an und bot ihm den Platz neben sich auf dem Vordersitz an. Leschtschenko blickte den Leuwant mit feuchten, ergebenen, guten Augen an und kletterte mit einem tiefen Seufzer in den Wagen. Endlich hatten alle Platz genommen. Vorne trieb Olisar Unsinn, sprengte auf seinem alten, trägen Wallach hin und her und sang dazu aus einer Operette: „Setzen wir uns in die Postkutsche, Ätzen wir uns in die Po— ostkutsche." „Trab, vorwärts, marsch!" kommandierte Ofodtschi mit Donnerstimme. Die Equipagen rollten dahin.• 14. Das Picknick fiel weniger lustig als laut und unordentlich, tuniultuarisch aus. Man fuhr drei Werst nach Dubetschnaja. s So hieß ein kleines, fünfzehn Teßjätinen großes Gehölz, Las � an einem langen, schrägen Abhang lag und dessen unterer > Rand von einem schmalen hellen Bächlein umspült wurde. Das Gehölz bestand aus wenigen, aber schönen, mächtigen hundertjährigen Eichen, zu deren Füßen dichtes Gebüsch wuchs. Hier und da waren aber freie Plätze, reizende Flächen, mit zartem, Hellem ersten Grün bedeckte Wiesen. Auf einem solchen Fleck warteten die vorausgeschickten Burschen mit Samowaren und Körben. Die Tischtücher wurden direkt auf dem Boden aus- gebreitet, und man setzte sich. Die Damen stellten Imbiß und Teller hin, die Herren halfen ihnen mit scherzhafter, über- mäßiger Liebenswürdigkeit. (Fortsetzung folgt.) (Nachdruck verboten.) l>as acronaiitlfche Observatorium in Lindenberg. Lange Zeit begnügten sich die Meteorologen dmuit. die Luft, ihre Zustände und Eigenschaften in den niedrigsten, die Erdoberfläche unmittelbar berührenden Schichten zu erforschen; endlich, im Laufe ihrer Studien selbst, erkannten sie, daß dies zu einer wahren Kenntnis der Luft nicht ausreicht. In den höheren Schichten der Lust spielen sich gewaltige Prozesse ab. die von der Erde aus sich durchaus nicht beobachten lassen, die man aber um so mehr kennen lernen mup, als sie einen sehr großen Einfluß auf die Zustände am Grunde des Lustmeeres ausüben, und ohne ihre Entfernung jedes Ver- ständnis für das Eintreten sonst unbegreiflicher Wetter- erscheinungen ausgeschlossen ist. Als man nun die Erforschung der Luft in höheren Schichten für notwendig besimden halte, dauerte es wiederum lange Zeit, bis die praktische Möglichkeit geschaffen war. sie durchzuführen; denn Beobachtungsstationen auf hohen Bergen reichen bei weitem nicht hoch genug in die Luft hinein, und die Luft in ihrer Umgebung hat immer noch Berührung mit der Erde, wodurch ihre Bewegungen und sonstigen Verhältnisse in- folge von Reibung, Wärmeleitung und ähnlichen Ursachen stark beeinflußt werden. Man trieb dann bei gelegentlichen Ball oniahrten auch meteorologische Studien, und wenn diese auch viele neue Tat- fachen lehrten, so konnten sie doch schon wegen des Kostenbetrages nur selten unternommen werden, so daß sie als genügendes Mittel zur wirklichen Durchforschung der höheren Almospbären- schichten in keiner Weise zu betrachten waren. In dieser Verlegenheit kamen geniale Meteorologen auf die Idee, zwei als Kinderspielzeug längst bekannte kleine Luftfahrzeuge, natürlich unter entsprechender Vergrößerung und notwendiger Formänderung, in der Wissenschaft zu veriverten: Es ist der Drachen und der Kinderballon aus Gummi- stoff: beide sind jetzt in der Tat die Grundsäulen unserer Luft- forschung geworden, und erst nach ihrer Einführung in die Forschung wurde es möglich. Stationen zu errichten, von denen aus tägliche Beobachtungen der oberen Lust ausgeführt werden konnten, gerade wie an der Erdoberfläche selbst. Allerdings kann die Zahl der ersteren Stationen, wiederuni schon wegen der Kosten, dann aber auch aus mehreren praktischen Rücksichten, nur gering sein; aber dieser Umstand macht sich glücklicherweise weniger störend bemerkbar, als man vielleicht meinen dürfte. Denn in großen Höhen voll- ziehe» sich die Erscheinungen großzügiger als an der Erde, wo jede kleine Verschiedenheit im Erdprofil, jede Ab- wechselung von Hügel und Tal, von Wasser und festem Land, von bebautem und nacktem Terrain, wo jede größere An- sammlung von Hänsern die Zustände in der Luft, und damit auch die Witterung beeinflußt. Für die hohen Schichten genügen einige wenige Beobachtungsstationen, und wenn es auch wünschenswert ist, daß ihrer mehr gegründet werden, als jetzt bestehen, so leisten doch schon die jetzigen wenigen ganz Bedeutendes, und sie haben uns Vorgänge in der Luft kennen gelehrt, von deren Vorbandensein man noch vor kurzer Zeit keine Ahnung hatte. So haben die täglichen Drachenaufftiege, um nur ein wichtiges Beispiel anzuführen, zu der Erkenntnis geführt, daß die Lustwärme mit der Hohe nicht gleich- mäßig abnimmt, sondern daß bei etwa 13 000 Meter über dem Meeresspiegel die ruhig nach oben ihre Wärme in den Weltenraum ausstrahlende Lust durch einen warmen Luststrom unterbrochen wird, der regelmäßig daherzieht und daher rührt, daß die am Aequator von der heiß strahlenden Sonne erwärmte Lust sich ausdehnt, in die Höhe steigt und oben einen Abfluß nach Norden, wie nach Süden sucht; aus diesem nach Norden gerichteten Abfluß wird sie also bis zu uns, ja noch weiter nördlich getragen und macht sich erst in jenen gewaltigen Höhen unmittelbar bemerklich, in die wir mit dem bemannten Ballon niemals hätten eindringen können. War doch die berühmte Luft- fahrt vom 3t. Juli ISOt, auf der B e r s o n und S ü r i n g vom Berliner meteorologischen Institut in die höchste von Menschen je erreichte Höhe, etwas über 10 Kilometer, gelangten, mit der schwersten Lebensgefahr für die beiden kühnen Forscher verbunden. Mittelbar, wenn auch bisher nicht direkt meßbar, macht sich jener
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22 (19.10.1905) 204
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