84ö andere aber fiel Helles Licht, und es schien, als wenn man jeden Grashalm auf ihr sehen könnte. Der Einschnitt sie! nach unten wie ein dunkler Abgrund; auf seinem Grunde leuchteten schwach die blankgeriebenen Schienen. Weit hinter dem Einschnitt schimmerten auf dem Felde in regelmäßigen Reihen spitz zulaufende Zelte. Etwas unterhalb der Höhe des Einschnitts lief parallel der Bahn ein schmaler Absatz. Romaschow stieg zu ihm hin unter und setzte sich ins Gras. Infolge des Hungers und der Müdigkeit verspürte er ein Gefühl von Uebelkeit außer heftigem Zittern und Schwäche in den Füßen. Das weite öde Feld dort hinten, der halb im Schatten, halb im Licht liegende Einschnitt, die trübe, durchsichsige Luft, das tau benetzte Gras alles lag in heimlicher, wachsamer Sülle, von der es dumpf in den Ohren sauste. Nur bisweilen Pfiffen rangierende Lokomotiven auf der Station, und in der Stille dieser sonderbaren Nacht bekam das kurze Pfeifen einen leben digen, unruhigen und drohenden Ausdruck. Romaschow legte sich auf den Rücken. Weiße, leichte Wolken standen unbeweglich am Himmel und über ihnen glitt der runde Mond dahin. Oben war es leer, weit und kalt und es schien, als wenn der ganze Raum von der Erde bis zum Himmel mit ewigem Schrecken und ewigem Gram erfüllt wäre. Da ist Gott  !" dachte Romaschow und begann plötzlich mit einem naiven Gefühlsausbruch von Kummer, Kränkung und Mitleid mit sich selbst erregt und bitter zu flüstern: Gott  ! Warum hast Du Dich von mir gewandt? Ich bin klein und schwach, ich bin ein Sandkörnchen, was habe ich Dir Schlimmes getan? Gott  ! Du kennst ja alles, Du bist gut. Du siehst alles warum bist Du ungerecht gegen mich, Gott?" Aber ihm wurde schrecklich zumute, und er flüsterte schnell und eifrig: Nein, nein, Guter, Lieber, verzeih mir, verzeih mir! Ich will nicht mehr..." Und er fügte mit schüchterner, jeden Zorn entwaffnender Ergebenheit hinzu:Mach mit mir, was Du willst. Ich ordne mich mit Dankbarkeit allem unter." So sprach er und gleichzeiüg rührte sich in den tiefsten Tiefen seiner Seele der unschuldig-lisüge Gedanke, daß seine geduldige Ergebenheit den allmächtigen Gott rühren und be- sänftigen würde, und dann würde sich plötzlich ein Wunder begeben, so daß alle schweren und unangenehmen Ereignisse des heutigen Tages sich nur als ein böser Traum erweisen würden. Was machst Du hier?" rief eine Lokomotive böse und geschwind. Eine andere aber antwortete in niedrigem Tone langgedehnt und drohend: Ich tverd' Dich!" Diesseits des Einschnittes auf der Höhe des beleuchteten Abhanges rauschte etwas und huschte dahin. Romaschow er hob den Kopf ein wenig, um besser zu sehen. Etwas Graues, Unförmliches, wenig Menschenähnliches süeg im wunderlich trüben Mondlicht, kaum vom Grase sich abhebend, von oben nach unten. Nur an der Bewegung des Schattens und dem leichten Geräusch rollenden Sandes konnte man die Gestalt bemerken und verfolgen. Jetzt überschritt sie die Schienen.Scheint ein Soldat Zu sein," blitzte Romaschow eine unruhige Vermutung durch den Kopf.Jedenfalls ist es ein Mensch, aber so sonderbar kann nur ein Mondsüchtiger oder Betrunkener gehen. Wer mag das sein?" Der graue Mensch überschritt die Schienen und trat in den Schatten. Jetzt war ganz deutlich zu sehen, daß es ein Soldat war. Er stieg langsam und schwerfällig bergan und verschwand eine Zeitlang aus Nomaschows Gesichtskreis. Nach zwei, drei Minuten aber begann sich von unten lang- sam ein runder, geschorener Kopf ohne Mütze nach oben zu bewegen. Das trübe Mondlicht fiel gerade auf das Gesicht dieses Menschen, und Romaschow erkannte den linken Flügelsoldaten seiner Halbrotte� Chlebnikow. Er ging mit bloßem Kopf, hielt die Mütze in der Hand und blickte unverwandt und leb- los vor sich hin. Es schien, als bewege er sich unter dem Einfluß einer fremden, inneren, geheimnisvollen Macht. Er «ing so nahe am Offizier vorbei, daß er ihn fast mit dem Mantelrande berührte, in seinen Augäpfeln spiegelte sich in hellen, scharfen Punkten das Mondlicht. Chlebnikow  ! Bist Du das?" rief Romaschow ihn an. Ach!" rief der Soldat und blieb plötzlich, am ganzen Leibe vor Schreck zitternd, auf dem Fleck stehen. Romaschow erhob sich schnell. Er sah vor sich ein totes, gequältes Gesicht mit zerschlagenen, geschwollenen, blutigen Lippen und blauen, geschwollenen Augen. Im unsicheren Mondlicht bekamen die Spuren der Schläge ein bösartiges, ungeheuerliches Aussehen. Und während Romaschow Chleb  - nikow ansah, dachte er:Dieser selbe Mensch hat heute mit mir dem ganzen Regiment den Mißerfolg verursacht. Wir sind beide gleich unglücklich." Wohin willst Du? Was ist mit Dir?" fragte Romaschow! freundlich und legte, selbst nicht wissend warum, dem Soldaten beide Hände auf die Schultern. Chlebnikow   sah ihn mit einem fassungslosen, verstörten Blick an, wandte sich aber sofort um, seine Lippen schmatzten, öffneten sich langsam und ein kurzer, unsinniger, schriller Ton drang daraus hervor. Eine Empfindung dumpfer Erregung, ähnlich derjenigen, die einer Ohnmacht vorhergeht und widerlichem Kitzeln gleicht, verursachte Romaschow in Brust und Leib ziehende Schmerzen. Haben sie Dich geschlagen? Ja? Nun, sag doch. JaT Setz Dich her, setz Dich zu mir." Er zog Chlebnikow   am Aermel nieder. Der Soldat fiel wie eine Gliederpuppe mit einer Art plumper Leichügkeit gehorsam ins feuchte Gras neben dem Leutnant nieder. Wohin gehst Du?" fragte Romaschow. Chlebnikow   schwieg und saß ungeschickt mit unnatürlich ausgestreckten Beinen da. Romaschow sah, wie sein Kopf all- mählich in kaum merklichen Stößen auf die Brust herunter- sank. Wieder hörte der Leutnant einen kurzen, schrillen Ton, und in seinem Herzen rührte sich heißes Mitleid. Wolltest Du weglaufen? Setz doch die Mütze auf. Hör, Chlebnikow  , ich bin jetzt nicht Dein Vorgesetzter, ich bin selbst ein unglücklicher, einsamer, niedergedrückter Mensch. Ist Dir schwer? weh? Sprich offen mit mir. Vielleicht wolltest Du Dich umbringen?" fragte Romaschow in unzusammen- hängendem Geflüster. (Fortsetzung folgt.) kleines feiuUeton. C2. Ein Gewinn. Das alte, faltige Pcrgamentgesicht Binseners beugte sich seit zwanzig Jahren über das Pult. Dasselbe Pult. Denn Binscner gehörte zu jenen, die der- wachsen mit ihrem Platz, auf dem sie einmal stehen. Die strebende Beweglichkeit fehlte. Jüngere, aktive Kräfte als er, von denen einzelne als Volontäre die ersten Begriffe der Versicherungswissenschaft aus seiner Hand, aus seinem Hirn bezogen hatten, waren aufwärts gerückt in der Rangleiter. Jetzt stand mancher alsVorgesetzter" über ihm, der vergessen hatte, wo er die Fibel seines Berufs gelernt. Binsener schickte sich drein; er räsonnierte nicht. Oder doch nur daheim, im stillen Kämmerlein, wo niemand ihn hörte. Das geschah immer dann, wenn die da oben ihn wieder einmal so recht deutlich ihre Geringschätzung hatten fühlen lassen. Dieses erhabene mitleidige Lächeln mit dem man einem ausgedienten Gaul das Futter hinschüttetl O, er wußte es wohl: wenn sie ihn einmal los werden konnten auf gute Art, sie würden nicht zögern. Aber gegen seine Arbeit war nichts zu sagen. Die blieb sich gleich heute wie vor zwanzig Jahren. Eher merkte er jetzt noch sorg- fältigcr auf, um sitzen zu bleiben im alten Sattel. Warum sie ihn nicht mochten? Er hätte es nicht sagen können. Vielleicht nur deshalb, weil er keineFigur" machte. Weil er ein einfaches altes Möbel war und keine Stehkragen trug. Weil seine Hose glänzte, sein Rock dünn und abgeschabt war, und weil ein Schlips unterm Umlegekragen einer längst vergessenen Mode angehörte. Vielleicht auch, weil seine Gutmütigkeit alles ertrug, wenn auch nicht verzieh, und außerstande war, dem rücksichtslosen Angreifer mit gleicher Waffe zu dienen. Kurz: Binsencr aehörte u den Stillen, den in sich Zurückgezogenen, die überall den Ambos ilden, auf dem die Lärmer zu ihrem Vergnügen herumhämmern. Zu ihrem Vergnügen I Binsener war dasKarnickel" des ganzen Bureaus. An ihm wetzte sich der dürftige, schnoddrige Witz des Achtzehnjährigen wie der beißende Hohn des Vierzigers, der ür sein schmackloses Frühstück Rache an einem Unschuldigen nahm. Sie alle waren so unendlich erhaben über jenesvertrocknete Ge- wächs" dort am PultI Sie alle blühten in so herrlicher Schönheit und Mannhaftigkeit auf aus ihren Bügelfalten, daß es ihnen ganz natürlich schien: Binscner, der Graukopf, dem das Arbeiten unter der Gasflamme eine kreisrunde Tonsur auf dem Schäoel aus- gebrannt, sei zu ihrem Amüsement da. Gegen alles das hatte sich Binsener Wohl im Anfange zu wehren versucht; er war heftig geworden. Aber als er bemerkte, wie dadurch das Vergüngcn der anderen noch erhöht wurde, wie das Halloh, der Lärm, sich zu tierischem Gebrüll verstärkte, da beschloß er, zu schweigen und mit stiller Verachtung die Gedanken- losen als Luft zu betrachten. Binscner wurde stumm. Aber er beschloß gleichzeitig, sich aus