Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 211.

29]

Das Duell.

Roman von A. Kuprin .

Sonnabend, den 28. Oktober.

( Nachdruck verboten.)

Einzig autorisierte Uebersetzung von Adolf Heß.

16.

Aus dem Lager führte in die Stadt nur ein Weg über die Eisenbahn, die an dieser Stelle einen tiefen, steilen Einschnitt machte. Romaschow lief auf einem schmalen, festgetretenen, fast senkrechten Pfade schnell bergab und stieg die andere Böschung mühsam bergan. Schon auf der Mitte des Aufstiegs bemerkte er, daß oben jemand in Litewka und in um­geworfenem Mantel stand. Er blieb einige Sekunden stehen, machte die Augen klein und erkannte Nikolajew .

" Jetzt kommt das Unangenehmste!" dachte Romaschow. Sein Herz krampfte sich in unruhiger Vorahnung zusammen. Aber er stieg dennoch weiter aufwärts.

Die Offiziere hatten sich etwa fünf Tage nicht gesehen, aber jetzt begrüßten sie sich aus irgend einem Grunde bei der Begegnung nicht, und Romaschow fand darin merkwürdiger­weise nichts Ungewöhnliches als wenn es an diesem schweren, sonderbaren Tage gar nicht anders sein könnte. Nicht einer von ihnen legte die Hand an die Müze.

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Ich habe Sie absichtlich hier erwartet, Jurij Alerejitsch," sagte Nikolajew und blickte irgend wohin in die Ferne nach dem Lager über Romaschows Schulter hinweg.

" Stehe zu Diensten, Wladimir Jefimitsch," erwiderte Romaschon mit fünstlicher Ungezwungenheit, aber zitternder Stimme. Er bückte sich nieder, riß einen vorjährigen, trockenen, braunen Grashalm ab und begann zerstreut darauf herumzukauen. Gleichzeitig sah er deutlich, wie sich in den Knöpfen an Nikolajews Mantel seine eigene Gestalt mit schmalem kleinen Kopf und winzig dünnen, aber an den Hüften unförmlich angeschwollenen Beinen spiegelte.

" Ich halte Sie nicht auf, ich habe nur zwei Worte mit Ihnen zu reden," sagte Nikolajem. Er brachte diese Worte besonders weich, mit der krampfhaften Höflichkeit eines zornigen, erbosten Mannes heraus, der fest entschlossen ist, an fich zu halten. Da aber die Unterredung, bei der man sich nicht ansah, mit jeder Sekunde ungemütlicher wurde, schlug Romaschow fragend vor:

,, Also wollen wir gehen?"

Der gewundene, von Fußgängern festgetretene Weg durchschnitt ein großes Runkelrübenfeld. In der Ferne waren die weißen Häuser und niedrigen Ziegeldächer der Stadt sicht­bar. Die Offiziere gingen nebeneinander, machten sich gegen­seitig Platz und traten auf das fleischige, dichte, unter den Füßen knirschende Grün. Eine Zeitlang schwiegen beide. Endlich begann Nikolajew , tief und laut Atem holend, mit fichtlicher Anstrengung:

Ich muß vor allem die Frage an Sie richten: Verhalten Sie sich mit der schuldigen Ehrerbietung gegen meine Frau gegen Alexandra Petrowna?"

Ich verstehe nicht, Wladimir Jefimitsch," erwiderte Romaschow. Ich muß Sie meinerseits fragen

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Endschuldigen Sie!" geriet Nikolajew plöglich in Hitze. Wir wollen der Reihe nach fragen, erst ich, dann Sie. Sonst kommen wir nicht zum Ziel. Lassen Sie uns offen und ehrlich miteinander reden. Antworten Sie mir vor allem: Interessiert Sie auch nur ein wenig, was über sie gesprochen und geklatscht wird? Nun furz. zum Teufel!. Ihr guter Ruf?

Nein, nein, warten Sie, unterbrechen Sie mich nicht Sie werden doch hoffentlich nicht leugnen, daß Sie von ihr und von mir nur Gutes gesehen haben und daß Sie in unserem Hause wie ein Nahestehender, fast wie ein Verwandter auf­genommen worden sind."

Romaschow trat in den lockeren Boden, stolperte un­geschickt und antwortete verschämt:

,, Glauben Sie mir. ich werde Ihnen und Alexandra Petrowna stets dankbar sein.

,, Ach nein, darum handelt es sich nicht, ganz und gar nicht. Ich will nicht Ihre Dankbarkeit," wurde Nikolajew böse. Ich will nur sagen, daß sich an meine Frau schmutzige, verlogene Klatschereien herangewagt haben, die... nun, ich

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1905

will sagen, in die.." Nikolajew atmete schnell und wischte sich das Gesicht mit einem Tuch ab. Nun furz, hierin sind auch Sie verwickelt. Wir beide ich und sie erhalten fast täglich gemeine, niederträchtige; anonyme Briefe. Ich werde sie Ihnen nicht zeigen... mir ist das ekelhaft. Und in diesen Briefen steht. Nikolajew stockte eine Sekunde. Nun, zum Teufel, da steht drin, daß Sie Alexandra Petrownas Liebhaber seien, und daß... o, diese Gemeinheit!... nun, und so weiter... daß Sie täglich geheime Rendezvous haben, und daß das ganze Regiment davon weiß. Gemeinheit!"

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Er fnirschte wütend mit den Zähnen und spuckte aus. " Ich weiß, wer das geschrieben hat," sagte Romaschow leise und wandte sich zur Seite.

Sie wissen es?" Nikolajem blieb stehen und faßte Romaschow grob am Arm. Offenbar hatte der plötzliche Zornesausbruch mit einem Male seine künstliche Selbst­beherrschung vernichtet. Seine stiermäßigen Augen wurden größer, das Gesicht füllte sich mit Blut, in den zitternden Mundwinkeln erschien schaumiger Speichel. Weit vornüber­gebeugt und sein Gesicht an das Gesicht Romaschows heran­bringend, schrie er wütend:

" Das heißt, Sie wagen zu schweigen, wo Sie es wissen! In dieser Lage ist es die verdammte Pflicht eines jeden nur halbwegs anständigen Menschen, dem Pack das Maul zu stopfen. Hören Sie!... Sie Armee- Don Juan ! Wenn Sie ein Ehrenmann sind und nicht irgend ein

Romaschow blickte bleich und haßerfüllt in Nikolajews Augen. Seine Arme und Beine wurden plötzlich schwer, der Stopf wurde leicht und gleichsam leer; das Herz aber fiel irgendwo in die Tiefe, schlug dort mit ungeheueren, schreck­lichen Stößen und erschütterte den ganzen Körper.

Ich bitte Sie, mich nicht so anzuschreien," brachte Roma­schow dumpf und langgedehnt heraus. Sprechen Sie höf­licher, ich erlaube Ihnen nicht, so zu schreien."

" Ich schreie durchaus nicht." erwiderte Nikolajew , noch immer grob, aber den Ton dämpfend." Ich suche Sie nur zu überzeugen, obwohl ich ein Recht habe, zu fordern. Unsere früheren Beziehungen geben mir dieses Recht. Wenn Sie den Namen Alexandra Petrownas nur ganz wenig schätzen und für rein und fleckenlos halten, so find Sie verpflichtet, diesem Ge­schwätz ein Ende zu machen."

,, Gut, ich tue alles, was ich kann," erwiderte Romaschow trocken.

Er wandte sich um und ging weiter mitten auf dem Pfade. Nikolajew holte ihn sofort ein.

,, Und dann... Nur werden Sie, bitte, nicht zornig.. begann Nikolajew weich, mit einem Anflug von Berwirrung. Wir haben nun einmal zu reden begonnen, da führen wir besser alles zu Ende... nicht wahr?"

" So?" meinte Romaschow halb fragend.

Sie selbst haben gesehen, mit welcher Sympathie wir, das heißt ich und Alexandra Petrowna, Ihnen entgegen­gekommen sind, und wenn ich jetzt genötigt bin... Ach, Sie wissen ja selbst, daß in diesem schändlichen Ort nichts schred­licher ist als Klatschereien!"

,, Gut," antwortete Romaschow traurig. Ich werde nicht mehr zu Ihnen kommen. Sie wollten mich doch darum bitten, nicht wahr? Nun gut, übrigens habe ich schon beschlossen, meine Besuche einzustellen, vor einigen Tagen war ich im ganzen fünf Minuten bei Ihnen, um Alexandra Petrowna Bücher zurückzubringen, und ich gebe Ihnen die Versicherung, das war das letzte Mal."

" Ja... also..." sagte Nikolajew unbestimmt und schwieg verwirrt.

Die Offiziere traten in diesem Augenblick von dem Fuß­wege auf die Chaussee. Bis zur Stadt waren noch dreihundert Schritte, und da man weiter nichts zu reden hatte, gingen beide schweigend und ohne sich anzusehen, nebeneinander her. Reiner fonnte sich entschließen, steyen zu bleiben oder sich um­zuwenden. Die Situation wurde mit jeder Minute ver logener und gespannter.

Endlich kam ihnen bei den ersten Häusern der Stadt ein Wagen entgegen. Nikolajew rief ihn an.

" Ja... also..." meinte er wieder ungeschickt und